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Kraftwerktraining

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Man kann René Eick einen Spinner nennen. Dabei macht er vermutlich als Einziger etwas sehr Richtiges. Eick ist Fitnesstrainer, er leitet ein Studio in Berlin-Prenzlauer Berg. Er ist aber auch ein Bastler. Vor sechs Jahren schraubte er das erste Trainingsfahrrad in seinem Studio auseinander. Er baute eine Art Dynamo in das Gerät ein, verlegte Kabel und installierte eine koffergroße Batterie in der Putzkammer. Seither laden die Menschen, die in seinem Fitnessstudio Rad fahren, ihre Smartphones mit dem Strom auf, den sie selbst erzeugen. Der nicht genutzte Strom lädt die Batterie in der Putzkammer, die wiederum die Deckenlampen im Studio speist. „Was wir hier machen, ist kein Riesenbringer“, sagt René Eick, „aber es geht mir ums Bewusstmachen.“

Energie verschwindet ja nicht, sie wird nur verwandelt. Muskelenergie geht auf dem Fahrradergometer nicht verloren – sie wird zu Wärme. Als ich neulich in meinem Fitnessstudio eine halbe Stunde auf dem Fahrrad saß und schwitzte, fragte ich mich: Könnte man diese Energie nicht in etwas Sinnvolleres verwandeln? Müsste man es nicht sogar, in Zeiten der Nachhaltigkeit, der Energiewende und Offshore-Windparks? Ich sah die anderen strampeln und laufen und schwitzen und dachte: Alle tun was für ihren Körper. Aber keiner tut dabei etwas für die Welt.

Neun Millionen Menschen treten in Deutschland in Fahrradergometer, rennen über Laufbänder, stemmen Gewichte gegen die Schwerkraft. Das sind deutlich mehr als alle Mitglieder von Fußballvereinen zusammengezählt. Fitness ist damit seit ein paar Jahren die teilnehmerstärkste Trainingsform in Deutschland, das hat kürzlich eine Studie ergeben. Und der Markt wächst jedes Jahr um knapp zehn Prozent. Im Vergleich zu anderen Sportarten ist das Verlockende am Fitness-sport: Fahrräder oder Laufbänder wandeln Energie in kontrollierten Bahnen um. Die Muskelbewegung ist wie der Dampf, der in einer Dampfmaschine den Kolben bewegt. Nur dass die Millionen Crosstrainer und Fahrradergometer, also die Dampfmaschinen der Fitnessstudios, keine Lokomotiven antreiben, sondern bloß warm werden. Und die Wärme verpufft. Im Internet stieß ich auf René Eicks modifizierte Fitnessfahrräder in Berlin und fand heraus: Eick ist ein Einzelfall. Aber warum bloß?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


"Ich dachte: Alle tun was für ihren Körper. Aber keiner tut etwas für die Welt."

Denn die Zweitverwertung von Energie, die der Mensch ohnehin aufbringt, ist eigentlich keine neue Idee. In zwei U-Bahn-Stationen in Tokio werden die Vibrationen, die die Schritte der Pendler im Boden verursachen, in Strom verwandelt. In London und Paris heizt ein neues System seit Kurzem Mietshäuser mit der Körperwärme aus überfüllten U-Bahn-Stationen. Eine Frage setzt sich gerade durch: Warum sollten wir Energie verschenken, deren Erzeugung uns nichts kostet?

Ein menschlicher Schritt erzeugt etwa acht Watt kinetische Energie. Auf dem Laufband schafft ein Mensch ungefähr hundert. Das ist fast so viel, wie ein Kühlschrank benötigt. Da wäre es doch eigentlich nur logisch, die allerorts wachsenden Fitnessstudios in kleine, nachhaltige Kraftwerke umzurüsten. Dass das ginge, bestreitet auch niemand. Stefan Geier, Sprecher von Life Fitness, einem der weltgrößten Hersteller von Fitnessgeräten, sagt mir: „Aus technischer Sicht ist das kein Problem.“ Allerdings, erklärt er, seien die Kosten für zusätzliche Bauteile und die notwendige Infrastruktur so hoch, „dass sich die Investition aktuell nicht lohnt“. René Eick in Berlin sagt, die Investition in Dynamos und Batterien habe sich auch nach sechs Jahren noch nicht rentiert.

Wenn es sich überhaupt lohnt, dann über die Masse. Also rufe ich beim Marktführer McFit an, der größten Fitnesskette Europas. Man beschäftige sich immer wieder mit diesem Thema, sagt Unternehmenssprecher Pierre Geisensetter. „Allerdings mussten wir bisher leider feststellen, dass der Aufwand im Verhältnis zum Ertrag unverhältnismäßig ist.“ Die Investitionskosten seien „aktuell noch sehr hoch“. Und abzüglich der Reibungsverluste ließen sich nur 75 Prozent der Energie in Strom umwandeln. Es zahlt sich also nicht aus. Wirklich, bei neun Millionen Fitnessstudio-Mitgliedern? Kleine Überschlagrechnung: Wenn nur eine Million von denen täglich eine Stunde im Studio radelten, ergäbe das (mal ohne Reibungsverluste gedacht) etwa 100 000 Kilowattstunden. Klingt doch super, oder? Der Deutsche verbraucht im Jahresschnitt etwa 1850 Kilowattstunden. Eine Stunde Radelkraftwerk entspräche also dem Jahresverbrauch von, nun ja, 55 Menschen. In einem Jahr könnten die eine Million Radler also ungefähr 20 000 Menschen mit Strom versorgen. Immerhin. Aber im Maßstab auf die Gesamtbevölkerung gesehen, leider auch: verschwindend gering.

Es klingt also schön. Und natürlich kann man fordern, dass Fitnessstudios zu nachhaltigen Mini-Kraftwerken umgebaut werden. Aber dann sah ich mich ein paar Tage später noch mal in meinem Fitnessstudio um. Es war spät am Abend, die fast leeren Räume waren hell erleuchtet, die Sauna wie immer auf 90 Grad geheizt, die Kühlschränke mit den Iso-Drinks brummten. Und ich dachte: Statt über Watt-Zahlen, Reibungsverluste und Dampfmaschinen nachzudenken, sollte ich vielleicht einfach mal wieder Klimmzüge an einem Baum machen. Denn wenn ich Sport treibe, wo nicht geheizt und beleuchtet wird, wo kein Kühlschrank, kein Protein-Mixer und keine Dusche betrieben werden, dann spare ich wahrscheinlich mehr Strom, als ich mit Körperkraft je produzieren könnte.

Text: jan-stremmel - Illustration: Daniela Rudolf

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