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Ich, Jana

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Die Frau auf dem Bürgersteig starrt mich an, als liefe ich in einem durchsichtigen Minirock herum. Dabei ist das Unsinn, ich trage einen Jeansrock. Durchaus figurbetont, aber züchtig knielang. Dazu Strumpfhosen, blickdicht, und einen sorgfältig geflochtenen blonden Zopf über der linken Schulter. Nichts ist unangemessen an diesem Outfit, nicht mal im aufgeräumten München-Schwabing an einem Samstagnachmittag. Endlich löst die Frau ihren Blick und guckt ruckartig auf ihre Tochter, die im Kinder-Schneeanzug auf mich zutorkelt. Zwei Schritte, dann hat sie die Tochter an der Hand und zieht sie zu sich her.

Na wunderbar. Seit einer halben Stunde sehe ich aus wie eine Frau, und die Leute haben Angst vor mir? Eigentlich war die Idee lustig gemeint: einmal zu testen, ob ich als Frau anders behandelt werde als als Mann. Würde man mir die Tür aufhalten? Getränke spendieren? Blöde Sprüche reißen? Was man sich halt so überlegt, wenn man mit Freunden an der Bar sitzt, von denen eine als Maskenbildnerin am Theater arbeitet. Aber was an diesem Nachmittag als erstes passiert, ist eine andere Geschichte, und die ist deutlich weniger lustig: Die Leute behandeln mich weder wie eine Frau noch wie einen Mann. Sie behandeln mich wie ein Monster, weil ich nicht auf den ersten Blick in die eine oder andere Kategorie passe. Ich ernte angewiderte Blicke, manche wechseln die Straßenseite. Ein Transsexueller muss sich in Schwabing grauenhaft fühlen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Jan als Jana in einer Münchner Bar.

Dabei könnte mein Kostüm nicht echter aussehen. Cati, die Maskenbildnerin, hat meine Haare in Gel getränkt, unter ein enges Netz gelegt, eine perfekt sitzende Echthaarperücke drübergeklebt und mich nach allen Regeln des Handwerks geschminkt. Ich bin so glatt rasiert wie seit Jahren nicht, orangefarbene Creme bedeckt den bläulichen Bartschatten, "die Komplementärfarbe deckt am besten", hatte Cati gesagt. Darüber legte sie eine dicke, aber nicht obszön dicke Schicht Make-up. Sie malte meine Brauen schmaler und gab ihnen einen eleganten Schwung, färbte meine Lippen rot, aber nicht sehr rot.

Denn ich wollte einen Tag und eine Nacht als Mädchen erleben. Nicht als Rosenmontags-Transe mit pinkem Bob und Luftballon-Oberweite. Eine normale Frau an einem normalen Samstag. Nach einer Stunde in der Öffentlichkeit weiß ich: Zumindest bei Tageslicht wird es damit nichts. Allerdings ahne ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts von Daffi und seinen Kollegen an der Bar. Oder von den Jungs, die mich auf der Tanzfläche einkreisen werden wie Cowboys ein geflohenes Kalb. Bis dahin sind es jetzt noch zwölf Stunden.

Cati und ich setzen uns in ein Café an der Uni und es passiert: nichts. Die junge Kellnerin bringt uns die Karte, nimmt die Bestellung auf. Kein Stirnrunzeln, kein Lächeln, kein "na, wo steigt heute die Drag-Party?" Eher im Gegenteil, sie wirkt überhöflich und nickt mechanisch wie eine Nähmaschine. Falls sie befremdet ist von der Blondine mit dem auffallend breiten Unterkiefer, die da vor ihr sitzt, verdeckt sie das mit einer sehr dicken Schicht demonstrativer Gleichgültigkeit. Selbst wenn sie gespielt sein mag: Nach meiner Begegnung mit der Frau auf der Straße fühle ich mich bei der Kellnerin deutlich wohler.    

Jana muss schweigen

Am schlimmsten, das hatte ich schon geahnt, ist die Sache mit der Stimme. Meine ist naturgemäß ziemlich tief. Wenn ich sie hochstelle, klingt sie fistelig wie die von Robin Williams in "Mrs. Doubtfire". Ich beschließe, dass Jana eine schweigsame Femme Fatale sein muss, wenn das Experiment irgendeine Erkenntnis bringen soll.    

Abends stehen wir am Tresen in einer dunklen Bar mit halblauter Musik. Noch sechs Stunden, bis Daffi mich anquatscht. Ich trinke den zweiten Gin Tonic, ein Pils wäre mir lieber, aber ich will meine Tarnung nicht unnötig gefährden. Cati hat mich umgestylt: Die Haare fallen jetzt offen bis auf Brusthöhe, auf dem Kopf sitzt eine Mütze. Die Ausgeh-Jana ist ein bisschen hip, Cati hat sich beim Styling nach dem britischen Model und It-Girl Cara Delevingne gerichtet. Die hat dieselbe Haarfarbe wie ich heute. Und fast so buschige Augenbrauen.    

Aber irgendwas muss mich noch drastisch von ihr unterscheiden: Niemand reagiert auf mich, außer der Barkeeper, wenn ich mein leeres Glas hochhalte. Ich weiß nicht, was genau ich erwartet hatte. Aber dass man als Frau alleine in einer Bar automatisch von Kerlen umzingelt wird? Eine schwachsinnige Männeridee. Cati sieht die Enttäuschung in meinen Augen. "Wart’s ab, das Baggern geht immer erst später los."   



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Mitternacht. Ich öffne die Tür zu einer anderen Bar. Sie heißt Geyerwally, was ein lustiger Zufall ist. Der Name kommt nämlich vom Roman "Die Geier-Wally", und der handelt von einer Tiroler Bauerntochter namens Walburga Stromminger, die stärker ist und tapferer als alle Männer im Tal. So ähnlich fühle ich mich auch. Ich trage zwar einen BH, Puder und Lippenstift. Aber ich habe mich fast noch nie so männlich gefühlt. In der Rolle der Jana merke ich, welche doch ziemlich drastischen Spuren das Testosteron seit meiner Pubertät hinterlassen hat: Meine Hände kommen mir gartenschaufelhaft groß vor. Aus meinen Unterarmen stehen grotesk dicke Venen hervor. Mein Gang ist so o-beinig, als würde ich im Hauptberuf Rodeo reiten. Mir wird klar: Ich bin auch nachts nicht gerade eine schöne Frau.   

Kurz vor zwei Uhr morgens, wir treten vor einen Club. Der Türsteher nickt mir zu und tritt zur Seite. Ich komme ziemlich oft hierher, schon auf der Treppe in Richtung Garderobe kommt mir eine Bekannte entgegen, mit der ich zweimal essen war. Ihr Blick streift mein Gesicht. Mein überschminkter Adamsapfel hüpft vor Angst. Aber sie geht vorbei, ohne auch nur zu blinzeln. Im Halbdunkel bin ich tatsächlich authentisch, sogar für Leute, die mich kennen. Jana ist auf sich allein gestellt.    

Letzte Etappe: "Resteficken"

Und dann ist es vier, und ich erlebe die zweite Überraschung des Tages. Ich kenne diese seltsame Stimmung, die in Clubs manchmal frühmorgens entsteht: Die hübschesten Mädchen sind mit den hübschesten Jungs nach Hause gegangen, die Langweiler und die Nüchternen auch. Was bleibt, sind die Einsamen, die sexuell Hungrigen und die, die sehr viel zu feiern haben. "Resteficken" nennen manche diese Torschlussphase, in der beim Flirten plötzlich riesige Kompromisse gemacht werden, weil die Auswahl dramatisch kleiner wird. Es ist die Stunde, in der mir vielleicht sogar meine Gartenschaufelhände und O-Beine verziehen werden. Und ich spüre, dass ich Recht habe, als mir jemand die Hand auf die Schulter legt.    

Es ist Daffi, Anfang 30, mit weißem T-Shirt und stämmigen Oberarmen. "Du siehst so aus", brüllt er mir ins Gesicht, "als hättest du gern ’nen Drink." Im Augenwinkel sehe ich, wie Cati heimlich eine triumphierende Beckerfaust macht. Aber was tue ich: Mitgehen? Nicht mitgehen? Ich fühle mich gemein, weil ich sicher bin, dass der schon stark schwankende Daffi keine Ahnung von meinem wahren Geschlecht hat. Darf ich ihn so verarschen? Was, wenn er mich enttarnt? Andererseits: Wollte ich nicht genau das erfahren? Wie es ist, als Frau angebaggert zu werden? Ich klimpere so schüchtern mit meinen geschminkten Augenlidern wie ich kann. Und nicke.    

Daffi ist nett. Er brüllt mir ins Ohr, dass er von außerhalb komme und erzählt von seiner Firma und, etwas irritierend, von seiner Freundin. "Dabei bin ich echt kein Arsch", lallt er dreimal hintereinander und schielt links an mir vorbei. Ich nicke und versuche, möglichst nichts zu sagen. Was gar nicht schlimm ist, denn Daffi scheint sich für Details jenseits meines Vornamens nicht zu interessieren. Schlimm wird es aber, als er mich an der gut beleuchteten Bar seinen Arbeitskollegen vorstellt. "Das ist die Jana", ruft er und ich schüttle zwei Hände. Von Männern in Hemden, die so aussehen, als hätten sie mindestens fünf Drinks weniger in sich als Daffi. Blicke zwischen Skepsis und unverbrämtem Entsetzen, aber zu meiner Erleichterung: keine Nachfragen. Ab vier Uhr morgens ist Smalltalk an der Bar unnötiger Tand. Daffi bekommt davon nichts mit, er hängt stierend an der Bar und scheint längst vergessen zu haben, dass er mir einen Drink angeboten hatte. Als ich mich umdrehe und gehe, blickt er nicht mal auf.    

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Unten auf der Tanzfläche hat die Jagd begonnen. Cati und ich stehen am Rand und tanzen. Zweier- und Dreiergruppen betrunkener Männer umkreisen uns wie schlecht navigierte Satelliten. Sie scheinen nur darauf zu warten, dass wir uns ihnen zuwenden. Als ich mich testweise umdrehe und einen von ihnen anlächle, streichelt er meine Haare und kommt tanzend näher. Ein kleiner Bärtiger greift von hinten nach meinem leeren Glas und schüttet aus einer Flasche vier Finger breit Pastis hinein. Es ist unheimlich. Warum bin ich automatisch so passiv? Ich sehe mich um. Der Club hat sich in zwei Lager geteilt, das erkenne ich jetzt in meiner durchgeschwitzten Maskerade: Es gibt das Meer der betrunkenen Männer, das ausladend wankt und mit geschwollener Brust die Arme nach oben reißt. Und dazwischen kleine Inseln aus Frauen, die jetzt bis auf wenige Ausnahmen nur noch miteinander tanzen und dabei auf den Boden gucken, als wollten sie bloß niemandem mit einem zu langen Blick Hoffnung machen. Noch nie ist mir das aufgefallen. Aber jetzt fühle ich mich furchtbar. Als Mann, als potenzieller Resteficker, als Schwein im Schafspelz.    

Wir gehen zur Garderobe und holen unsere Jacken. Und kurz bevor wir raus ins Morgengrauen treten, versöhne ich mich doch noch kurz mit der Nacht und der Welt und vor allem den Männern darin. Denn der Türsteher drückt vor uns die Tür auf und lächelt. Und dann sagt er: "Kommt gut heim, Mädels. Da hinten steht ein Taxi."

Text: jan-stremmel - Fotos: Tanja Kernweiss

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