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In der falschen Haut

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Im April verkündete Bruce Jenner, er fühle sich als Frau. Aus Bruce wurde letzte Woche Caitlyn und alle fanden das gut. Zumindest gab es keine großen Widersprüche, soll sie doch machen. Der ehemalige US-Spitzensportler hat sich selbst immer wieder in die Schlagzeilen gebracht. Als Stiefvater von Kim Kardashian in deren gemeinsamer Serie "Keeping up with the Kardashians" zum Beispiel. Auch das Bekenntnis zur Transsexualität wurde medial zelebriert. Es reißt aber niemanden mehr vom Hocker. Diskutiert wurde nicht der Indentitätswandel, sondern ob Caitlyn Transgender kommerzialisiere.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Bei Rachel Dolezal ist die Lage anders. Heute musste sie als Sprecherin der NAACP, einer Organisation für die Rechte schwarzer US-Bürger, zurücktreten. Seit über zehn Jahren tritt die Professorin für Afrikawissenschaften dort als Afroamerikanerin auf und fühlt sich auch so. Auf den Fotos, die Rachels Eltern letzte Woche an amerikanische Medien weiterleiteten, sieht man aber ein weißes Mädchen. Rachel ist als weißes Kind aufgewachsen. Die unfreiwillige Enthüllung wird in sozialen Netzwerken kontrovers diskutiert. Unter dem Hashtag #wrongSkin wird dabei mehr Spott als Mitgefühl für Rachel Dolezal geäußert. Ironisch bekennen sich mittlerweile blonde Menschen, die sich als Rothaarige fühlen, Reiche, die lieber arm und Schwarze, die lieber weiß wären.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Während Jenners Outing medial anerkannt und mit einem Ganzkörperbild auf dem Cover der Vanity Fair belohnt wurde, erntete Dolezal feindselige Kommentare. Warum fallen die Reaktionen so unterschiedlich aus? Vanessa Vitiello Urquhart hat in einem Artikel auf Slate.com versucht, das  Problem auseinanderzunehmen. In beiden Fällen gehe es um ein Grundgefühl, das unsere Identität sichert, schreibt sie. Beide fühlten sich einer Gruppe nicht mehr zugehörig, zu der sie als Kinder noch gezählt wurden. Heute können sie sich mit ihrer"biologischen" Zuschreibung nicht mehr identifizieren: Jenner will kein Mann und Dolezal keine Weiße mehr sein. Trotzdem fühlt sich die schwarze Gemeinschaft von Dolezals unfreiwilligem Bekenntnis betrogen, während die Transgender-Community Jenner als neuen Star feiert.

Während Dolezal krampfhaft versuchte, nicht als Weiße erkannt zu werden, machte Jenner keinen Hehl daraus, mal ein Mann gewesen zu sein. Auf die eine ist man"reingefallen", die andere hat sich endlich getraut. Der Unterschied liegt also in der Art und Weise, wie mit der neuen Identität umgegangen wurde. Jenner lehnte ihre Rolle als Spitzensportler und Männeridol öffentlich ab. Von Dolezals Vergangenheit weiß man wenig. So scheint es, als hätte sie ihr Umfeld mutwillig getäuscht. Daher wohl der Unmut in vielen Tweets.    

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Dass Rachel Dolezal sich in der falschen Haut gefangen fühlt, wird auf Twitter wenig ernst genommen.

Aber kann man das überhaupt vergleichen? Frauen können zu Männern werden und andersrum. Geschlecht ist als Selbstzuschreibung längst in der Gesellschaft angekommen. Dass Weiße plötzlich schwarz sind oder sich schwarz fühlen, kommt eigentlich nie vor. Die Kategorie"Geschlecht" scheint durchlässiger als die Hautfarbe und kulturelle Zugehörigkeit. Und die Frage ist, ob die Durchlässigkeit in diesen Bereichen jemals erreicht werden kann. Beim Geschlecht geht es um Individuen. Bei Hautfarbe und Kultur steht eine Grupppe dahinter, die sich als Gemeinschaft verraten sieht, wenn sie das Gefühl hat, dass jemand sich "eingeschlichen" hat.

#wrongSkin steht also nicht nur für das Gefühl, in der falschen Haut zu stecken. Es steht für unterschiedlichste Identitätsentwürfe. Und die scheinen mal mehr, mal weniger gerechtfertigt. 

Eva Hoffmann


Text: jetzt-redaktion - Foto: Annie Leibowitz/AP; Anthony Quintano

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