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Madame mit Courage

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Der Wecker klingelt um 5.15 Uhr. Eine gute Stunde bleibt
 jetzt, um sich selbst fertig zu machen; duschen, anziehen, schminken, in die Gänge kommen. Spätestens um halb sieben muss sie ihre Tochter Eleni aus dem Bett werfen, unter deren Protest anziehen und davon überzeugen, dass so eine Semmel zum Frühstück was ganz Feines ist. Schnell die Sachen packen und dann los zur U-Bahn. Wenn Marine ihre Tochter gegen acht im Kindergarten abgeliefert hat, ist sie eigentlich so weit, dass sie schon wieder selbst duschen könnte. Aber dann geht sie in die Bib, büffeln, es sind nur noch wenige Monate bis zu den mündlichen Prüfungen. Sie setzt sich als eine der ersten an einen der Schreibtische im Lesesaal. Und hat im Gegensatz zu den meisten anderen schon drei Stunden hinter sich.  

Nein, bemitleidet werden will die Jura-Studentin nicht. Was sie eher braucht, ist finanzielle Unterstützung und jemanden, der ihr etwas zutraut. Die 27-Jährige steckt nicht nur in den Endzügen ihres Studiums, sondern hat auch eine fast fünfjährige Tochter.    

Sie ist damit eine von 101.000 Studierenden mit Kind, die eine Studie des Hochschul-Informations-Systems (HIS) im Sommersemester 2012 zählte. Vier Prozent aller in Deutschland Immatrikulierten jonglierten 2012 also zwischen Wickeltisch und Mensa. Und eines steht fest: Uni, Kindergarten und Job unter einen Hut zu bekommen ist eine „besondere Lebenssituation“, wie die Studienautoren es formulieren.  

Marine, 27, steht kurz vor den Prüfungen. Sie ist froh, dass sie Unterstützung bekommt.

Im Vergleich zu 2009 hat die Zahl der Eltern an der Uni zugenommen, um etwa 6.500. Das liegt aber weniger an höheren Geburtenzahlen, sondern an den allgemein gestiegenen Studierendenzahlen, wie es in der HIS-Studie heißt. Es gibt auch mehr Alleinerziehende unter den Studenten. Zog 2009 nur jede 14. Studentin ihr Kind alleine groß, war es 2012 schon jede neunte. Marine ist eine von ihnen.  

Geplant war das so nicht. Marines Tochter Eleni ist am 3. Dezember 2008 geboren. Es war ein Wunschkind, sagt sie und schiebt hinterher: „Es ist zwar etwas merkwürdig in unserer Gesellschaft, aber ich hatte einfach den Wunsch, Mutter zu sein.“ Nur: „Mit dem Papa hat es leider nicht geklappt." Der wollte nicht akzeptieren, dass sie so viel Zeit in ihr Studium investiert.  

Ein „großes Glück" nennt die zierliche Studentin mit den langen dunklen Haaren und der Hornbrille deshalb die Unterstützung, die sie vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Bayern bekommt. Seit einem Jahr fördert der mit seinem Projekt "Madame Courage" alleinerziehende Studentinnen in den letzten beiden Semestern mit einem Stipendium in Höhe des Bafög-Höchstsatzes, also mit rund 500 Euro – eine Gruppe, die laut HIS wegen der Mehrfachbelastung durch Kind, Uni und Job besondere Unterstützung braucht. Es ist eine von mehreren Fördermöglichkeiten für Studierende mit Kind. Doch während sich die Unterstützung der Bundesstiftung "Mutter und Kind" oder der gleichnamigen Landesstiftungen allgemein an Mütter richtet, ist "Madame Courage" speziell für Studentinnen mit Kind gedacht. Und statt Sachspenden, die es teilweise bei Beratungsstellen für Alleinerziehende gibt, gibt es beim SkF für die Studentinnen Bares.   

Die Idee: Die jungen Frauen sollen sich ohne Geldsorgen auf die Examensvorbereitung konzentrieren können. Das Geld dafür – bisher insgesamt 50.000 Euro – bekommt der SkF von der Dr. Harry und Irene Roeser-Bley-Stiftung. Die Stifterin selbst, so berichtet Monika Meier-Pojda vom SkF, hätte selbst gern studiert. Ihr kamen aber der zweite Weltkrieg und ihr Sohn dazwischen. Zusätzlich zum Geld bekommen die Mütter Gespräche und ermutigende Worte von der Projektleiterin. "Das sind durchwegs sehr toughe junge Frauen, die werden ihren Weg machen", meint Monika Meier-Pojda vom SkF, der sich normalerweise um Frauen und Mütter kümmert, die nicht nur finanzielle, sondern auch psychische Probleme haben. . Das Konzept scheint aufzugehen. Marine jedenfalls hat nicht länger studiert als ihre Kommilitonen und kommt bisher sogar auf einen sehr guten Schnitt.  

Vor den mündlichen Prüfungen im Januar hat sie dennoch etwas Bedenken. Teilweise sei es schon sehr, sehr hart gewesen, sagt sie. Das viele Lernen, die Repetitorien. Vielleicht sei sie im Vergleich zu ihren Kommilitonen aber psychisch eher etwas gestärkt in die Prüfungen gegangen, gestärkt durch ihre „spezielle Situation“, wie sie das Austarieren zwischen Kind und Uni nennt. Sie sagt, sie habe einen besonders großen Ehrgeiz, auf keinen Fall wolle sie scheitern. Und wenn doch – dann solle es nicht heißen, es liege an ihrem Muttersein.  

Aus der Statistik sticht sie damit heraus. Die sagt nämlich: Wer mit Kind studiert, braucht länger – durchschnittlich ein Semester länger unterbrechen Eltern das Studium im Vergleich zu ihren Kollegen ohne Kind. Die meisten Mütter und Väter finden sich in den Sozialwissenschaften. Eine angehende Juristin wie Marine ist dagegen eher eine Ausnahme. Bei den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften liegt die Elternquote gerade mal bei zwei Prozent. Und im Schnitt sind Eltern an der Uni älter als ihre Kommilitonen. Marine gehört zu den zwei Prozent, die 24 oder jünger bei der Geburt waren.  

Und so ist sie unter ihren Jura-Kommilitonen weit und breit die einzige, die nach der Vorlesung auf den Spielplatz geht. Das mache aber nichts, meint sie. Bereut habe sie ihre Entscheidung nie. Ihre Tochter, sagt sie, sei das Beste, was ihr passieren konnte. Aber es sei trotzdem schön zu erleben, wenn da jemand wie beim SkF an sie glaube. Denn den Mut – den man ihr bei Madame Courage zuspreche – den brauche sie schon manchmal, wenn der Wecker um 5.15 Uhr klingelt.

Text: veronika-wawatschek - Foto: privat

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