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Eine Schicht Sicherheit

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Wir sehen drei Fotos von einem durchtrainierten jungen Mädchen. Auf jedem Bild sieht sie aus, als würde sie sofort losjoggen, wie in einer Sportartikel-Werbung, auf einem der Bilder nestelt sie sogar an ihren Shorts herum. Aber in diesem Video wird keine neue körperformende Sportkleidung vorgestellt, sondern – mit einem ziemlich missglückten Einstieg – auf ein ernstes Thema hingewiesen: dass in vielen Teilen der Erde Frauen - und auch Männer! - nicht auf die Straße gehen können, ohne Angst vor Gewalt und sexuellen Übergriffen zu haben. 

http://vimeo.com/74514464  

Hinter dem Video stecken Yuval und Ruth – nur ihre Vornamen sind bekannt – von der New Yorker Firma AR Wear (AR = Anti Rape). Sie haben etwas erfunden, mit dem man ihrer Meinung nach dieser Gefahr begegnen könnte: "Anti-Vergewaltigungs-Hosen". Den Slip, die Shorts und die Sporthose, die sie in ihrem Video vorstellen, kann nur die Trägerin selbst ausziehen, was sie vor sexuellen Übergriffen schützen soll, auch wenn sie unter Einfluss von Drogen, Alkohol oder K.O.-Tropfen steht. Die Idee dazu hatte Yuval, als er von einem Mädchen las, das überfallen wurde: Ihr Angreifer hatte ihr die Kleidung in weniger als einer Minute ausgezogen und sie vergewaltigt.
Im Netz wird die Anti Rape Wear viel diskutiert, und das, obwohl noch nicht einmal der finale Prototyp genäht ist. Dafür treibt AR Wear gerade noch Spenden auf der Crowdfunding-Plattform Indiegogo ein.



Die Hosen sehen aus wie eine Mischung aus Shape-Wear und "Keuschheitsgürtel". Der Bund wird mit besonderen Schrauben und einem Schließsystem gesichert, die die Hose am Körper fixieren und die man nur entfernen kann, wenn man weiß, wie man sie am Bund "entsichert". Anders kann man die Hose nicht herunterziehen. Eine besondere Gewebestruktur sorgt dafür, dass man sie weder zerreißen oder zerschneiden kann.  

Als "Selbstvertrauen und Schutz zum Anziehen" bewerben Yuval und Ruth ihre Kollektion in ihrem Video: Wenn eine Frau zu einem Blind Date, abends zum Joggen oder in den Club gehe, in ein fremdes Land reise oder in einer anderen Situation sei, in der sie einen Angriff befürchte, könne ihr die Anti-Rape-Wear ein sicheres Gefühl geben. Waffen zur Selbstverteidigung dagegen, wie Tränengas oder Pfefferspray, würden von Angreifern oft gegen die Opfer verwendet.

Ob das Ganze wirklich funktioniert, ist fraglich - und wird auf Twitter, Blogs und anderen Webseiten gerade viel diskutiert. Der größte Kritikpunkt an ihrer Idee ist, dass ein Angreifer dadurch erst recht in Rage geraten und dem Opfer noch mehr Gewalt antun oder es womöglich umbringen könnte. Dazu haben Yuval und Ruth viele Studien gelesen, die das Gegenteil besagen: Widerstand erhöhe bei sexuellen Übergriffen die Wahrscheinlichkeit, eine "vollständige" Vergewaltigung zu vermeiden, schreiben sie, und zwar ohne dass das Opfer dafür physisch verletzt werde.  

"Produkt des Jahrhunderts" oder "reaktionäre Innovation"? 


In den Kommentaren im Netz ist von "Könnte das Produkt des Jahrhunderts werden" bis "reaktionäre innovation im schritt" alles dabei. Die zum Großteil berechtigte Kritik dreht sich um ganz verschiedene Aspekte: dass im Video bis auf eine Mini-Dia-Show mit ein paar Stock-Fotos ausschließlich hübsche, junge, weiße Frauen als potenzielle Vergewaltigungsopfer dargestellt würden. Dass die Frauen im Video zu sexy seien (– nur "Die ziehen sich so an, die wollen das doch" kam noch nicht vor). Dass nicht nur Frauen Opfer sexueller Gewalt würden und diese nicht nur über Penetration erfolge. Dass der Slogan "for when things go wrong" simuliere, eine Vergewaltigung sei eine Art Unfall, ein Missgeschick. Dass so ein Produkt Frauen noch mehr in eine Opferrolle dränge. Dass man die Wäsche vermutlich nicht anziehe, wenn man sich mit einem Bekannten oder Verwandten treffe – laut Statistik kennen aber fast 75 Prozent aller Vergewaltigungsopfer ihren Angreifer vorher. Außerdem würde ein Opfer, wenn es gewaltsam bedroht wird, die Hose auch selbst ausziehen.
Auch Technisches wird hinterfragt, zum Beispiel, was man macht, wenn man dringend auf die Toilette muss, oder was passiert, wenn man einen Unfall hat und die Ärzte im Krankenhaus die Hose nicht wegschneiden können. Auch über den Preis, zu dem die Hosen verkauft werden sollen, und die Größen, in denen sie produziert werden, wird spekuliert.

Yuval und Ruth ist bewusst, dass mit ihren "Anti Rape"-Hosen nicht das Prinzip der Vergewaltigung abschaffen werden. Sie schreiben, dass dafür andere Sachen passieren müssen: eine umfassende Aufklärung in der Schule, dass das Melden von Vergewaltigungen erleichtert wird und Angreifer vor Gericht gebracht werden, dass man die Menschen zu diesem Thema sensibilisiert und Zivilcourage fördert. Ihre Hosen sollen ein Anfang sein und Frauen und Mädchen mehr Sicherheit geben, sie im Notfall möglicherweise schützen und dem Angreifer eindeutig vermitteln, dass sie keinen sexuellen Kontakt möchten.  

Trotz der Kritik haben die "Anti-Vergewaltigungs-Hosen" mit ihrer Crowdfunding-Kampagne bisher viel Erfolg: Auf Indiegogo wollen sie dafür bis 22. November 50.000 US-Dollar sammeln. Fast 37.000 haben sie bereits in den ersten dreieinhalb Wochen zusammenbekommen. Im Juli 2014 wollen sie den finalen Prototypen fertig gestellt haben.  

"Warum können wir nicht etwas erfinden, das gegen Vergewaltigungen hilft?"  


Yuval und Ruth sind nicht die ersten, die mit einem Kleidungsstück experimentieren, das sexuelle Übergriffe verhindern soll. Die indische Ingenieurwissenschafts-Studentin Manisha Mohan hat diesen Sommer einen "Elektroschock-BH" vorgestellt: Potenziellen Vergewaltigern verpasst dieser einen 3.800 Kilovolt starken elektrischen Schlag, sobald sie an die Brust ihres Opfers fassen; außerdem wird eine SMS an die Polizei geschickt, samt Koordinaten, die der eingebaute GPS-Sender liefert. Die Idee dazu hatte sie, nachdem im Dezember 2012 ein indische Studentin in Delhi brutal vergewaltigt wurde und wenig später an den Verletzungen starb. Danach protestierten Tausende auf den Straßen gegen sexuelle Gewalt und die Strafen für Sexualstraftäter wurden verschärft. Eine andere Erfindung stellte die Südafrikanerin Sonnet Ehlers 2005 der Öffentlichkeit vor: das "Anti-Vergewaltigungs-Kondom" Rape-aXe, ein Femidom, das man in die Vagina einführt und bis zu 24 Stunden tragen kann. Seine nach innen gerichteten Widerhaken bohren sich bei der Penetration in die Haut des Penis'. Nur ein Arzt kann dieses Femidom wieder entfernen, deswegen würde damit ein Vergewaltiger eindeutig als solcher überführt werden.  



Vom "Elektroschock-BH" und dem "Anti-Vergewaltigungs-Kondom" hat man seitdem nichts mehr gelesen. In Ländern wie Indien und Südafrika dürften sie auch viel zu teuer sein, um bei denen anzukommen, die sie am dringendsten brauchen würden. Gleichzeitig erwecken solche Erfindungen, mit denen man sich vor Vergewaltigungen zu schützen hat, bevor man auf die Straße geht, den Eindruck, die Opfer seien selbst schuld, wenn sie keine davon benutzen. Auch die "Anti Rape"-Unterhosen sind eine reaktionäre Erfindung. Aber: Wenn auch nur ein Opfer den Augenblick der Schwäche oder des Schocks ihres Angreifers nutzen und fliehen kann, hat sich die Sache schon gelohnt.


Text: kathrin-hollmer - Foto: AR Wear, Screenshot: Twitter

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