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Enge Reise

Text: studentinlw
Ich stehe am Bahnhof. Es hat ungefähr so um die null Grad, wenn nicht sogar weniger. Und ich warte. Warte auf meinen Zug, so wie jeden Freitag. Aber wie so oft hat er Verspätung. Also hilft nur weiterwarten.

Einige eisige Minuten später. Der Zug fährt ein. Mittlerweile steht eine ganze Menge Leute am Bahngleis. Alle wollen zuerst in den Zug, denn jeder möchte weiter. Auch ich schaffe es in ein Abteil und schaue mich nach einem Sitzplatz um. Fehlanzeige! Also wieder stehen! Ist ja zum Glück nicht weit.

Neben mir steht eine alte Dame. Sie stützt sich auf ihren Koffer. Keiner bietet ihr einen Sitzplatz an. Jeder schaut weg und keiner will etwas damit zu tun haben. Egoistische Gesellschaft! Die Dame tut mir Leid, aber ich kann ihr nicht helfen. Vielleicht wird ja beim nächsten Halt ein Platz frei.

"In wenigen Minuten erreichen wir..........." rauscht es durch den Lautsprecher im Zug. "Folgende Züge werden trotz Verspätung noch erreicht........" Meiner Anschlußzug ist aucg dabei! Das heißt für mich raus aus dem Zug und zum nächsten Zug sprinten. Denn durch die Verspätung ist die Zeit knapp und der Bahnhof fast zu groß. Aber mit einer sportlichen Leistung könnte es zu schaffen sein. Also, schnell an die Tür und schon mal in Startpositon gehen!

Völlig außer Atem und ein wenig k.o. sitze ich im Anschlußzug. Ich habe es geschafft! Auch wenn der Weg eher wie ein Hindernislauf war. Mal hier ein Kind, dann da ein einsamer Koffer oder ein verwirrter Fahrgast. Aber jetzt sitze ich. Ganz allein auf meinem Platz, weder jemand gegenüber von mir noch jemand neben mir. Freiheit und genug Platz um gemütlich zu lesen. Ich hole mein Buch aus der Tasche und fange an.

"Ist der Platz hier noch frei?" Ein Herr fragt mich freundlich und weist auf den Platz gegenüber von mir. Freundlich lächend antworte ich mit "Ja, natürlich!" und der Herr setzt sich. Zu spät bemerke ich, daß er nach Schweiß richt und anscheinend nichts von Deos oder ähnlichem hält. Aber er sitzt ja weit genug weg. Ich witme mich wieder meinem Buch und ignoriere den Geruch des Herrn.

Wenig später kommt eine ältere Dame und fragt nach dem Platz neben mir. Ich schaue schon ein wenig genervt auf, da ich ja eigentlich in Ruhe lesen wollte. Doch da bemerke ich, daß es die Dame aus dem vorherigen Zug ist. "Du bist nicht egoistisch!" geht es mir durch den Kopf. Ich helfe der Dame, ihren Koffer auf die Ablage zu heben und nehme wieder meinen Platz ein.

Die Zugfahrt ist zwar eng, aber ich habe genug Platz zum Lesen und die Dame unterhält sich wunderbar mit dem Herrn gegenüber. Als ich aussteige, geht mir durch den Kopf, wie gut es manchmal tut, nicht nur auf sich zu schauen. Ich verlasse gut gelaunt und fröhlich den Bahnhof und denke mir: "Auch diese Zugfahrt hatte etwas Gutes!"

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