Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

Die erste Freundin

Text: rasenmaeherkaputtmacher
Es war Mai 1995. Im Schein einer Taschenlampe lagen wir unter der Decke, denn ich wusste, du magst mich.



Wir waren klein, noch nicht erwachsen und niemand erklärte uns, wie sich Liebe anfühlt, doch irgendwie spürte ich, dass du mir etwas sagen wolltest.

Wir waren auf Grundschulklassenfahrt und wir waren allein. Doch du trautest dich nicht, den Mund aufzumachen.



Ich wurde gefragt, ob ich dich mag. Peter fragte mich.

"Nein, ich hasse sie nicht, also mag ich sie", sagte ich.

"Und, willst du mit ihr gehen?"

"Nein, ich weiß nicht, was meinst du?"

In den nächsten fünf Minuten lernte ich, wie das mit dem willst-du-mit-mir-gehen? funktioniert und ich lernte schnell, dass ich schüchtern war.

"Na, sie sagte, dass sie mit dir gehen möchte."

Peter hatte eine Freundin. Und Jens auch. Peter hatte Saskia und Jens Sandra. Und du hattest mich...in einem Traum.

"Ich habe von dir geträumt. Weißt du das?"

"Wann?" fragte ich dich.

"Gestern, als wir unter der Decke lagen."

"Und, war es schön?"

"Ja", sagte sie.

Ich ging.

Peter kam und fragte mich, ob ich immer noch mit dir gehen wollte.

"Wieso fragt sie mich nicht selber?" fragte ich ihn.

"Weil sie genauso schüchtern ist wie du! Und, willst du nun? Bitte bitte bitte…"

Sandra kam und fragte mich:

"Willst du mit Nancy gehen? Bitte…ihr passt doch gut zusammen."

"Ich werde mir es überlegen", sagte ich ihr.

An diesen Abend fand ich mich in einem Zimmer wieder, in dem wir heiraten spielten. Ich sollte dich auf den Mund küssen, war aber schüchtern und nicht verliebt. Ich wollte nur, weil die anderen es so wollten.

Wir gingen immer in den Wald um unsere Hände, die wir vorher mit kugelrundem Erdbeereis vollgeschmiert hatten, am feuchten Moos abzuwischen. Wir lagen immer auf einer Wiese, um Wolkenfiguren zu erfinden. Du zeigtest mir, wie man aus Löwenzahn einen Kranz knotet und ich zeigte dir, wie man aus einem Blatt Papier ein Boot bastelt. Wir spielten in Plattenbauhinterhöfen Volleyball gegen den Nachbareingang und haben immer verloren. Doch das war uns nicht wichtig.

Meine Mutti fing an mich mit Fragen zu nerven. Sie wusste irgendwie die Sache zwischen dir und mir.

"Wann küssen wir uns?" fragtest du mich.

"Ich weiß nicht, wir haben doch schon geheiratet."

Ich schaute nach unten. Ich wollte dich nicht, die anderen wollten uns.

"Du bist doch so was wie mein Freund – oder?" fragte ich dich.

"Ja."

"Und müssen Freunde sich immer küssen, wenn sie sich mögen?"

"Ja."

"Und warum küsst du dann nicht Sandra oder Saskia?"

"Weil du mein erster Freund bist", sagtest du.

Ich schaute geradeaus. Ich liebte dich nicht, doch ich wusste, dass du mich liebst.

"Was ist, wenn ich ein genauso guter Freund von Sandra wäre. Willst du dann, dass ich sie küsse?"

"Nein."

"Und wieso willst du, dass ich dich küsse?"

"Weil…weil…ich, ich dich eben mehr mag als die anderen."

Dann ging ich nach Hause. Mein ganzer Bauch war ein Nadelkissen. Ich wollte dich nur als guten Freund. Und du wolltest mich als dein Freund. Ich begann zu begreifen, wo der Unterschied liegt und ich wollte dir klarmachen, dass du eben nur ein Teil der Unterscheidung warst, die zwischen mir und dir unterschied.

"Peter fragt mich immer, ob wir schon uns schon mal richtig geküsst haben. Irgendwie nervt das", sagte ich zu dir, als wir mit unserem Erdbeerkugeleis auf der Kaufhallentreppe saßen

"Liebst du mich?" fragtest du mich.

"Nein. Ich hasse dich auch nicht."

"Warum hast du mich dann geheiratet?" Du fingst an zu weinen.

"Weil die anderen es so wollten. Aber du musst nicht weinen. Wenn ich dir mein restliches Eis gebe, spielen wir dann wieder Volleyball?"

Du gingst nach Hause und in der Schule saßt du von da an nicht mehr neben mir.



Ich wusste nicht, ob ich etwas verloren oder gewonnen habe. Aber irgendwie war es komisch mit der Liebe. Das wusste ich von da an.



Wusstest du das von da an auch, Nancy?

Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: