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Auf der Suche nach der Clubformel

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"Genug Eis und eine frische Zitrone im Glas wären von Vorteil." Der Golden Pudel Club in Hamburg.

jetzt.de: Oft läuft eine Bar sehr gut, obwohl an derselben Stelle zuvor ein anderer Laden dichtmachen musste. Was ist das Geheimnis?
Oskar Melzer: Das Geheimnis heißt Qualität, Erfahrung und ein bisschen Glück.
Ralf Köster: Die einen haben es eben drauf und die anderen nicht. Und dann gibt es noch die, die das Richtige zur falschen Zeit machen. Ist man zu spät, ist man selber schuld. Besser man ist zu früh, auch wenn es einen manchmal zur tragischen Figur macht – das Schicksal vieler Innovatoren. Da hilft nur Stehvermögen und ein Clubmanagement, das einem vertraut, trotz regelmäßiger Verluste. Leider sind die meisten solcher Vorreiter Jahre später, wenn endlich die Ernte eingefahren wird, längst woanders und bekommen nichts mehr davon ab.
Sascha Arnold: Eine hilfreiche Grundregel ist: Du brauchst das richtige Netzwerk. Jeder Laden hat sein eigenes Klientel, und das musst du kennen. Es läuft ja so: Du machst was auf und lädst deine Freunde ein. Die haben normalerweise auch wieder ein Netzwerk und bringen das mit ein. Ansonsten sind es natürlich auch viele architektonische Kleinigkeiten: Es geht immer um Atmosphäre. Man will sich wohlfühlen. Ich bin wirklich kein Feng-Shui-Verfechter, aber gewisse Sachen stimmen einfach: Die Leute sitzen am liebsten in Ecken, verstecken sich ein bisschen, wollen nicht mit dem Rücken zum Eingang sitzen, wollen sehen, was im Raum passiert.



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Gibt es, rein formal, so etwas wie die drei goldenen Regeln für Gastro- und Clubarchitektur?
Melzer: Eine gute Soundanlage, den Dancefloor lieber zu klein als zu groß halten, und das Licht lieber zu dunkel als zu hell.
Köster: Nein. Jeder Club sollte seine eigenen Regeln finden und sich dann aber auch möglichst nicht zu stur daran halten, wenn er länger als eine Saison bestehen will. Okay, genug Eis, eine frische Zitrone im sauberen Glas und die Drinks nicht panschen – das wäre schon von Vorteil. Wichtig ist natürlich auch ein Programm, das sich nicht an anderen Clubs orientiert. Sonst könnte man ja gleich in die gehen.
Arnold: Falls es diese Regeln geben sollte, brechen wir in unserer Arbeit sicher die meisten. Wenn man alles nach Neufert, dieser Architektur-Bibel, machen würde, hätte der Tresen eine Höhe von 1,12 Meter bis 1,15 Meter und ein ordentliches Barbrett. Aber dadurch, dass wir in der Gastro eher Quereinsteiger sind, haben wir immer vieles anders gemacht. Im Ed Moses hatten wir eine Bar, die war neun Meter lang, nur 90 Zentimeter hoch und hatte kein Barbrett. Da hätte jeder gesagt: Vergesst es, das funktioniert nie, man muss den Drink doch abstellen können. Wir wollten aber, dass die Leute sich auf die Bar setzen, um die Hemmschwelle aufzulösen, die durch eine hohe Bar manchmal entsteht. Oder jetzt in unserer Bar James T. Hunt: Wir haben 0,25-Liter-Gläser für Helles. Fette Humpen würden in so einem kleinen Laden ziemlich unelegant aussehen, von Halbliterflaschen ganz zu schweigen. Unüblich, aber die Leute mögen es, so steht immer ein frisches Bier da. Es muss nicht immer alles Standard, DIN oder Neufert sein. Das Interessante ist meistens das Unkonforme, das ist ja nicht nur in der Gastro oder in der Architektur so.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Ich mag es sehr minimalistisch." Das Maxie Eisen in Frankfurt.

Wie geht man an den Entwurf eines Ladens am besten ran?
Melzer: Ich mache das jedes Mal intuitiv. Ich betrete den Raum und erfühle, wie er aussehen soll. Im Schaffensprozess verwerfe ich dann wieder einiges, stelle vieles in Frage und komme am Ende doch meistens zu den ursprünglichen Eingebungen zurück.
Köster: Die Location kann noch so gut und geeignet sein für einen Club, wichtig ist es, erstmal das Umfeld zu checken. Oft sind lärmempfindliche Nachbarn das Ende vom Lied. Der Rest kommt dann von allein, vorausgesetzt man hat eine Vision. Und gute Mitstreiter, die bereit sind, sich für die Sache gesundheitlich und mental auszubeuten. Es ist ja leider so, dass ein richtig guter Club in unserem System wirtschaftlich nicht rentabel ist und den Beteiligten nie eine Rente einspielen wird. Systemgastronomie jedenfalls funktioniert in Clubs nicht, und das ist gut so. Das Berghain zum Beispiel funktioniert nur an diesem einen Ort. Und auch das Nichtkonzept unseres Pudel Clubs lässt sich nicht einfach irgendwohin transformieren.
Arnold: Viele Leute nehmen sich Zeitschriften und sagen: Das ist schön, das ist schön und das ist schön, und das packen wir jetzt alles in diesen Raum. Man merkt dann, dass das eine zusammenkopierte Nummer ist und kein stimmiges Ganzes. Architekten hingegen geht es oft um Selbstverwirklichung, um Fugen, die sich vom Eingang hinten über den Tresen an der Rückverkleidung hochziehen. Das interessiert aber 99 Prozent der Besucher gar nicht. Ich mag es nicht, wenn Sachen zu geradlinig rüberkommen, Brüche sind wichtig. Und man sollte zwar ein Gespür für den Zeitgeist haben, aber trotzdem keinen Moden verfallen. Wir beschäftigen uns in unserer Arbeit zum Beispiel sehr viel mit Stoffen. Bei Herzog und de Meuron wurde ich damals als Detaillist eingestellt. Mit dem Begriff konnte ich seinerzeit noch nicht so viel anfangen, aber im Prinzip meinte es, dass viele Kleinigkeiten, zum Beispiel die Qualität des Leders oder die Zinnoberfläche der Bar, die als Detail vom einzelnen Gast möglicherweise gar nicht wahrgenommen werden, ein stimmiges Gesamtgefühl erzeugen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Bauhaus versus Trash ist das neue Ding." Detail aus dem Golden Pudel.

Welche aktuellen Trends, was Oberflächen und Materialien angeht, beobachtet ihr denn in der Club- und Barlandschaft?
Melzer: Trends haben mich noch nie interessiert, ich verfolge sie nicht. Ich mag es sehr minimalistisch. Am Ende bestimmen der DJ und der Sound die Stimmung.
Köster: Bauhaus versus Trash ist das neue Ding. Klare Linien im Abbruchhaus mit Rotlicht. Flavour, „form follows function“ und Steampunk-Barock.
Arnold: In den USA sind gerade klassische Materialien ganz groß: traditionelle Metro-Kacheln und Messing-Armaturen, alte Keramiken oder Carrara-Marmor. Das ist inzwischen auch bei uns angekommen.

Was muss man bei der Beleuchtung bedenken?
Melzer: Licht ist extrem wichtig und erfordert viel Fingerspitzengefühl. Meistens ist der Laden schon eine Weile geöffnet, bis das Licht sitzt. Am besten testet und justiert man es, wenn der Betrieb läuft und man Stimmung und Licht aneinander anpassen kann.
Köster: Im Club nie Kerzen in Reichweite der Gäste. Ansonsten: was gefällt und nicht in den Augen weh tut. Und immer auch den Notfall bedenken. Wenn man es sich nicht mit dem Feuerwehrhauptmann verderben möchte, sollte man auch hackedicht wieder aus einem Club herausfinden können. Allerdings geht ja der Trend wieder zum bewusstseinsbenebelnden Strobo-Flacker-Inferno. Das ist aber seit den 90ern schon nicht mehr meins. Dann lieber komplett ausgeleuchtete Neonröhren-Hallen mit Platz für Ausdruckstanz und Kajalstift unterm Lid.
Arnold: Da helfen Lux-Vorschriften oder Richtlinien wenig, es kommt auf Erfahrung und Gefühl an. Blau würde kein vernünftiger Mensch in seinen Club einbauen. Es hängt sich ja auch keiner Leuchtstoffröhren in sein Wohnzimmer – das ist nicht gemütlich, das ist Schlachthaus. Gerne mag ich diese Fadenglühlampen, die man stark herunterdimmen kann. In den USA verwenden die nur die. Warmes Licht empfinden die Menschen nachts als sehr angenehm. Im James T. Hunt kombinieren wir sie mit Kerzen in Wandhaltern von unseren Designfreunden Dante. Kerzen sind immer super, auf dem Tisch aber schwierig, weil da immer jemand dagegen knallt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Ich glaube, dass meine Projekte im Mainstream keinen Bestand hätten." Das Mogg & Melzer in Berlin.

Was lernt man in der Gastronomie über den Zeitgeist?
Melzer: In der Gastro gibt es nicht „die Leute“, es gibt nur Interessensgemeinschaften. Meine Idee von einem Laden ist sehr speziell und subkulturell, ich glaube nicht, dass man sie verallgemeinern kann. Ohne meinen Stil und Geschmack werten zu wollen – ich glaube, dass meine Projekte im Mainstream keinen Bestand hätten.
Köster: Die Leute wollten immer schon dasselbe: Hits hören, sich berauschen und einen Sexualpartner für den Morgen danach finden. Das ändert sich nie. Die Frage ist, ob man das so bedienen oder ihnen nicht doch eine bessere, andere Welt präsentieren sollte. Es gibt dort draußen noch so viel zu entdecken! Die Aufgabe eines guten Clubs ist doch auch, den Leuten etwas zu liefern, von dem sie vorher noch gar nicht wussten, das sie ohne nicht mehr sein wollen. Das ist wahre Jugendkultur, das ist Weltkulturerbe. Clubs sind die Kreativküche der Trendforscher und Produktmanager. Darum schicken die Hamburger Werbeagenturen ihre Angestellten zum Saufen zu uns. Ein Club ist immer auch eine Lernanstalt und ein Ausbildungsbetrieb für die Eliten der neuen Kreativgesellschaft. Ob es einem nun gefällt oder nicht.
Arnold: In den letzten Jahren geht der Trend auf jeden Fall Richtung warm, gemütlich und klein. Die Zeit der Großraumdiscos ist vorbei. Aber die Veränderungen gehen auch immer schneller. Früher hast du dir als Normalbürger ab und zu eine Zeitschrift angeschaut. Heute werden die Leute durch das Internet bombardiert mit Fotos und Trends aus der ganzen Welt. Als ich nach München gekommen bin, Anfang der 90er, gab’s den Wiener-Kaffeehaus -Stil. Das Puck, das Tresznjewski, das Café Wiener Platz, die News Bar. Alles hat gleich ausgesehen: dunkle Holzverkleidung, Thonet-Stühle, große Milchkaffeeschalen. Die Läden gibt es zwar immer noch, aber in den letzten fünf Jahren ist eine wahnsinnige Vielfalt dazugekommen. Die Leute sind anspruchsvoller geworden und bereit, mehr Geld für Essen und Trinken auszugeben. Ich beobachte das zum Beispiel in Läden wie der Salatkette Dean&David hier in München. Da sitzen mittags die Studenten und geben 8,50 Euro für einen Salat aus. Jeden Tag. Früher hat man sich für drei Euro was in der Mensa geholt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Der Trend geht Richtung warm, gemütlich und klein." Das James T. Hunt in München.

Was findet ihr komplett schlimm in Clubs?
Melzer: Schlechten Sound, wenn die Musik scheiße ist, das ist das Schlimmste. Und ich kann Clubs mit Chi Chi nicht ab, solche mit Tischen, wo man dann die dicken Flaschen am Tisch bestellt, das ist nicht meine Welt. Aber es ist ja so schwierig, generelle Aussagen über Clubs zu treffen, es kann ein Club beschissen aussehen – wenn die Stimmung geil ist, funktioniert’s trotzdem.
Arnold: Eine schlechte Anlage. Wenn der Bass so aggressiv ist, dass ich ihn im Körper spüre, muss ich sofort gehen. Die meisten bauen halt irgendwas, eine rechtwinklige Box, dabei ist das das Schlechteste, was man machen kann, weil dann der Schall hin- und herflattert. Was ich auch nicht ertragen kann, sind diese farbwechselnden, lichtarmen Lampen, die man in jedem Baumarkt kaufen kann. Ansonsten: schlechte Drinks.

Welche Läden in Deutschland findet ihr derzeit die besten?
Melzer: Im Moment findet man mich nur in meiner Bar Maxie Eisen in Frankfurt. Die Eröffnungsphase ist die spannendste. Ansonsten bin ich großer Fan vom Robert Johnson in Frankfurt, der Sound ist gut, die Architektur minimalistisch, die Details stimmen. Ich gehe aber kaum mehr in Clubs oder Bars, ich bin aus dem Alter raus.
Köster: Die Rote Flora in Hamburg, Das Molotow in Hamburg, die Hasenschaukel in Hamburg, Conne Island in Leipzig, Rote Sonne in München, Robert Johnson in Frankfurt, Salon des Amateurs in Düsseldorf, Festsaal Kreuzberg und Ritter Butzke in Berlin.
Arnold: Eine Bar, die mir gefällt, ist das King Size in der Friedrichstraße in Berlin. Ein simples, gut umgesetztes Konzept: Winziger Laden, einst das mieseste DDR-Pilspub, und die neuen Betreiber haben schöne Gläser gekauft, ab und zu mal einen guten DJ eingeladen und ihre Freunde dazugeholt. Die hatten ein hervorragendes Netzwerk, sodass von Anfang an die richtigen Leute reinkamen. Von den Drinks her mag ich die Schwarze Traube in Berlin-Kreuzberg. Clubs besuche ich mittlerweile seltener.

Ist Deutschland eigentlich ein gutes Land, was die Möglichkeiten als Gastronom angeht?
Melzer: Von den Clubs her ist zumindest Berlin die beste Stadt der Welt. Das liegt an der exzessiven Feiergewohnheit hier. Ich würde immer wieder behaupten, dass die Panorama Bar der beste Club der Welt ist. So stellt sich doch ein achtjähriges Kind einen Club vor: Die Leute tanzen, schwitzen und die Stimmung ist der Wahnsinn. Gastromäßig allerdings, glaube ich, ist Deutschland das schlechteste Land der Welt. Es gibt einfach keine richtige Esskultur, und auch wenn gerade kulinarisch sehr viel passiert, vor allem in Berlin, ist es noch immer meilenweit von London oder New York entfernt. Und das liegt natürlich auch daran, dass wir viel zu wenige Immigranten haben.
Arnold: Massen von Ravern fliegen ja jedes Wochenende nach Berlin, vor allem aus Spanien und England. Angeblich gäbe es die Hälfte der Berliner Clubs gar nicht, wenn es international nicht dermaßen angesagt wäre. Auch München hat einen sehr guten weltweiten Ruf. Die Mieten und DJ-Gagen sind zwar sehr hoch, aber dafür auch die Kaufkraft der Gäste.

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