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Wer viel hat, hat viel Angst

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Die Finnin liebt andere Kulturen - solange sie nicht in ihr Land einwandern.

Krista Bister sitzt in ihrer Küche in Helsinki, eine 23-jährige Frau mit braunen Augen, knallrot gefärbten Haaren und einem grünen Second-Hand-Pullover, und sie sagt: „Wo Menschen geboren sind, da sollen sie bleiben.“ Krista ist 23 und studiert Business-Administration. Sie ist Aushilfe im Erasmus-Büro ihrer Uni, unterstützt ausländische Studierende bei der Wohnungssuche. Sie schwärmt von Italiens Bergen, von Wein und Sonne, von zehn Tagen Urlaub in Portugal. Die Finnin liebt andere Kulturen – solange sie nicht in ihr Land einwandern. Sie mag die sonnigen Länder in Südeuropa  – sofern Finnland ihnen kein Geld geben muss. Und sie liebt Politik. Deshalb ist sie Mitglied der „Wahren Finnen“, einer männerdominierten rechtspopulistischen Partei.

In Skandinavien, dort, wo kaum ein Flüchtling ankommt, in den Ländern, die so viele Grenzen vom europäischen Süden trennen, ausgerechnet dort sacken rechte Parteien hohe Wahlergebnisse ein. Die gemäßigt rechtsextremistische Dänische Volkspartei war bis 2011 zehn Jahre in der Regierung, die norwegische Fortschrittspartei wählten vergangenes Jahr 16,3 Prozent in die Koalition. Die Schwedendemokraten und die Wahren Finnen sind die drittstärkste Partei in ihrem Land. Die schwedische Partei könnte zum ersten Mal ins Europaparlament einziehen. Den Wahren Finnen wird 20 Prozent voraus gesagt – das wären drei Sitze im Brüsseler EU-Parlament.

Dahin will Juho Eerola. Der Spitzenkandidat der Wahren Finnen für die Europawahl trifft sich mittwochs mit Einwanderungskritikern des Internetblogs „Homma-Forum“ und Mitgliedern der „Suomen Sisu“.  Der Vereinsname bedeutet in etwa zähe oder kämpferische Finnen, eine finnische Zeitung hatte sie mal als "Nazi-inspiriert" bezeichnet. Suomen Sisu hatte sich erfolgreich dagegen gewehrt. In der Annankatustraße 3, in einem kellerigen Hinterzimmer ohne Fenster, kommen sie mittwochs zum Stammtisch zusammen. Gemusterte Teppiche liegen auf den Tischen, Eerola isst Fleischbällchen an Oliven.

So sieht also ein Wahrer Finne aus: Schulterlanges, blondes Haar im Zopf, ein paar Löckchen ragen heraus, grünblaue Augen unter hellblonden Augenbrauen im glatt rasierten Gesicht. Bei Suomen Sisu war Eerola Mitglied – trat aber aus, um das Image seiner Partei zu schonen. „Man muss vorsichtig sein, was man sagt.“ Es sei rassistisch zu sagen: Ausländer sollen alle draußen bleiben. Deshalb formuliert es Eerola so: Wer arbeite, dürfe bleiben. Aber Russen und Rumänen, die kämen alle nur zum Betteln nach Finnland. Und zum Glück gebe es „genügend Grenzen zwischen Finnland und Afrika“.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Schweden nimmt in Skandinavien noch die meisten Flüchtlinge auf. In den anderen Ländern kommt kaum ein Flüchtling an.

Spitzenkandidat Eerola interessiert sich für die Alternative für Deutschland. Was er in deren Parteiprogramm gelesen hat, findet er gut. Aber er hat immer im Blick, wie deren Spitzenkandidaten sich verhalten und was sie sagen. Er möchte nicht mit offener Hetze gegen den Islam oder mit rechtsradikalen Äußerungen in Verbindung gebracht werden.

Die Führungsfigur der Partei hat das angeordnet: Timo Soini. Seine Masterarbeit hat er über Rechtspopulismus geschrieben. Er weiß also, wie man es macht: rassistische Vorurteile ausnutzen, banale Lösungen für die Probleme des einfachen Volkes bieten. Gegen die Elite, die von oben diktiert. Und dabei möglichst gemäßigt reden. Die konservative Partei hätte sogar schon dieselben politischen Ideen. Parteichef Soini gibt sich besonders katholisch. „Soini will ein sauberes Image haben“, sagt Jan Sundberg, Politikwissenschaftler an der Universität Helsinki, „auch wenn sich unter dem Partei-Regenschirm alles Mögliche tummelt, von Nationalisten bis Rassisten.“

Der Rechtsextremismus ist salonfähig geworden. Er spricht das Bürgertum an, Menschen der Mittelschicht mit gutem Einkommen. Rechtspopulisten kommen wie Protestparteien daher – so kommen sie an Wähler aus dem linken Milieu. Auch junge Menschen interessieren sich für die wohlfahrtschauvinistischen Argumente der Rechten in Skandinavien. Wo einst Skinheads in schwarzen Pullis auftraten, stehen jetzt junge Männer im Hemd wie Schwiegermutters Liebling da. So wie Jimmie Åkesson Parteichef der Schwedendemokraten. Ein Jungspund mit schwarzer Brille und aalglatt gegeltem Haar. Auch viele junge Wähler mögen ihn, fand die Volkswirtin Marika Lindgren-Åsbrink 2007 heraus. Demnach wählen gerade Personen mit geringer Bildung, Arbeitslose und jüngere Menschen die Schwedendemokraten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Finnin Krista Bister wählt rechts. Mit Gleichgesinnten trifft sie sich jeden Mittwoch zum Stammtisch.

Was macht die Rechtspopulisten für Jugendliche attraktiv? Auf Antwortsuche am Frühstückstisch mit Krista Bister. Sie serviert Karjalan pijrakka, Brottörtchen auf denen Reis und Rührei thront. Es riecht nach Hasenstreu in ihrer Ein-Zimmer-Wohnung mit Blick auf hohe Neubauten. Viele Migranten gebe es hier nicht – zum Glück, sagt sie. Stolz zeigt die Studentin ihr blumiges Arabia-Geschirr, eine teure Marke, made in Finnland. „Ich liebe unser Land, unsere Wälder, die finnischen Leute“, sagt Bister. „Andere Parteien schätzen das nicht so hoch.“ Ihre Freunde sagen, die Wahre Finnen seien konservativ, altbacken und radikal. Bister sagt, sie verstünden sie nicht. Sie hält die Partei nicht für rechtsorientiert. Aber mit rechter und linker Gesinnung, mit den politischen Unterschieden, habe sie sich noch nie befasst.

Woran sie die Überflutung an Ausländern sieht? "Ich fühle es!"

Krista Bister will über Politik reden. Jeden Mittwoch trifft sie sich mit anderen jungen Wahren Finnen zum Stammtisch in einer Kneipe. Bei Pommes und Suppe schaukeln sie dann ihre Ängste hoch. Ängste vor arbeitsfaulen Flüchtlingen und vor bettelnden Osteuropäern. Krista hat in der Partei Freunde gefunden, sie bestärken ihre Ansicht, die anderen Politiker würden alle nichts Weltveränderndes tun.

Warum sehnen sich die, denen es gut geht, so sehr nach politischer Veränderung? Bernd Henningsen, Professor für Skandinavistik an der HU Berlin, hat eine Erklärung: „Wer etwas hat, hat auch Angst es zu verlieren. Wer viel hat, hat viel Angst.“ Rechtswähler seien nie diejenigen, die täglich mit Migranten zu tun haben oder die ihre Arbeit verloren haben. „Die Rechtspopulisten schüren Ängste, dass der Wohlstand bedroht ist – und zwar von außen.“ Hinzu kommt der alltägliche Nationalismus in Skandinavien. „Die Umwelt, insbesondere das Ausland, nimmt es als nett wahr, dass zu jedem erdenklichen Anlass Nationalfahnen gehisst werden.” Nationalismus als gefährlich? „Das verstehen Skandinavier nicht.“ In Skandinavien sei die Debatte über Populismus auch viel zu zahm. „Konflikte werden eher unter den Teppich gekehrt.“ Die Vorstellung sei: Im Konsens lässt sich besser Politik machen.

Krista Bister träumt weiter vom radikalen Wandel. Das heißt für sie: Finnland muss mehr an sich selbst denken, aus der EU austreten. „Wir Finnen sind klein und weit weg von allem, wir stehen im Schatten eines Landes EU.“ Und Bister will auch striktere Regeln für Einwanderer. Finnland werde von Einwanderern überflutet.

Zahlen, die das belegen, kann Krista Bister nicht vorlegen. Woran sie die Überflutung sieht? „Ich weiß nicht, ob ich es wirklich sehe“, sagt sie und nestelt verlegen an ihrem Kettenanhänger. „Ich fühle es.“

Text: julia-neumann - Illustration: Sarah Unterhitzenberger; Foto: Julia Neumann

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