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Zwei Bücher (8): Zwei Mal Frauenleben

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Dorothee Elmiger, geboren 1985, lebt und arbeitet zurzeit in der Schweiz. Ihr Debütroman "Einladung an die Waghalsigen"(DuMont 2010) wurde für den Schweizer Buchpreis 2010 nominiert und mit dem aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt ausgezeichnet. Im Jahr 2011 erhielt sie den Rauriser Literaturpreis. Ihr zweiter Roman "Schlafgänger"(DuMont) ist im Frühjahr 2014 erschienen.

Teil 1: Die Neuerscheinung

Renata Adler: Rennboot

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


jetzt.de: "Rennboot"ist gar keine Erstveröffentlichung: Es erschien das erste Mal 1976, der Suhrkamp Verlag hat den Roman jetzt neu herausgegeben und es ist ein wirklich schönes Buch geworden.
Dorothee Elmiger: Ja, es ist eine Ansammlung kurzer Anekdoten und Geschichten, die aufeinander Bezug nehmen. Eine Frau berichtet von ihren journalistischen Tätigkeiten, von ihrem Leben in New York und ihren Reisen. Das Ganze hat Tagebuchcharakter, finde ich. Sie beschreibt, was sie erlebt und was sie sich dazu überlegt.

Fast alles ist traurig. Und, das scheint mir die einzige erzählerische Entwicklung in diesem Buch zu sein: Alles wird immer trauriger.
Ja, oft werden traurige Szenen ziemlich emotionslos, sehr sachlich und oft auch kühl beschrieben. Diese Distanziertheit verliert die Ich-Erzählerin, wenn überhaupt, nur zwischen den Zeilen.

Obwohl der Text schon ein paar Jahre alt ist, sind die Aussagen, die Adler über die Protagonisten formuliert, sehr gegenwärtig. Es könnten auch Beschreibungen einer abgeklärten Technoszene im 21. Jahrhundert sein.
Es ist eine starke Auseinandersetzung mit einem spezifischen Kosmos, in dem Adler sich bewegt. Auch die Sprache, die sie dafür findet, ist sehr heutig. Ich fand gut, dass es nicht bei der Beschreibung dieser "Szene" bleibt, sondern auch von der Arbeit und den Reisen der Erzählerin berichtet wird. Ansonsten hätte sich das zu schnell erschöpft.

Das ist der Knackpunkt! Denn dadurch gibt es auch Staunen und Interesse in diesem Buch und nicht nur gleichmütige Milieustudien.
Und es wird zu einem Zeitdokument! Am liebsten mochte ich die Flugzeugszenen, in denen man erfährt, wie es war, damals zu fliegen.

Am Ende ist sie schwanger und es bleibt offen, ob diese Schwangerschaft die Folge einer früher beschriebenen Vergewaltigung ist.
Die letzte Seite im Buch ist sehr traurig. Es gibt aber auch einen Satz, der mich beeindruckt hat: "Und doch: ich glaube, es ist nicht ganz falsch, den Nachkommenden zu versichern, das Wasser sei in Ordnung – sogar recht warm –, wenn man erstmal drin sei." Das ist ein wahnsinnig ambivalenter Satz: Er lässt sich positiv lesen und trotzdem wird deutlich, dass man natürlich auch mit dem ganzen Mist klarkommen muss, den es gibt. Aber du hast Recht, durch die Montage der einzelnen Textteile bleibt sehr viel offen. Mir war oft nicht klar, ob eine Person vorher schon mal aufgetaucht ist.

Das finde ich aber gar nicht schlimm, wahrscheinlich geht es der Erzählerin in dem, was sie erlebt, sogar ähnlich.
Das stimmt. Trotzdem war es für mich, etwa nach drei Vierteln des Buches, sehr viel Stoff, was vielleicht an dem raschen Tempo liegt, mit dem ich dieses Buch gelesen habe. Das führte auch dazu, dass kurz die Frage nach einer gewissen Beliebigkeit bei mir aufkam. Es reihte sich einfach nur noch eine Geschichte an die andere. Dieses Driften wiederum passt auch unheimlich gut zum Leben der Erzählerin. Für mich ist das ein Buch, das ich schnell gelesen habe, das ich interessant fand, das aber keinen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, ohne, dass ich dachte, ich will das nicht lesen, ich mag das nicht. Es war ein rasches Erlebnis, auf gewisse Art eine leichte Lektüre.  

Renata Adler: Rennboot, Suhrkamp Verlag, Berlin 2014, 241 Seiten, 19,95 Euro.

Auf der nächsten Seite: Dorothee Elmiger erzählt, warum ihr ein Buch besonders am Herzen liegt, das Geschichten von im Nationalsozialismus ermordeten Frauen erzählt.


Teil 2: Das Lieblingsbuch Marie-Thérèse Kerschbaumer: Der weibliche Name des Widerstands. Sieben Berichte. 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Dieses Buch war keine leichte Lektüre für mich. Ich glaube, ich habe noch nie so lange gebraucht, um ein so schmales Buch zu lesen. Du musst mir helfen, einen Zugang dazu zu finden.
Ich weiß nicht, ob ich das kann. Aber für mich ist das ein wahnsinnig wichtiges Buch.

Warum?
Mich interessieren Autorinnen und Autoren, die mit der Sprache arbeiten und umgehen. Aber bei Kerschbaumer bleibt es nicht nur dabei, es ist nicht nur ein Sprachspiel, sondern es geht auch um was. Beide Aspekte werden in diesem Buch vereint, deshalb finde ich es so beeindruckend und wichtig.

Es sind sieben Berichte über von den Nazis ermordete Frauen. Der Titel lässt vermuten, dass sie alle Widerstandskämpferinnen waren. Aber das stimmt nicht, oder?
Nicht alle, genau. Erzählt wird aber zum Beispiel auch die Geschichte von Antonin Mück, die Arbeiterin war und, so steht es in einer Vorbemerkung, die jedem Bericht vorangestellt ist, mit neun Kampfgefährten aus Wiener Betrieben festgenommen und umgebracht wurde, weil sie im Widerstand aktiv war. Aber auch bei allen anderen Frauen, die es übrigens alle wirklich gegeben hat, sucht Kerschbaumer nach Momenten des Widerstands.

Ist es emotionale Erpressung, ein solches Thema zu wählen, um daran ein Sprachexperiment durchzuführen?
Man kann doch auf jeden Fall darüber diskutieren, ob dieses Buch eine mögliche Art ist, über dieses Thema zu schreiben und zu sprechen. Auch unabhängig davon ist es eine große Frage, wie sich über solche Schicksale schreiben lässt, ob es überhaupt möglich ist. Für mich ist dieses Buch ein Versuch, den ich sehr interessant finde. Im zweiten Bericht, dem über Helene und Elise, gibt es immer wider Passagen, in denen sich Kerschbaumer als Autorin sehr sichtbar macht und im Text ihre Rolle diskutiert. Diese Art und Weise ein solches Thema zu behandeln ist für mich viel aufschlussreicher und legitimer als Versuche, realistisch zu berichten.

Beim Lesen hatte ich oft das Gefühl, ich nehme keine direkten Inhalte auf, sondern konsumiere Sprache. Es ist eine sehr lyrische Prosa.
Das passiert mir auch. Es gibt einen sehr starken Rhythmus. Wenn ich das lese, gibt es in meinem Kopf eine Art Klangteppich. Es ist gar nicht möglich, auch bei mehrmaligem Lesen, alles auf eine eindeutige Weise zu verstehen, so viel Material wird da montiert, so viele Mehrdeutigkeiten stecken im Text. Bei jedem neuen Lesen sind mir andere Sätze klar und andere bleiben unscharf. Aber ich bin eine Leserin, für die solche Leseerlebnisse ein wichtiger Teil der Literatur sind.
 
Und war das erneute Lesen für diese Kolumne auch ein gelungenes Erlebnis?
Ja, sowohl was diese literarischen Fragen betrifft als auch die historischen. Diese sieben Berichte sind für mich eine gelungene Suche nach einer Möglichkeit, über die Zeit des Nationalsozialismus zu schreiben. Auch wenn – oder gerade weil – es von einem beim Lesen in jeder Hinsicht viel verlangt.

Marie-Thérèse Kerschbaumer: Der weibliche Name des Widerstands. Sieben Berichte, Aufbau Verlag, Berlin 1986, 217 Seiten, antiquarisch erhältlich.

Text: dorian-steinhoff - Fotos: Screenshots (Buchcover)

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