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Realität beißt!

Text: JungeJunge
Ethan Hawke und ich - das ist ein Verhältnis, das man bestenfalls problematisch nennen kann. Dazu nur ein Beispiel: In meinem ersten Semester war ich in ein Mädchen verliebt, das große Gefühle hegte für Ethan Hawke und leider keinerlei für mich. Ach Ethan, du Arschloch!

Aber die Antipathie geht weiter zurück und ist tiefer verwurzelt. Der erste Film, den ich mit Ethan Hawke gesehen habe, hieß "Explorers" und war ein 80er-Jahre-Film über ein paar High-School-Kids, die sich ein Raumschiff bauen und damit im Weltall rumpesen. Ethan spielt darin einen veträumten Jungen, der von seiner Klassenkameradin Lori Swenson träumt, einem eindimensionalen aber hübschen blonden Mädchen, und sie ohne jegliche dramaturgische Vorbereitung in der Schluss-Szene auch bekommt. Bis dahin war der Film ein Jungs-Film, über ein paar Außenseiter, die gemeinsam stark waren. Und so ist es vielleicht auch gut, dass der Film in diesem Moment ausblendet, denn der eigentlich Konflikt käme ja dann: Würde sich Ethan, der Träumer, überhaupt noch für seine Freunde interessieren, jetzt, da er viel interessantere Gesellschaft gefunden hatte?

Im Grunde ist die Ethan-Hawke-Struktur bereits in diesem ersten Film vorgegeben: Ethan spielt immer den unbeholfenen süßen Jungen, der weder der totale Außenseiter noch der Coole von der Schule ist, sondern der Träumer (mit so schönen blauen Augen), der nur auf den ersten Blick ein Loser ist, der aber am Ende die schöne Frau abbekommt. Immer die blasse Schönheit mit den hohen Wangenknochen und dem Schlafzimmerblick, ob sie nun Winona Ryder, Uma Thurman oder Julie Delpy heißt, in "Reality Bites", "Gattaca" oder "Before Sunrise". Und weder auf der Leinwand noch davor scheinen sich Frauen dem Ethan-Hawke-Syndrom entziehen zu können: Ethan ruft bei Frauen so etwas wie den Beschützerinstinkt hervor, er ist der kleine Junge verkleidet als Mann, den sie gerne knuddeln würden, und von dem sie dann auch am liebsten gleich ganz viele knuddelige kleine Kinder bekommen wollen, die alle so süße blaue Augen haben wie er.

Ich glaube, ich kann Ethan Hawke vor allem deshalb nicht leiden, weil ich mich insgeheim ja gerne mit ihm identifizieren würde. Denn Ethan schien auch immer gerade die Filme zu machen, die etwas mit meiner momentanen Lebenssituation zu tun hatten. Nur lief es in der Wirklichkeit fast nie so, wie in den Ethan-Hawke-Filmen. Mein Raumschiff, dass ich als Grundschüler bauen wollte, kam nie über die ersten Entwurfszeichnungen hinaus. Als ich zu rebellieren versuchte wie Ethan im "Club der toten Dichter", ging das in der Masse der ganzen anderen Rebellierenden irgendwie unter. Als Teenager spielte ich auch in einer Band wie Ethan in "Reality Bites", versuchte mir die Haare nachlässig lang zu wachsen und ein Ziegenbärtchen dazu, doch statt Winona Ryder kam zu unseren Konzerten höchstens die Dorf-Punk-Frau. Und ich war ebenfalls auf InterRail wie Ethan in "Before Sunrise", landete sogar in Wien, lernte dort aber nicht Julie Delpy kennen, sondern nur ein paar schnarchende Amerikaner in der Jugendherberge. Tja, Realität beißt eben. Doch, schon irgendwie.

Ethan hat die Benchmark einfach verdammt hoch gesetzt. Nun könnte ich mir ja einreden, dass selbst Ethan Hawke nur im Kino alles gelingt. Aber ich habe den fürchterlichen Verdacht, dass er in den Filmen nur sich selbst spielt. Schließlich hat ihn Uma Thurmann auch gleich geheiratet und mit ihm zusammen zwei knuddelige Kinder auf die Welt gebracht (mit süßen blauen Augen). Und zu allem Unglück hat Ethan auch noch nebenher zwei gar nicht schlechte Romane geschrieben. Ach Ethan, du Arschloch! Mach es mir doch nicht so schwer.

Trotzdem mag ich Ethan-Hawke-Filme, weil sie manchmal so sind, wie das Leben sein sollte. Und kein anderer Film fängt so schön die Stille vor dem Kuss ein wie ein Ethan-Hawke-Film. Und ich muss zugeben, dass der letzte Ethan Hawke-Film, den ich gesehen habe, mich fast mit ihm versöhnt. "Before Sunset" spielt zehn Jahre nach "Before Sunrise", Ethan ist deutlich gealtert, sieht faltig und verknautscht aus, die Augen haben ihr Leuchten verloren, und in der Wirklichkeit hat sich gerade Uma Thurman von ihm getrennt. Und auch im Film spielt er einen desillusionierten Mittdreißiger, dessen Träume sich nicht erfüllt haben, und der sich nur notdürftig mit dem Leben, das er stattdessen bekommen hat, abfindet. Er spielt einen, der in der Realität angekommen ist. Und der Film ist so ehrlich, ihm nicht einfach wieder die schöne Frau - Julie Delpy - am Ende zuzuspielen, sondern alles im Vagen und Ungefähren zu lassen. Das klingt schon eher nach dem wirklichen Leben. Vielleicht werden Ethan und ich ja doch noch Freunde.


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