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Tänzer vs. Zuhörer

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Die Situation:

Zum Beispiel die Münchner Theaterfabrik. Und da das Konzert von Tom Odell, einer dieser angenehm unbärtig-sensiblen Singer-Songwriter, von denen es in den Neunzigern mehr gab. Viel Schmerzendes besingt der und schraubt sich dabei auf hohe Stufen der Leid-Ekstase. Seine Musik groovt aber manchmal auch sehr manierlich. Ein Drittel des Publikums ist also verliebt in ihn. Ein Drittel wäre gern wie er. Und ein Drittel wäre gern verliebt, fühlt sich aber zu alt und zu verheiratet für solche Sperenzchen. Alle wollen ihre Sympathie bekunden, der Auftritt ist nämlich sehr gut, alle aber anders. Eine Frau, von der Statur her ein bisschen wuchtig und eindeutig Kategorie drei, vollführt den „Nussschale-auf-offener-See-bei-Sturm-Wackeltanz“: schnelles Links-Rechts-Zappeln unter großem Armwedeln oben, langsames Vor-und-zurück-Wiegen unterhalb der Gürtellinie. Kein einfacher Tanz, aber wenn er gelingt, braucht er viel Platz. Deshalb stößt sie mit dem Bug regelmäßig an ein Mädchen aus Kategorie eins, das über versonnenem Schmachten an Reaktionsfähigkeit eingebüßt hat. Fünf Mal geht das glimpflich ab, sechs Mal, sieben Mal – Ellbogen werden in Position gebracht: wirkungslos –, acht Mal, neun Mal – das reicht! Es folgen: Auf-die-Schulter-tippen, ein bisschen Geschrei, viel Kopfschütteln und ein Frieden, mit dem alle unglücklich sind.
  

Dort treffen sie aufeinander:

Überall, wo sowohl verstärkt getanzt als auch verstärkt zugehört wird. Fast immer also auf Live-Konzerten mit echten Instrumenten, viel seltener, wenn nur DJs auflegen (hört niemand zu). Besonders prädestiniert: Open-Airs auf dörflichen Wiesen. Da legen die Tänzer besonders viel Ausdruck in ihre Bewegungen. 

Darum hassen diese beiden einander:

Es ist schon auch ein Kampf der Charaktere. Aber es ist noch mehr. Ein Wettstreit verschiedener Emotionsbekundungen. Die Frage, wer heftiger liebt. Und letztlich das eine große Thema: Wie ist Musik zu genießen? In stiller Bewunderung Künstler und Moment absorbieren? Vielleicht gar reflektieren? Oder die angestaute Energie wieder in die Welt entlassen, was auch immer heißt, wenigstens ein bisschen sich selbst zu feiern? Außerdem sieht man immer furchtbar schlecht auf Konzerten – und einer muss daran ja schuld sein.
  

Das ist die besondere Schönheit dieses Konflikts:

Er bricht ein großes Thema auf ein paar verhältnismäßig kleine Beckenbewegungen runter – und dabei auch noch mit Generationen-Klischees. Denn tanzen und rempeln, das tun die Alten mindestens (!) genauso rüpelig wie die Jungen. Wahrscheinlich sogar ungebremster (Stichwort: Trägheit der Masse).
 

Das können wir von ihnen lernen:

Vorwärts, Rückwärts, Seitwärts, rein. Hacke, Spitze, hoch das Bein. Viel mehr ist leider nicht drin.

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