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Die Schattenseitenwechsler

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Im Kino ist es einfach: Da tragen die Bösen maßgeschneiderte Hemden und ein fieses Grinsen im Gesicht, oder gleich eine Maske, die keinen Zweifel daran lässt, dass dahinter das Böse lauert. Die Guten sind die, die im Lederoutfit Karate machen und wie nebenbei Leben oder gleich die ganze Menschheit retten. Hauptberuflich sind die Guten aber oft was ganz anderes: Pressefotograf  in „Spiderman“, CEO  in „Iron Man“ oder der Informatiker Neo in „Matrix“. Hauptberuflich Gutes tun, das geht nicht mal in Hollywood.

Und im wahren Leben? Erwachsenwerden, so sagen viele, die es schon geworden sind, bedeutet, Realist zu werden. Die Welt retten, das passt eben nicht zur Eigentümerversammlung, zur Steuererklärung – und zum geregelten Einkommen. So nebenbei wie Superman kriegen wir das eben doch nicht hin.

Trotzdem versuchen es immer mehr Menschen. Die Tendenz geht dahin, Arbeit und Ideale zusammenzubringen. Jahrhundertelang war Arbeit einfach Broterwerb, heute aber sind für viele sogenannte Bullshit 
Jobs das Schlimmste: Berufe ohne Sinn und Perspektive. Dahinter steht der Wunsch, der Job müsse Selbstverwirklichung ermöglichen oder wenigstens die Welt ein bisschen verbessern.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Wer sich entscheidet, hauptberuflich Gutes zu tun, stellt nach ein paar Arbeitstagen aber vielleicht fest: Ist ja doch nicht so weltverändernd, der neue Job. Auch hier nur Neonlicht und Riesenstapel Papier auf dem Schreibtisch, ein magerer Stundenlohn, und dann sinkt nicht mal die Kindersterblichkeitsrate in Somalia, was all die Nachteile immerhin ausgleichen würde. Ist das dann ein guter Job? Ist er besser als ein gewöhnlicher Bullshit Job? Wie merkt man überhaupt, was Gutes tun wirklich ist und ob man dafür geschaffen ist?

Dass diese Frage so schwer zu beantworten ist, liegt 
auch daran, dass „gut“ ein dynamischer Begriff ist, 
der für jeden Menschen etwas anderes bedeutet. Was 
gut und was schlecht ist, ändert sich mit den eigenen Bedürfnissen und Prioritäten, dem Alter und den Erfahrungswerten. Und man muss erst herausfinden, wie man im Beruf Realität und Wunschvorstellung zusammenbringt. Pünktlich nach Hause gehen, Gutes tun, gut verdienen, sich selbst verwirklichen – wahrscheinlich kann man nicht alles gleichzeitig haben. Man braucht Kompromisse.

Die können je nach Mensch und Lebensphase völlig unterschiedlich aussehen. Man muss sie suchen, finden, und nachjustieren, indem man sich immer wieder selbst die richtigen Fragen stellt. Akzeptiert man für die Ideale ein bisschen mehr Realität auf dem Gehaltsscheck? 
Muss man sich eingestehen: Ich will lieber im Großkonzern über Nachhaltigkeit diskutieren als im mongolischen Hochland?

Wir haben Menschen gesucht, die solche Fragen für sich beantwortet haben: die eigenen Prioritäten abgesteckt und zum Teil wieder umgeworfen haben. Für solche Entscheidungen braucht es ehrliches Eingeständnisse und manchmal ein Zurückrudern. Und das erfordert am Ende genau so viel Mut, wie die Idee, ein Ideal unangefochten zu verfolgen.

>>> Warum Luis gemerkt hat, dass er gern in großen Unternehmen arbeitet



Luis, 23

„Ich möchte an die Spitze, um etwas zu bewegen.“

Mit den klassischen Businesstypen kann ich mich nicht identifizieren, obwohl ich eigentlich ins Raster passe: Ich habe Ingenieurwesen studiert und gerade meinen MBA in den USA begonnen. Mir geht es trotzdem nicht darum, im Management so viel Geld wie möglich zu scheffeln. Ich möchte an die Spitze, um dort etwas zu bewegen.

Deshalb wollte ich zunächst in die Energiebranche, weil ich denke, dass in diesem Bereich Innovation und die richtigen Ideen die größte Rolle spielen werden. Während eines Praktikums bei einem Nuklearkonzern habe ich allerdings so viel Stagnation auf der Führungsebene erlebt, dass ich ziemlich frustriert war.

Nur im Non-Profit-Bereich zu arbeiten, stand für mich trotzdem nicht zur Debatte. Ich glaube, dass große Unternehmen durch ihr Budget und ihre große Reichweite einfach viel mehr erreichen und durch die richtige Firmenpolitik auch kleine Projekte unterstützen können. Viele unterschätzen vielleicht, wie viel Unternehmen im Sozialbereich leisten können. In meinem neuen Job bei einer Unternehmensberatung kann ich beispielsweise mehreren NGOs und anderen Sozialprojekten helfen, effektiver zu arbeiten. Einmal im Jahr arbeiten wir auch pro bono an solchen Fällen. Dieser Ansatz war mir bei der Auswahl meines Jobs definitiv wichtig.

Irgendwann würde ich gern meine eigene Firma gründen und die Unternehmensstandards selbst festsetzen.

>>> Alessandra fragt sich, wie Unternehmen zu globaler Gerechtigkeit beitragen können.

Alessandra, 32

„Ich konnte mir den NGO-Job nicht mehr leisten.“

Mein erster Job in einer Unternehmensberatung hatte eigentlich alles: schnelle Aufstiegsmöglichkeiten, gute Arbeitsbedingungen und ein gutes Gehalt. Aber am Ende hatte ich das Gefühl, mich selbst zu verlieren. Ich war schon immer sozial engagiert, das hat mir in diesem Beruf völlig gefehlt.

Das erste Mal, dass ich ehrenamtlich für eine NGO gearbeitet habe, war während meines Urlaubs im zweiten Arbeitsjahr als Consultant. Danach war für mich klar: Ich will einen Master in Sustainable Development machen. Für meine Abschlussarbeit habe ich in Indien ein halbes Jahr verschiedene NGO-Projekte, die sich mit der Integration von kleinen landwirtschaftlichen Betrieben in die globale Handelskette beschäftigen, besucht und evaluiert. Genau das hat mich schon immer interessiert: wie Unternehmen zu globaler Gerechtigkeit beitragen können. Als ich nach fünf Monaten aus Indien zurückkam, hätte ich gern weiter für eine NGO gearbeitet. Aber ich hatte nicht genug Erfahrung, um einen besser bezahlten Job zu bekommen. Und ich hatte den Master von meinem Ersparten finanziert und konnte mir einfach nicht länger einen schlecht bezahlten Job leisten.

Seit etwa einem Jahr arbeite ich wieder in einer gro-
ßen Firma, einem Pharmakonzern. Das klingt jetzt 
schlimmer, als es ist. Ich kann mich mit den Firmenwerten absolut identifizieren, da wir nur nachhaltige Rohstoffe verarbeiten.

Wenn sich die Arbeitsbedingungen verbessern, kann ich mir auch wieder einen Job bei einer NGO vorstellen. Es kommt aber ganz darauf an wo – denn genau wie es gute oder schlechte Unternehmen gibt, gibt es auch gute oder schlechte Sozialprojekte. NGOs können, was Finanzierung angeht, vieles von der Geschäftswelt lernen und Unternehmen umgekehrt viel über Nachhaltigkeit.

>>> Till über Entwicklungsarbeit in Laos


Till, 29

„Viele haben von Entwicklungshilfe eine romantisierte Vorstellung.“

Für mich war eigentlich schon früh klar, dass ich im NGO-Bereich arbeiten will. Deswegen habe ich Soziale Arbeit und internationale Entwicklungszusammenarbeit studiert. Gerade habe ich ein Jahr bei der Bambusschule e. V. in Laos gearbeitet. Das ist eine sogenannte Grassroots-Organisation, also eine kleine lokale. Das war 
mein erster Vollzeitjob nach dem Studium. Als ich dort ankam, hatte ich zuerst einen Kulturschock. Entwicklungsländer sind oft auf einer korrupten politischen Elite aufgebaut, ohne deren Einverständnis gar nichts geht. 
In Laos gibt es auch eine ganz andere Konfliktkultur. Man kann nicht so direkt sein, was die tägliche Arbeit extrem erschwert. Man muss sich sehr auf die andere Mentalität einlassen und damit umgehen können. Ich denke, viele haben von der Arbeit eine romantisierte Vorstellung. Vor Ort ist echte Motivation gefragt und es ist oft frustrierend.

Das Jahr hat mir trotzdem gezeigt, dass ich generell im richtigen Bereich arbeite. Von unseren Projekten im Bildungs- und Gesundheitswesen für die laotische Bergbevölkerung war ich absolut überzeugt. Aber nachdem ich Entwicklungsarbeit in der Praxis erlebt hatte, fragte ich mich: Wie viel erreicht man damit letztendlich? Wie sehr ist unser Verständnis von Hilfe einer fremden Kultur aufgezwungen?

Es ist falsch zu denken, dass man in einem fremden Land mit fertigen Lösungen auftauchen kann – das geht nur im Dialog. Die Arbeit vor Ort funktioniert auch nur dann, wenn man auf der politisch-administrativen Ebene die Rahmenbedingungen dafür schafft. Ich habe mich deshalb für den weiterführenden Studiengang Länd-
liche Entwicklung beworben. Auch wenn Geld für mich erst mal zweitrangig war, sehe ich das Studium als wichtige Qualifikation: Etwas mehr verdienen möchte ich irgendwann auch.

>>> Was Anne bei einer NGO in Südafrika gelernt hat


Anne, 33

„Es hat nicht gereicht, Freunde und Familie nur einmal im Jahr zu sehen.“

Bevor ich gegangen bin, gab es noch ein Abschieds-abendessen mit den Kollegen. Wir saßen im Restaurant und ich habe von meinem Plan erzählt, als Entwicklungshelferin nach Südafrika zu gehen. Die fanden das gut. Aber als ich erklärt habe, was es genau bedeutet, ist ihnen buchstäblich die Gabel aus der Hand gefallen. Sie waren erstaunt, was ich alles aufgab.

Vier Jahre hatte ich in einer Firma in Frankfurt als Kommunikationsberaterin gearbeitet. Mein Arbeitsvertrag war unbefristet, ich habe ordentlich verdient, war kurz davor, aufzusteigen. Die Stelle in Südafrika war das Gegenteil davon: Sie war befristet auf zwei Jahre, das Gehalt niedriger, und die Organisation relativ klein. Aber ich wollte das eben versuchen. Entwicklungshilfe hatte mich schon länger fasziniert.

In Südafrika habe ich dann die Anstellung bei einer Nichtregierungsorganisation bekommen, mein Mann hat einen Job bei Greenpeace gefunden. Für die NGO habe ich vor allem Gesetzesentwürfe gelesen und Analysen geschrieben. Die Arbeit war eine Bereicherung. Wir haben Freunde gefunden in Südafrika. Alles schien gut.

Dann begannen ein paar Dinge schiefzugehen. Nach drei Monaten wurde die Organisation geschlossen, ich musste den Job wechseln und kam bei einer Organisation unter, die sich mit der Entwicklung des IT-Sektors beschäftigte. Das war weit entfernt von dem, was ich ursprünglich machen wollte.

Außerdem habe ich gemerkt, dass es mir nicht reicht, Familie und Freunde in Deutschland nur einmal im Jahr zu sehen. Meinem Mann ging es ähnlich. Wir hatten beide vorher schon im Ausland gelebt – dass uns die große Distanz so viel ausmachen würde, haben wir nicht geahnt.

Ich habe meinen Vertrag also nicht verlängert. Stattdessen haben wir uns Motorräder gekauft und sind 
16 000 Kilometer durch Afrika zurück nach Hause gefahren. Jetzt sind wir wieder in Deutschland und ich bewerbe mich auf Jobs als Kommunikationsberaterin. Mir ist bewusst geworden: Ich will in meinen alten Beruf zurück. Nur nicht in meine frühere Firma.

>>> Isabell will nicht in ihr altes Leben zurück. In ihr neues aber auch nicht!


Isabell, 38

„Ich dachte, es sei besser, die Reißleine früh zu ziehen.“

Irgendwann bin ich aufgesprungen und habe gekündigt. Fast zehn Jahre habe ich als Grafikdesignerin in Berlin gearbeitet, mehrere Jahre davon fest angestellt. Ich habe meinen Job gern gemacht, hatte viel Urlaubstage und ein gutes Gehalt. Aber irgendwann haben mir Arbeit und Alltag die Luft zum Atmen genommen. Mein Beruf kam mir auf einmal sinnlos vor.

Eine Freundin in Freiburg hat mir dann von ihrem Traum erzählt, ein Mehrgenerationenhaus aufzubauen. Irgendwann war mir klar: Wir machen etwas Gemeinsames. Die Idee, gleich eine Hausgemeinschaft zu gründen, war zu kompliziert. Deshalb wollten wir mit einem Café für Menschen verschiedenen Alters beginnen. Etwas Vergleichbares gab es in Freiburg noch nicht.

Ich bin nach Süddeutschland gezogen und habe begonnen, einen detaillierten Businessplan zu schreiben: Wie viel kann man selbst leisten? Wie viel Personal braucht man, wie viel Fremdleistung an Kapital?
Es kamen aber auch andere Fragen auf. Persönlichere: Halten wir es aus, einen Kredit über 100 000 Euro aufzunehmen? Wie lange kann ich zwölf bis 14 Stunden am Tag arbeiten?

Auf einmal habe ich mich ganz klein gefühlt. Ich habe Zweifel bekommen. Als ich über Weihnachten in Berlin war, habe ich viel nachgedacht und mit Familie und Freunden gesprochen. Nach dem Jahreswechsel bin ich ausgestiegen. Ich dachte, es sei besser, die Reißleine bereits früh zu ziehen.

Ich hätte in meinen alten Beruf zurückgehen können. Aber ich wollte mein altes Leben nicht eins zu eins zurückhaben. Ich habe stattdessen meine Persönlichkeit kritisch hinterfragt – mit allen Stärken, Interessen und Wünschen. Ich hatte immer noch das Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit und habe mich erinnert, dass ich früher viel und gern Nachhilfe gegeben habe. Nach reiflicher Überlegung habe ich mich entschieden, noch mal ein Studium zu beginnen: Lehramt in Dresden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Text: sina-pousset - und benjamin-duerr

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