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Warum Juli Zeh ihre Meinung sagt

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Du wirst immer wieder als Stimme deiner Generation befragt. Wie ist es dazu gekommen? Ich glaube, das lag einfach daran, dass es so wenig Leute gab, die sich überhaupt geäußert haben und obwohl ich mich gar nicht so als Sprecherin fühlte, hat sich das einfach daraus ergeben, dass die Journalisten sich wohl überlegt haben, Mann, wen rufen wir denn jetzt an. Die Auswahl war dann so klein, dass sich das auf wenig Personen verteilt hat und auf mich ein großer Teil abgefallen ist. Ich denke nicht, dass es daran lag, dass ich was zu sagen gehabt habe, was als extrem repräsentativ empfunden wurde. Ich glaube, es war wirklich mehr ein logistischer Effekt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Warum wollen sich denn die anderen Autoren nicht äußern? Meine Theorie ist, dass das ein Effekt der mir im Grunde sehr sympathischen Weigerung ist, sich mit Gruppenverhalten zu identifizieren und mit der Weigerung Parolen vor sich herzutragen. Deshalb will man auch nicht mit einer Partei identifiziert werden. Aber dann wird es immer schwieriger, überhaupt noch eine politische Meinung zu äußern, weil man immer der Beliebigkeit ausgesetzt und von allen Seiten angreifbar ist. Das ist, denke ich, ein Grund, warum zumindest Autoren zunehmend kein Interesse zeigen, in irgendwelche Debatten einzugreifen: sie wollen nicht Fürsprecher für eine Partei sein, weil sie sich damit nicht identifizieren. Gerade im Wahlkampf ist das aber so gut wie unmöglich. Ich habe mich mehr als SPD- denn als CDU-Fan geoutet, was dazu führte, dass ich sofort in der Sozi-Schublade drin war, was eigentlich gar nicht meinem Ansatz entspricht. Man kann sich aber doch auch politisch äußern, ohne Position für die eine oder andere Partei zu beziehen. Ja klar, das kann man auch und das ist auch nur eine mögliche Theorie von mir. Ich kriege aber von Leuten mit, dass sie generell ein Unbehagen gegenüber der Politik haben, eben weil das immer noch so eine Gruppenveranstaltung ist. Das ist in einer Demokratie ja auch gewollt: man organisiert sich in Interessengruppen und spricht dann immer mir diesem Hintergrund. Für ein Einzelwesen ist da kein Platz vorgesehen. Einzige Ausnahme war da lange der frei flottierende Intellektuelle. Aber der hat in letzter Zeit ja auch stark an Ansehen verloren. Woran liegt das? In den sechziger und siebziger Jahren haben das viele sehr demonstrativ vor sich hergetragen, was vielleicht etwas Überdruss hervorgerufen hat und das Gefühl, ich möchte nicht sein wie Günter Grass und wichtige Reden schwingen. Denn, ich denke, es liegt nicht daran, dass die Leute nicht mehr politisch sind. Man erlebt das ja im Freundeskreis und auch unter befreundeten Autoren, dass die sehr wohl eine Meinung haben und zwar eine dezidierte. Wie kommt es, dass du diese Scheu nicht hast, dich zu äußern? Vielleicht ist das Typfrage. Ich habe mir im Grunde, auch lange bevor das Veröffentlichen überhaupt in Sicht war, schon immer gewünscht, dass ich irgendwann mal die Gelegenheit bekomme, mich zu Themen zu äußern. So wie man sich Dinge wünscht, von denen man nie glaubt, dass sie wahr werden. Ich habe oft so einen starken Drang, weil ich starke Meinungen entwickle, die ich dann auch sagen will. Deswegen war das für mich wie ein Geschenk, dass das plötzlich ging. Ich habe wirklich nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, ob das komisch ist, nicht mehr modern, anrüchig, nicht gewünscht oder wie auch immer. Ich bin da völlig naiv ran gegangen und war schon mitten drin, bevor ich das erste Mal mitbekommen habe, dass es Leute gibt, die dazu eine Haltung haben, und dass es auch eine öffentliche Meinung gibt, ob man sich als Schriftsteller einmischen soll oder nicht. Für mich war das völlig natürlich. Endlich werde ich gefragt, jetzt sag’ ich auch was.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wie ist denn die öffentliche Meinung dazu, was man als Schriftsteller tun darf und was nicht? Also im Wahlkampf zumindest, was ja nun das letzte Ereignis ist, zu dem ich etwas gesagt habe, hat die Reaktion der Presse schon gezeigt, dass es zumindest den Journalisten lieber wäre, wenn wir die Klappe hielten. Sehr viele haben da sehr aggressiv drauf reagiert. Auf mich in einem kleineren Rahmen auf Autoren, die das noch massiver getan haben im Wahlkampf, entsprechend extremer. Sogar von anderen Schriftstellern, die gesagt haben, macht euch nicht wichtig oder ihr lasst euch vor nen Karren spannen. Fändest du es denn wichtig, dass sich mehr Leute politisch äußern? Jenseits von Politikern, Journalisten und Experten? Ich fände das gut, denn die Menschen kommen im öffentlichen Diskurs kaum mehr zu Wort. Ich habe manchmal das Gefühl, dass ein Autor zwar nicht mit Spezialwissen aufwarten kann, aber vielleicht auch gerade deshalb näher an der „normalen“ Sicht auf die Dinge steht. Weil er als einigermaßen denkender Mensch sehr subjektiv die Welt erfährt und das wieder gibt. Und damit tut er im Grunde etwas, was jeder von uns macht, mit dem Unterschied, dass der Schriftsteller es in Sprache umsetzt. Ein Journalist ist dagegen in ein bestimmtes System eingebunden und muss Regeln der Berichterstattung befolgen. Deswegen denke ich schon, dass ein Schriftsteller, wenn er sich äußert, vielleicht eine viel größere Nähe zu den Rezipienten aufbauen kann und das als Ausgleich zu Journalismus und Expertentum besonders wichtig ist. Immer wieder stellen Studien fest, dass die Menschen von den Parteien und den Politikern enttäuscht sind. Siehst du die Gefahr, dass sich unser politisches System von den Menschen abkoppelt? Ganz abstrakt schon. Systeme überleben sich immer, das zeigt die Geschichte. Wir beginnen das zu vergessen und glauben, unser System sei die Endstufe dessen, was denkbar und überhaupt möglich ist. Ich mag Panikmache auch überhaupt nicht und will keine Untergangsszenarien beschreiben. Ich fände es nur wichtig, dass das Tabu, mit dem die Demokratie bei uns belegt ist, ein bisschen aufgebrochen würde und dass wir anfangen, sei es spielerisch, aus Neugier oder aus Lust an der Utopie, Gegenentwürfe und Änderungsmöglichkeiten im Kopf zu entwickeln. Das soll nicht heißen, dass man die Demokratie abschafft, aber dass man darüber nachdenkt, wie demokratische Mitbestimmung auch in anderen institutionellen Systemen und ohne Parteien möglich wäre. Hast du denn selber schon einen Entwurf im Kopf? Ich spiele daran herum. Einzelne Ideen tauchen auch in „Alles auf dem Rasen“ schon auf. Zum Beispiel als Mitbestimmungsmöglichkeit darüber nachzudenken, ob es nicht gut wäre, wenn jeder von uns bestimmte Prozentsätze seines Steueraufkommens über die Steuererklärung ressortgebunden verteilen könnte. Ein Prozent der Steuer könnte man dafür hernehmen und sagen, drei Zehntel davon gehen in die Kultur, weil mir das wichtig ist, ein Zehntel in die Verteidigung oder in die Umwelt usw. Man hätte dadurch parteiunabhängig ein großes Einflusspotential, denn nichts ist so wichtig wie das Geld. Das hätte unmittelbare Wirkung und man könnte Leute sofort abstrafen. Alles auf dem Rasen von Juli Zeh ist Schöffling & Co. Verlag erschienen, 296 Seiten, und kostet 19,90 Euro.

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