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München diskriminiert anders als Köln

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Freiwild zum Beispiel. Die Südtiroler Band füllt in München inzwischen die Olympiahalle. Mit Liedern, von denen Kritiker sagen, sie würden klar eine rechte Gesinnung transportieren. Oder Bushido. Der rappt im Zenith vor ein paar tausend Menschen, dass er auf die Grünen-Politikerin Claudia Roth schießen will. Und im Backstage, wo Freiwild gespielt haben, bevor sie zu berühmt wurden, trat vor ein paar Jahren unter anderem Bounty Killer auf – ein Jamaikanischer Dancehall-Sänger, der findet, dass Homosexuelle erhängt gehören. Will sagen: Pop- und Jugendkultur sind toll, aber man muss hinschauen, was genau transportiert wird. Im Farbenladen des Feierwerk passiert das gerade. Die Ausstellung „Der z/weite Blick“ (noch bis 30. Juli) zeigt, wie vielfältig Jugendkultur geworden ist. Aber eben auch, wo Probleme mit Diskriminierung und Ausgrenzung auftreten. Dazu gibt es Workshops im Graffiti-Sprühen oder Beats-Produzieren. Johannes Scholz von der Fachinformationsstelle Rechtsextremismus in München und Christoph Rössler von der Arbeitsgemeinschaft Friedenspädagogik haben die Ausstellung kuratiert.
 
jetzt.de München: Freiwild füllen in München jetzt schon die Olympiahalle. Was sagt das über die Stadt aus?
Johannes: Was wir gerade erleben, ist meiner Meinung nach eine gewisse Konservativität. Das heißt, dass Jugendkulturen sich optisch vielleicht noch rebellisch geben, mit Bodymodifications wie Tattoos und Piercings. Drinnen stecken aber sehr konservative Werte. Jugendkultur gilt ja allgemein als emanzipatorisch und damit über jeden Verdacht von Diskriminierung erhaben. Und genau da erleben wir gerade einen Rollback. Zumindest im Deutschrock.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Johannes (li.) und Christoph von den Pastinaken.
 
Heißt das auch, dass der Extremismus zunimmt?
Christoph: Ich würde den Begriff Extremismus erst mal vermeiden. Es geht darum, dass Subkulturen auch nur ein Teil von Gesellschaft sind. Was wir mit unserer Ausstellung vor allem zeigen wollen, ist, dass es in der gesamten Gesellschaft Diskriminierungs- und Ausgrenzungsmechanismen gibt. Und damit eben auch in den Jugendkulturen. Nur, weil es zum Beispiel cool ist, zu rappen oder zu skaten, kann es trotzdem Ausgrenzungen geben. Dürfen Mädels auf den Skatepark? Habe ich noch Credibility in der Szene, wenn ich ohne Gewaltsprache rappe?
Johannes: Man denkt bei Gewalt und Ausgrenzung gegenüber Minderheiten ja immer an Extremisten. Dabei kommt sie sehr wohl auch in der Mitte der Gesellschaft vor. Immer mehr leider.
 
Die Mitte rückt nach rechts?
Johannes: Seit ein paar Jahren wieder, ja.
Christoph: Die Studie „Deutsche Zustände“ der Uni Bielefeld hat etwa herausgefunden, dass die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der Mitte in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat. Und dass es regionale Unterschiede gibt.

München diskriminiert anders als Köln?
Christoph: Ja. Das Institut für Soziologie der LMU hat, angelehnt an die Bielefeld-Studie, die „Münchner Zustände“ untersucht. Dabei kam heraus, dass hier ein starker Ökonomismus herrscht: Die Abwertung von Langzeitarbeitslosen und von Obdachlosen ist eklatant im Vergleich zum Bundesdurchschnitt. Der Grad der Islamophobie ist in der Stadt ungefähr im Bundestrend – was aber heißt: sehr hoch. Die Abwertung Homosexueller ist in München dafür deutlich unter dem Durchschnitt. In der Hinsicht scheint München eine sehr moderne Stadt zu sein.
 
Woher kommt das?
Christoph: Da müsste man jetzt mit sehr steilen Thesen hantieren. Aber ich würde sagen: Man mag in einer Technologiestadt wie München alles, was mit Moderne konnotiert ist – Rampen für Rollstühle zum Beispiel, neue gläserne Anbauten für Aufzüge, oder einen Christopher Street Day mit bunten Trucks. Und Langzeitarbeitslose, die nichts zum Produktionsprozess beitragen, oder den Islam, dem man moralische Rückständigkeit unterstellt, verbindet man wohl eher mit Vormoderne.
Johannes: Wir erleben allerdings auch in München eine Zunahme bei den Aktivitäten der „identitären Bewegung“ . . .
... eine rechtspopulistische Jugendkultur, die ursprünglich aus Frankreich kommt  und sich als „aktivistischer Arm der neuen Rechten“ versteht ...
Johannes: ... bis vor ungefähr einem Dreivierteljahr waren die in München nur im Netz präsent. Plötzlich tauchen im Stadtgebiet viel mehr Aufkleber von ihnen auf. Sogar Banner hingen schon von Autobahnbrücken.
 
Welchen Einfluss hat Musik in einem solchen Milieu? Oder gleich konkreter: Sind Freiwild jetzt gefährlich?
Johannes: (zögert) Hm, also ich bejahe das jetzt einfach mal. Klar: Nicht jeder, der Freiwild hört, hört am nächsten Tag Endstufe oder ähnliche Nazibands. Genauso wenig, wie jemand, der einmal kifft, sich am nächsten Tag Heroin spritzt. Aber der Weg kann da hingehen. Und zwar, weil eine Tür aufgemacht wird – die der Ungleichwertigkeit. Das ist es auch, was die Grauzonebands mit den Neonazibands verbindet: Menschen sind für sie nicht gleich.
 
Und diese Aussage übernimmt man als Hörer dann tatsächlich im realen Leben?
Christoph: Nicht automatisch. Nicht sofort. Aber wir reden hier von Massenveranstaltungen. Es gibt dort ein gewaltiges Potenzial, Legitimation zu erzeugen. Sobald dort etwas gesungen und nicht abgelehnt wird, speichere ich irgendwo ab: Ich habe das in einem Raum mit hundert oder tausend anderen gehört, und niemand hat sich beschwert. Das muss also Legitimation haben.
 
Wenn Bushido also sexistische Texte rappt oder Bounty Killer sagt, dass Schwule erhängt gehören, bleibt für mich eine Art Norm hängen?
Christoph: Es bleibt jedenfalls mindestens hängen, wie wenig Leute widersprochen haben. Und wenn das da durchgegangen ist, kann ich ja vielleicht auch mal sehen, wie weit ich damit sonst komme.
 
Und dafür sind Jugendliche anfälliger?
Johannes: Ja. Sie haben deutlich weniger politischen Einfluss. Ihre ökonomischen Möglichkeiten sind weitestgehend fremdbestimmt. Und das macht sie im schlimmsten Fall zu reinen Rezipienten. Die Jugend ist leichter eine Gruppe, mit der etwas getan wird. Man könnte sogar mal fragen, inwieweit Jugendkultur überhaupt noch aus sich heraus entsteht und dann erst vermarktet wird, oder ob das nicht meistens schon andersherum geht?
 
Und wie wäre die Antwort?
Christoph: Dass es zumindest immer schwieriger wird, sich frei abzugrenzen. Ein Nietengürtel war 1970 wahrscheinlich tatsächlich noch ein Zeichen von Rebellentum. Heute kaufe ich ihn bei H&M – für nicht wenig Geld.
   
Und wie kann Jugendkultur aus dieser passiven Rolle wieder herauskommen?
Christoph: Meiner Meinung nach, und das wollen wir hier auch vermitteln, ist der beste Weg immer: Do it yourself. Lass nicht nur auf dich einhageln. Sei nicht nur Rezipient. Deshalb die Workshops, die wir hier anbieten. Und deshalb stehen hier auch überall Gitarren. Die Leute sollen aktiv werden. Unsere Einladung ist: Nimm dir mal eine von den Gitarren. Oder dreh an den Plattenspielern rum. Hauptsache, du machst etwas selber. Das ist immer besser, als nur Konsument zu sein. Mit reinem Konsum bist du nämlich immer maximal entfernt von Jugendkultur.

Text: jakob-biazza - Foto: Feierwerk

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