Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

such mich. aber find mich nicht!

Text: rocknrollwhore
es regnet. seit stunden laufe ich durch die strassen, der regen läuft mir in meinem mantelkragen und hat meine sachen durchnässt. nass bis auf die haut. leicht fröstelnd versuche ich, den kragen hochzuziehen, meine kapuze wieder auf den kopf zu setzen und weiter zu laufen. laufen, laufen. das ekelhafte neonlicht der strassenlaternen blendet meine augen und bläst mir erinnerungen zu. immer laufe ich im regen, wenn ich vergessen will. immer warte ich auf den regen und die nacht, um zu vergessen. " what gonna hurt now"...läuft im mp3 player- das hat sich verändert. früher hatte ich immer meinen discman dabei, doch seit einem halben jahr bin ich im besitz eines players im kleinformat und ich bin nicht mehr böse darüber. ich laufe. meine haut ist nass und kalt und meine füsse schlürfen durch jede pfütze. früher sind sie gesprungen. hoch, drüber hinweg oder voll hinein. jetzt schlürfen sie nur noch. wahrscheinlich sind sie müde. müde vom vielen laufen und schimpfen auf meinen kopf, der ihnen die weite reise beschert.

morcheeba hören nicht auf, die wintersilhouette zeichnet sich am himmel ab. auch wenn der inzwischen kohlrabenschwarz ist, so sieht man den winter am horizont. auch in der stadt. so fühl ich mich wohl, sicher und geborgen. die nacht hat mir noch nie weh getan - sie hat mich immer aufgefangen. das neon-weiß der laternen wird zu einem weicheren orange. auch schön. die strassen glitzern ganz seltsam und ich bleibe an einer pfütze stehen. mein spiegelbild ist nur unklar zu erkennen - wie meine erinnerungen auch.

ich will mich nicht erinnern. und doch bleibe ich stehen und starre in das leise wasser, was in sanften wellen vor sich her schwingt.

nichts in meinem leben möchte ich bereuen. nichts. dann fange ich heute nicht damit an! nein, nicht! erbost und entschlossen zugleich spucke ich in diese kleine, häßliche pfütze. soll sie doch versuchen, mich zu erkennen! nichts gibt es zu sehen - nichts!

"was hat dich bloß so ruinert?" fragen die sterne gerade. das wüsste ich auch gerne. irgendwo habe ich dann vielleicht doch die falsche abzweigung genommen, bin einmal zuviel meinem herzen gefolgt, um kurze zeit später im wald umher zu irren und keinen einzigen stern mehr funkeln zu sehen.

erinnerungen. warum eigentlich? ich will mich nicht erinnern, denn sie zerschneiden mein herz. sie lassen alte wunden aufbrechen und meine arme bluten. warm und rot läuft der saft des lebens hinunter. so rot. selbst im dunkeln der nacht kann ich es erkennen. keine erinnerung mehr. bitte.



mich friert und ich überlege kurz, ob ich nach hause gehen, eine warme dusche nehmen und mich ins bett legen soll. nach kurzer bedenkzeit entscheide ich mich dagegen und laufe los. soll ich doch frieren, soll ich doch. ein warmes gefühl macht sich im bauch breit und schleicht sich die wirbelsäule hinauf. wut.

"wake up" schreit chris cheney gerade. oder schreie ich? ich schreie und laufe und schreie und laufe. das wasser läuft meinen rücken hinunter, durchnässt meinen bh und läuft mir am bauch entlang. nicht mehr langsam und leise, nein wütend und verbittert. kämpfen will ich. gemeinsam oder alleine. mir egal, nur erinnern will ich mich nicht mehr.



verzeihen ist so ein grosses wort. es kommt in meinem allgemeinen sprachgebrauch vor. manchmal zu oft. ich möchte manchmal gar nicht verzeihen, möchte wütend sein und das auch länger als für einen kleinen moment. es gelingt mir nicht oder nur sehr selten. um nicht daran erinnert zu werden, dass ich schon wieder verziehen habe, erinnere ich mich lieber gleich gar nicht.



meine hand zittert, als sie die whiskeyflasche in die höhe hebt und gegen die wand schmettert. ich zittere. ob vor kälte oder vor wut - ich kann es nicht mehr auseinander halten. schlagen, nur noch schlagen. raus mit all dem dreck, der mich laufen läßt. ich renne los und erreiche den dunklen, dunklen park. meine zitternde hand kann ich nicht mehr sehen. ich stehe in der mitte des parkes auf einer rasenfläche und schreie mir die seele aus dem leib. ja, meine seele. mein leben. ich schreie und schreie und schlage wild um mich. all die verzweiflung läßt mich mich fast ins delirium schreien. es ist totenstill. kein anderer mensch, kein vogel, kein echo. nur der regen, der mond und ich.



irgendwann spüre ich, wie ich mich auf dem rasen versuche zu orientieren, ich will nach hause. ich will mich nicht erinnern und meine zukunft will ich auch nicht sehen. nur den mond, der vorsichtig durch ein paar bäume scheint, um mir den weg zu weisen. es schüttelt mich, alle kraft ist aufgebraucht, vorsichtig versuche ich mich zu erheben. nach ein paar minuten scheint die kraft in meine beine zurückgekehrt zu sein, zumindest kann ich stehen. behutsam versuche ich einen schritt nach dem anderen zu machen. ich will nicht mehr laufen, rennen und sprinten. ich will gehen, nach hause gehen!



das heisse wasser prasselt auf meinen kopf, ich lerne wieder zu atmen und gleichmäßig luft zu holen. ganz tief atme ich die warme luft ein, sauge ich das leben aus der dusche. meine tränen haben sich mit dem wasser vermischt, was nun das salzige von beidem ist, kann ich nicht mehr unterscheiden. ich lebe.

nach einer schier unendlichen zeit klettere ich aus der dusche und ziehe endlich meine sachen aus. endlich.



erschöpft sinke ich in mein bett und hoffe ,dass ich mich morgen nicht mehr erinnere, sondern nur noch meine zukunft sehe. und sehen will.

Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: