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Der Russe kommt

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Die Choreografie des Bösen sitzt. Alexander Rusevs Augen funkeln wild entschlossen. Schnaufend schiebt er das Kinn nach vorne, seine bullige Brust bebt. Er sitzt auf dem Rücken seines Gegners, Jack Swagger heißt der, ein blonder Hüne, Kampfname „The Real American“. Rusev umfasst Swaggers Kopf, reißt ihn nach hinten und stemmt seine 140 Kilogramm gegen den letzten Widerstand. Sekunden später gibt Swagger auf. Der Schiedsrichter im gestreiften Hemd reißt den Arm in die Höhe: Rusev hat gewonnen. Loslassen will Rusev trotzdem nicht. Ein echter Bösewicht kennt keine Regeln.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Kann gut böse sein: Alexander Rusev

Seit etwas mehr als einem Jahr spielt Alexander Rusev, 29 Jahre alt, den bösen Russen im amerikanischen Wrestling-Zirkus. Woche für Woche immer dasselbe Bild: Rusev macht sie alle fertig, zwingt immer stärkere Gegner zur Aufgabe. Nach seinen Siegen übertönt Marschmusik das buhende Publikum. Rusev schüttelt dazu das schweißnasse lange Haar und stößt seinen animalischen Siegesschrei aus, ein langgezogenes „Aaaahh“, Worte sind nicht nötig. Mit einem Knall entrollt sich die russische Fahne von der Decke, manchmal erscheint auch ein Bild von Wladimir Putin auf dem Videowürfel. Rusevs wasserstoffblonde Managerin Lana schreitet im knappen Kostüm durch den Ring und preist mit schrägem Akzent die russische Nation und ihren Präsidenten. Und natürlich ihren Rusev, „The Super Athlete“. Putin und er, sie seien den USA weit überlegen. „USA! USA! USA!“, antwortet das Publikum. Der Hass in der Halle erreicht seinen Höhepunkt.

Wrestling ist ein Destillat der Stimmung im Land

Niemand schlachtet den Konflikt zwischen den USA und Russland derzeit so genüsslich und überzeichnet aus wie das US-Wrestling-Unternehmen „World Wrestling Entertainment“, kurz WWE. Rusevs Gegner sind immer Amerikaner durch und durch. Jeder seiner Kämpfe ist deshalb auch eine Niederlage für Amerika, die Supermacht. Immer sehnsüchtiger wartet das Publikum in der Halle und vor den Fernsehern auf den Fall des bösen Russen und den Triumph der USA.

Natürlich ist das alles nur Show und Kalkül – ein übertriebenes Spektakel für ein bierseliges Publikum, das leichte Unterhaltung will und sonst nichts. Gerade deshalb ist es aber interessant. Wrestling erzählt die Geschichten, die die Masse in den USA hören will, und zwar möglichst simpel in das Schema Gut-gegen-Böse gepresst. Das bringt Einschaltquoten und ausverkaufte Hallen und sichert den weltweiten WWE-Jahresumsatz von rund einer halben Milliarde US-Dollar. Wrestling ist ein Destillat der Stimmung im Land, wer dort zuschaut, blickt direkt in die Seele des Volkes. Und gerade ist diese Seele voller Hass gegen den bösen Alexander Rusev.

„Nichts ist schlimmer als Gleichgültigkeit im Publikum“, sagt Philipp Kutzelmann. Der Münchner Kulturhistoriker hat sich ausgiebig mit dem US-Wrestling beschäftigt und ein Buch über dessen kulturelle Bedeutung in den USA geschrieben. „Es braucht klare Helden und Feindbilder. Das gilt für Hollywood genauso wie für Wrestling.“

Bei der Entwicklung der Charaktere und ihren Geschichten lassen sich die WWE-Macher immer wieder von der Popkultur und aktuellen Ereignissen beeinflussen und versuchen so den Zeitgeist zu treffen. Eines der prominentesten Beispiele dafür ist der Aufstieg von Wrestling-Legende Hulk Hogan Mitte der Achtzigerjahre. Auf dem Höhepunkt der amerikanisch-iranischen Spannungen und während des Ersten Golfkriegs besiegt der damals noch unbekannte Hogan den monatelang ungeschlagenen Iron Sheik, einen Iraner mit Schnauzbart und Kopftuch. Auch böse Russen haben eine lange Tradition im amerikanischen Wrestling. Ende der Achtzigerjahre betreten zwei Hünen mit dem Ringnamen „The Bolsheviks“ äußerst erfolgreich die Wrestling-Bühne. „Das Aufbauen einer „ausländischen“ Gefahr ist ein bewährtes Mittel, um ein patriotisches Wir-Gefühl zu schaffen. Und es wird gerne dazu verwendet, um einen neuen amerikanischen Helden zu stilisieren“, sagt Kutzelmann. 

Vor etwa einem Jahr lieferte das politische Geschehen in Europa wieder eine Steilvorlage für die Seifenoper im Ring. Russland annektierte die Krim-Halbinsel, im Osten der Ukraine rissen prorussische Separatisten die Macht an sich. Die Krise weitete sich zu einem Bürgerkrieg aus. Westliche Staaten und die Nato sind überzeugt, dass Russland direkt in den Konflikt in der Ostukraine involviert ist, die EU und die USA belegten Russland mit Sanktionen. Vor allem Konservativen in den USA ist das nicht genug. Die Stimmung erinnert an die Zeiten des Kalten Kriegs

>>> Wrestlemania, der Höhepunkt der Saison: Rusev rollt mit einem Panzer zum Ring

Beim WWE nimmt man es mit der Herkunft der bösen Russen in Spandex nicht ganz so genau. Das Duo „The Bolsheviks“ bestand aus dem Kroaten Josip Nikolai Peruzović und dem Amerikaner Jim Harrell. Der böse Russe der frühen Neunzigerjahre, Nikita Koloff, wurde als Nelson Scott Simpson in Minnesota geboren. Auch der jüngste Spross der WWE-Inszenierung ist kein Russe. Alexander Rusev heißt eigentlich Miroslav Barnyashev und stammt aus Bulgarien. Auf seinem Oberarm prangt ein Tattoo: der Umriss Bulgariens in den Nationalfarben seiner Heimat – weiß, grün und rot. Nicht mal während seiner Kämpfe versteckt er es. Eigentlich sollte er 2012 sogar mit der bulgarischen Gewichtheber-Mannschaft bei den Olympischen Spielen antreten. Eine schwere Verletzung stoppte die Pläne.

Rusev lebt seit 15 Jahren in den USA und hat eine mustergültige Wrestling-Karriere hinter sich. Als Bulgare Miroslav Makaraov kämpft er sich durch die Nachwuchsligen. Nach ersten erfolgreichen Fernsehauftritten erfindet sein Management das Alter-Ego „Alexander Rusev“ und lässt ihn die Nationalität wechseln. Seit Januar 2014wird er zum unbezwingbaren Feindbild im Hauptprogramm der WWE aufgebaut. Auch seine Managerin Lana ist durch und durch Kunstfigur. Bevor sie begann, im Ring das Publikum zu beschimpfen und Putin zu preisen, war Catherine Joy Perry Bikini-Model, erfolglose Sängerin und spielte einige kleine Nebenrollen in TV- und Kinoproduktionen. Solche kleinen Ungereimtheiten stören die Wrestling-Fangemeinde kaum.

Ende März, der Sonntag vor Ostern – Wrestlemania, der Höhepunkt der Wrestlingsaison. Weltweit verfolgen es mehr als sechs Millionen Menschen am Bildschirm und knapp 75 000 Menschen im ausverkauften Levi’s Stadium in Santa Clara – ein Sportevent auf Augenhöhe mit American Football, Basketball oder Baseball.

Rusevs Gegner ist John Cena, er setzt sich für kranke Kinder und Veteranen ein

Je heißer der Kampf zwischen Gut gegen Böse, desto höher die Einschaltquoten und der Gewinn. Deshalb wird auch Alexander Rusev bei diesem wichtigsten Event des Jahres in den Ring geschickt. Sein Gegner: John Cena, ein Poster-Boy der WWE und Sympathieträger bei den Fans. Im Ring gilt er als Kämpfernatur, als einer, der nie aufgibt. Auf Facebook hat er 36 Millionen Anhänger, sein Body-Change-Programm ist in den USA ein großer Erfolg. Außerdem setzt er sich für krebskranke Kinder und Veteranen ein. Cena ist der perfekte amerikanische Held, mehr noch als alle, die Rusev in den vergangenen Monaten gedemütigt hat. Wer, wenn nicht er, wäre jetzt der Richtige, um jetzt Rache zu üben? Und wann, wenn nicht jetzt, auf dem Höhepunkt der Saison? Das wäre Balsam für den über Monate geschmähten Nationalstolz.

Der Moment, auf den das Publikum gewartet hat: Rapmusik ertönt, der durchtrainierte John Cena stürmt in Richtung Ring. USA, USA, USA, begrüßt ihn das Publikum. Cena bleibt stehen, er salutiert vor den amerikanischen Soldaten im Stadion. Jubel. Für Rusev dagegen nur Pfiffe. Er rollt mit einem Panzer ins Stadion, schwenkt die Fahne zur Marschmusik.

Knapp 20 Minuten lang dauert der Kampf. Es ist ein offenes und spannendes Match, oder besser: ein perfekt als solches durchchoreografiertes. Immer wieder prügelt Rusev seinen Kontrahenten durch den Ring, schwenkt einmal sogar siegessicher die russische Fahne und brüllt: „Du kannst mich nicht besiegen.“ Doch immer wieder kommt Cena zurück, drückt sich aus dem gefürchteten Finisher-Move des Russen nach oben. „Ein Kämpfertyp“, freut sich das Kommentatoren-Team. Dann geht alles sehr schnell. Rusev stürmt durch den Ring, um sich auf seinen Gegner zu werfen. Doch sein schwerer Körper trifft die am Ring wartende Managerin Lana. Sie fällt zu Boden, ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit bei Rusev, ein letzter Wurf von Cena. Das begeisterte Publikum zählt den bösen Russen aus. One, two, three, Jubel, die Kameras zoomen auf Fans, die sich in den Armen liegen. Endlich ist der „United States Championship“-Titel wieder in den richtigen Händen. Die USA haben die große Konfrontation mit Russland für sich entschieden. Zumindest im Wrestling.

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