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Ein Hoch auf die Sommer-Verweigerer!

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Im Sommer soll man loslassen, Ferien machen, im Gras liegen und die Hitze heiß sein lassen. Der Sommer ist die unanstrengende, heitere, idealerweise immer ein bisschen in Zeitlupe ablaufende Jahreszeit - alles wird einfacher, leichter, freundlicher. Im Sommer liegt eine chronische Urlaubsmentalität in der Luft, was bleibt einem da übrig, als zu warten, bis die Welt von selbst wieder schneller und dringender wird.

Klingt herrlich. Stimmt aber nur so halb. Denn der Sommer besitzt diesen scheinheiligen Doppelboden. Nur in erster Instanz ist er die Aufforderung zum Hängenlassen, in zweiter ist er härtester Genuss- und Wohlfühlzwang. Über jedem warmen, sonnigen Tag steht die dringende Aufforderung: Rausgehen! Sommer machen! Weit weg von der Stadt im Strohfeld sitzen und picknicken und den Himmel angucken! Im Waldsee schwimmen! In die Gumpen fahren! Martiniparty auf der Badeinsel! Mindestens fünfmal ins Freibad, mindestens täglich Fahrradtour! Freunde mit Dachterrasse haben! Mit Pool! Und Cabrio und Vespa und Motorrad. Freunde haben, die dauernd irgendwo grillen! Grill sowieso immer dabei haben! Fernseher an den See tragen, DIY-Open-Air machen! Draußen sein, immer, Park, Biergarten, stundenlang mit Flatterhemd durch die Stadt radeln, und dann am besten noch draußen schlafen! Matratze ins Auto, Matratze auf den Balkon! Mein Gott, was der Sommer alles möglich macht.

Wer da ganz normal weiterlebt, das heißt: abends mal zuhause bleiben will, sich mit Serien ins Bett verkriecht, einfach die Vorhänge zuzieht und so, der wird - vor allem von sich selbst - unter Generalverdacht gestellt, depressiv zu sein. Wenn man mal drüber nachdenkt, ist der Winter da viel seelenfreundlicher, so rein vom Freizeitdruck her. Da will eh keiner raus, da bleibt ja nur das Sofa, die Grobstrickdecke und die viel zu große Teetasse.

Sommer ist nicht nur da, wo Grills stehen

Aber im Sommer: Ausflugspflicht! Open-Air-Pflicht! Aktivitätenpflicht! Natürlich, der Sommer ist in unseren Gefilden ein rares, unberechenbares Gut. Aber es wird zu oft so getan, als sei der Sommer ein Geist, ein seltener Vogel, den es zu fangen gilt, und der nur da ist, wo Grills stehen oder Hängematten hängen oder nackte Füße im Wasser baumeln. Dabei ist das Alltertollste am Sommer doch: Er ist überall! Man muss ihn nirgendwo besuchen gehen, abholen oder fangen, nein, der Sommer ist einfach da, man kann ihm gar nicht entkommen!

Museen und Hallenbäder und die Drinnenplätze von Cafés und Restaurants zählen auch zu den Orten, die man im Sommer zu vermeiden sucht. Was totaler Irrsinn ist, denn an den Orten, an denen der Sommer wie ausgeschlossen wirkt, ist er erst recht, und zwar sozusagen ex negativo. Hier spürt man den Sommer am deutlichsten in den ausbleibenden Besuchern, der Stille und der seltsam entrückten Ausnahmeatmosphäre. Vielleicht gibt es ja in Wirklichkeit gar nichts Sommerlicheres, als ein verlassenes Hallenbad, in das ab und zu aus der Ferne die aufgekratzten Jiekser der vielen Teenager aus dem Freibad nebenan dringen und noch ein paar Sekunden nachhallen.

Das gleiche gilt fürs Büro, für die eigene Wohnung, fürs Bett. Das, was man vom Sommer eigentlich will, diese freundliche Luft, dieser Geruch von warmem Gras, heißem Asphalt, der dringt sowieso durch die offenen Fenster, und beim Duschen dreht man den Duschhahn kühler als sonst, nachts zieht man kaum noch etwas an, abends bringt man barfuß den Müll runter und freut sich über die müde, kühle Stille im Hausflur. Und der Beton im Hinterhof, der sonst immer, immer, kalt ist, wärmt einem jetzt die Füße. Überhaupt jeder Stein, auf den man sich setzt, ist warm, und man denke nur an all die Zwischenwege, die sonst nerven: das Einkaufengehen, das auf dem Rad von A nach B kommen, alles geht einfacher. Man sieht abends auf die Uhr und freut sich, dass es noch hell ist, obwohl die Zahlen auf der Uhr nach tiefster Nacht aussehen. Das ist alles Sommer. Wenn er da ist, ist er da. Und dann ist er überall.

Text: mercedes-lauenstein - Foto: alpha beta gaga / photocase.de

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