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Widerstand sinnlos?

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Das Spiel im Gefahrengebiet ist weder mutig noch lustig, findet Nadja Schlüter.

"Ich und eine Freundin spazierten heute bei dem schönen Wetter warm angezogen und mit einem schwarzen Tuch vorm Gesicht (es ist ja schließlich Winter) durch das Hamburger Gefahrengebiet.“ So beginnt der „Erfahrungsbericht einer Spaziergängerin im Gefahrengebiet", anonym veröffentlicht bei md-protestfotografie, einem Blog über Proteste und Demonstrationen in Hamburg und Umgebung. Mein erster Gedanke dazu: "Finden die das witzig?" Und das blieb auch der zweite, der dritte und der letzte Gedanke, als ich weiterlas: über das, was die spazierenden Freundinnen an "nützlichen Sachen" dabeihatten (sozialistische Literatur, Banane, Panzertape, getrocknete Petersilie im durchsichtigen Tütchen etc.), wie sie die "Präsenz der Gesetzeshüter etwas verschreckte" und sie darum "immer ein bisschen schneller gegangen" sind, wenn Polizisten auftauchten, wie sie dann verfolgt, festgehalten und kontrolliert wurden, mit auf die Wache kommen und sich bis auf die Unterwäsche ausziehen mussten und gerade noch verhindern konnten, dass auch noch in alle ihre Körperöffnungen geschaut wird.  

Dass Polizeikontrollen oft Schikane sind, darüber gibt es genügend Berichte, Beschwerden, Aussagen, und ich halte auch nichts von Vorurteilen, Racial Profiling und Ähnlichem. So viel zu den Selbstverständlichkeiten. Aber was sich gerade teilweise im Hamburger Gefahrengebiet abspielt, ist absoluter Schwachsinn: Die beiden oben genannten "Spaziergängerinnen" vermummen sich absichtlich, das Hamburger Stadtmagazin "Mittendrin" veröffentlicht den satirischen Guide "5 Schritte zum Krawallmacher" und auf Facebook gibt es die Gruppe "Danger Zone – The Real Life Game" – ein Spiel, bei dem man Punkte bekommt, wenn man es schafft, von der Polizei kontrolliert zu werden, mit ganz langer Anleitung in megawitzigem Denglisch. Kurz: Möchtegern-Widerständler und linke Folkloristen verkleiden sich als "gewaltbereite Autonome", um Polizisten zu provozieren, und das mitten in einer sowieso schon viel zu aufgeladenen, verfahrenen Situation – in der nur derjenige zu einer Lösung beitragen wird, der sachlich bleibt.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ein schwarzer Hoodie und ein Schal vorm Gesicht reichen im Gefahrengebiet aus, um von der Polizei kontrolliert zu werden. Die Facebook-Community macht daraus ein Spiel.

Widerstand ist nicht zwecklos, Widerstand darf auch lustig und spielerisch sein, um auf eine nicht tragbare Situation aufmerksam zu machen. Aber das funktioniert nicht, wenn er die nicht tragbare Situation, die schon tausende Male kritisiert wurde, einfach noch mal reproduziert. Wir wissen alle: Im Gefahrengebiet gilt die Unschuldsvermutung nicht, Polizisten dürfen Personen ohne  begründeten Verdacht anhalten und kontrollieren. Wir wissen alle, dass das auch passiert. Die verkleideten Spaziergängerinnen denken aber, dass sie zwei hanseatische David Gales sind, die der Welt beweisen müssen, dass wirklich etwas passiert, von dem man bisher immer nur vermutet hat, dass es passiert. Aber während David Gale (wenn auch nur im Film) beweist, dass auch Unschuldige in den USA zum Tode verurteilt und hingerichtet werden (was ja immerhin schwer zu beweisen ist), beweisen die Spaziergängerinnen nur, dass die Polizisten in Hamburg gerade viele Menschen kontrollieren, vor allem solche, die Tücher vorm Gesicht tragen (was sehr leicht zu beweisen ist). Eigentlich wollen sie darauf aufmerksam machen, dass kein Mensch weiß, wie zur Hölle die Polizei "gefährliche" und "gewaltbereite" Personen erkennen will, schießen sich aber selbst ins Knie, indem sie erstmal sehr genau darüber nachdenken, wie Gewaltbereitschaft nach außen hin aussehen könnte und auf aktive Provokation aus sind. Und sich dann stark und mutig fühlen, wenn sie uns die schockierende Information präsentieren können, dass sie sich auf der Polizeiwache nackt ausziehen mussten. Nein, halt: beinahe nackt ausziehen mussten, denn sie haben sich ja, mutig wie sie sind, geweigert!  

Ja, ich weiß schon: "Auf diese Weise merken die Polizisten endlich mal, wie unsinnig ihre Kontrollen sind", ist ein beliebtes Argument für diese Spielerei. Und was bringt’s? Wütende Frustration oder Resignation auf Seiten der Polizei (keine gute Gefühlsbasis auf dem Weg zur Konfliktlösung) und hämische Genugtuung auf Seiten der Widerständler (s.o.). Das gleicht dem unreflektierten Rebellentum der Femen-Aktivistinnen, die im muslimischen Tunis oben ohne protestierten und damit untergraben, wofür tunesische Frauenrechtlerinnen dort kämpfen. Es ist Widerstand, der nicht den Rahmen nutzt, der ihm gegeben ist, sondern bewusst darüber hinausgeht und damit alle Brücken einreißt.

Und ja, ich weiß auch: "Wir wehren uns nur gegen den Unterdrücker- und Überwachungsstaat", ist ein anderes beliebtes Argument. Aber wer das, was in diesem Staat seiner Meinung nach schief läuft, ändern will, der soll froh sein, dass er immerhin in einem demokratischen Staat lebt, in dem es sehr viele Möglichkeiten gibt, sich zu engagieren, ohne dafür festgenommen zu werden und sich bis auf die Unterhose ausziehen zu müssen. Es aber drauf anzulegen, ist schlicht und einfach: Pubertät. In der man sich ja auch so gerne gegen Autoritäten auflehnt und die kleinen Muskeln spielen lässt – und zwar nicht, weil man den Willen und den Wunsch hat, die Autoritäten zu ändern, sondern um sich und den Buddies aus der Peergroup zu beweisen, was für ein harter Hund man ist.


Auf der nächsten Seite: Die Gegenrede von Katharina Elsner.



Die Polizei in die Irre führen ist gelebte Demokratie - findet Katharina Elsner.


Und zwar: Weil wir es können. Wenn ich eine Klobürste in meinem Rucksack und kleine Tüten mit Backpulver und Oregano in die Hosentaschen stecke, dann ist das eine Form real gelebter Satire. Wenn ich meinen schwarzen Kapuzenpullover über den Kopf und den dunklen Schal tief ins Gesicht ziehe, ohne dem schwarzen Block anzugehören, ist das eine Form des Widerstandes! Ein Widerstand, der auf die Straße getragen wird, der nicht nur im Internet stattfindet. Denn das ist unser Recht und unsere Pflicht. Generationen vor uns haben dafür gekämpft, gestritten und geblutet: Frei und ungestraft unsere Meinung äußern zu dürfen. Das und die Freizügigkeit sind zwei der wichtigsten Rechte in Deutschland, festgeschrieben im Grundgesetz.  

Die Hamburger Polizei hat dieses Recht außer Kraft gesetzt. Sie stellt mehr als 50.000 Einwohner im Schanzenviertel, in Altona und St. Pauli unter Generalverdacht, kontrolliert und stigmatisiert sie. Als Grund für die Einrichtung des Gefahrengebiets hat die Polizei einen gezielten Angriff von Vermummten auf die Polizeiwache an der Davidstraße angegeben. Der hat so allerdings nicht stattgefunden. Inzwischen wird stark angezweifelt, ob das autonome Umfeld überhaupt für die Verletzung des Polizisten verantwortlich ist, zumal der Beamte 200 Meter vom Revier entfernt angegriffen wurde. Wer auf St. Pauli wohnt, weiß: Rangeleien und Prügel sind auf dem Kiez keine Seltenheit, jede Woche strömen Feierwütige auf die Partymeile. Sternhagelvoll pöbeln die gern auch Uniformierte an.

Trotzdem entscheidet die Staatsmacht seit dem 4. Januar täglich aufs Neue, ob die Gefahrenzone gerechtfertigt ist. Selbständig und nach eigenem Gutdünken kann sie ihre polizeilichen Befugnisse erweitern. Eine richterliche Verfügung braucht sie nicht. Auf einmal ist die Polizei nicht nur Exekutive - sondern auch noch Legislative!

Diese Beschränkung der Grundrechte lässt sich nicht allein mit einem Hashtag thematisieren. Und das ist es doch, was uns sonst so oft vorgeworfen wird. Wir, die Vertreter der "Generation Y", seien unpolitisch und ich-bezogen, unsere Protestkultur verwische zwischen Facebook-Likes und 140-Zeichen-Kurzkommentaren. Die "Danger Zone" aber ist nicht nur ein Spiel im digitalen Netzwerk, das nötig ist, um den Widerspruch und Irrsinn des Gefahrengebiets zu entblößen. Es ist vor allem ein friedlicher Protest im realen Leben. Es ist Kreativität und gelebte Demokratie.


Text: jetzt-redaktion - Foto: dpa

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