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Den Sitz auf dem Rücken

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Wenn Vinzent Britz mit seinem Turnbeutel durch Berlin geht, müssen die meisten schmunzeln. „Mama, der hat den Sitz auf dem Rücken“, sagen kleine Mädchen dann zum Beispiel. Denn: Das Camouflage-Muster auf Vinzents Beutel in den Farben schwarz, weiß, blau und rot ist eben genau jenes, mit dem auch die Sitze in der Berliner U-Bahn bezogen sind. „Tarnbeutel“ nennt Vinzent deshalb die kleine Hipster-Tasche, die er gemeinsam mit seinem Kumpel Lukas Kampfmann für knapp 20 Euro das Stück verkauft.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Duchgesetzt: ÖPNV-Muster in der Mode.

Vinzent ist eigentlich Grafikdesigner. Mit einer Schwäche für Muster, wie er sagt. Und er ist gebürtiger Berliner. Mit dem U-Bahn-Muster zu arbeiten, war deshalb für ihn naheliegend. Das erste Exemplar des Tarnbeutels ließ er vor mehr als einem Jahr von einer Freundin nähen, es sollte ein individuelles Stück für ihn privat sein. Viele Freunde wollten dann allerdings auch ein Exemplar, weshalb Vinzent eine Auflage von 500 Stück herstellen ließ - wieder in Eigenregie, die Berliner Verkehrsbetriebe haben damit nichts zu tun.

Die erste Auflage war schnell weg, kurz vor Weihnachten folgte die zweite, die wieder innerhalb von drei Wochen ausverkauft war. Die Online-Warteliste ist lang, immer noch täglich bekommt Vinzent Mails mit Nachfragen. Der 26-Jährige erklärt sich das so: „Da kommen zwei Dinge zusammen – zum einen gibt es gerade einen Riesenhype um Berlin, die Menschen identifizieren sich mit dieser Stadt und deshalb auch mit dem Muster. Zum anderen ist buntes Camouflage momentan auch angesagt.“

Der Tarnbeutel kombiniert beides: Trend und Berlingefühl und ist damit als Souvenir sehr viel tragbarer als die sonst verkauften Städtetaschen, auf die mit Krakelschrift der Stadtname aufgedruckt ist. „Vielleicht ist mein Beutel einfach der coolere Berliner Bär“, sagt auch Vinzent und lacht. Momentan denkt er über eine dritte Auflage nach - wieder im Berlin-Style. Für andere Städte will er allerdings nicht produzieren.

Dabei beschäftigt man sich nicht nur in Berlin mit den Sitzbezügen der eigenen Stadt. Bereits 2008 ist die Stuttgarter Designerin Menja Stevenson unter dem Titel „Bustour“ in Sitzbezug-Kleidern mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Stadt gefahren. Auf den Blogs Sitzmusterdestodes und publicpatterntransport werden die verschiedenen Muster der Welt gesammelt und kommentiert.

Woran liegt es, dass die Menschen sich derart mit ihren Sitzunterlagen beschäftigen? Gehört es nicht eigentlich zum guten Ton in jeder deutschen Stadt, den öffentlichen Nahverkehr zu hassen? Und entlädt sich nicht gerade in Berlin dieser Hass besonders häufig öffentlichkeitswirksam? Vinzent hat hat eine gute Erklärung dafür, wie BVG-Hass und Sitzpolsterliebe zusammenpassen: „Die U-Bahn an sich ist doch cool – man nutzt sie von früh bis früh, kann immer rein und dort sogar noch ein Bier trinken. Ich verbinde damit vor allem eine entspannte Stimmung. Außerdem ist sie der Catwalk der Stadt. Das hat nichts mit dem Imageproblem des dahinterstehenden Konzerns zu tun.“

Tatsächlich ist der öffentliche Nahverkehr in jeder Stadt irgendwann wichtig für das Zuhause-Gefühl. Erst, wenn man den U-Bahn-Plan verstanden hat und im Bus nicht mehr aus Versehen hinten einsteigt und daraufhin vom Busfahrer angeblökt wird, ist man richtig angekommen. Der U-Bahn-Sitz wird so ein bisschen wie die heimische Couch, nur, dass noch mehr Dönersauce hineingerieben ist.

Ein anderer Grund ist aber mit Sicherheit auch der überragende Trash-Faktor von Sitzbezügen. Das Muster der BVG wurde angeblich damals ausgewählt, damit man Schmierereien in den gängigsten Farben darauf nicht so stark sieht. Vielleicht ist das aber auch eine urbane Legende. Was vor einigen Jahren noch seltsam aus der Zeit gefallen wirkte, kann jetzt wieder ironisch gebrochen getragen werden. Vinzent geht sogar noch einen Schritt weiter: „ Mich würde es nicht wundern, wenn sie bei der nächsten Fashionweek auf dem Laufsteg die 'Erstmal zu Penny'-Plastiktüten tragen. Denn so ein billiges Design ist momentan als Statement viel angesagter als eine Gucci-Tasche.“

Text: charlotte-haunhorst - Bilder: Gergana Petrova

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