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Blute mir am Arsch vorbei

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Menschen haben Körper und dass die nicht immer glatt und sauber sind, sieht man täglich im eigenen Badezimmer, im Schwimmbad, auf YouPorn und auf Fotos von Wolfgang Tillmans. Um so einem Körper nahe sein zu wollen, ihn mitsamt all seiner Haare, Poren, Falten, Unreinheiten, Schuppen und schmierigen Säften näher betrachten, anfassen und vielleicht sogar schmecken zu wollen, braucht es schon irgendeine Art von innigem persönlichen Bezug zu ihm. Man will die Vagina oder den Penis eines Menschen nur dann riechen und angucken, wenn das Unterbewusstsein einem sagt: Diese Person willst du jetzt, und zwar, genau, mit Haut und Haaren, vielleicht sogar mit Blut, egal, Fortpflanzung now!  

Ist das allerdings nicht der Fall, stößt einen die allzu intensive Konfrontation mit diesen Haut-und-Haaren der anderen eher ab. Rein intuitiv und biologisch. Und deshalb funktioniert es auch immer wieder, die Leute mit groß ausgestellter Zoom-Nacktheit zu irritieren. So wie gerade beim neuesten T-Shirt von American Apparel. Die feministische Autorin Petra Collins, bekannt aus den sonst sehr sympathischen feministischen Kreisen rund um die Rookie-Macherin Tavi Gevinson, hat eine haarige, blutende Vagina gemalt, die jetzt sehr groß auf diesem T-Shirt prangt und weltweit verkauft wird.  

Das finden sehr viele sehr eklig, auf einigen Seiten und Blogs sind ganze Diskussionen darüber entbrannt, ob American Apparel da denn nicht zu weit ginge und so weiter. Dass sich darüber aufgeregt wird, ist natürlich auch die Intention des Shirts. Von Apparel selbst kommen deshalb Kommentare, die ungefähr so klingen: Na, na, da zeigt sich aber mal wieder, wie verklemmt das Thema weiblicher Körper noch behandelt wird. Zeit, das Tabu zu brechen, Freunde!

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Was irgendwie keiner kapiert hat: 1968 ist längst vorbei. Sogar 2010 ist längst vorbei. Es wurde in den letzten zehn Jahren alle mögliche Geschlechtskunst gemacht, ob das schlaffe Schwänze in Vasen oder in Ton gegossene Schamlippen waren - Menschen, die mit dauerverfügbaren Hardcore- und Amateurpornos und Kunstaustellungen von Fotografien krummer Penisse und rotgerubbelter Vaginas aufgewachsen sind, schockt Nacktheit nicht. Sie langweilt sie eher. Oder eben: Sie ekelt sie. Einfach, weil Geschlechtssachen  schöner sind, wenn sie still und intim bleiben und jedes Mal anders, neu und nur für einen selbst groß und bedeutsam werden. Der Ekel über zuviel Haut ist also nichts Katholisches und hat nichts mit gesellschaftlichen Tabus zu tun. Geschlechtsteile, wurscht, ob männlich oder weiblich, in Schlachtersmanier an jeden öffentlich verfügbaren Haken zu hängen ist meist einfach nur ein klassischer Fall von „Too much information.“

Westlich sozialisierte Menschen, die im Jahr 2013 hysterische Blogeinträge wie diesen hier über das vermeintliche Tabuthema der Menstruation schreiben, auf Demonstrationen immerzu ihre Brüste zeigen wollen, ganz viel "Vädscheina", Schwanz und Muschi rufen müssen, sich Avocadokerne in den Arsch schieben und drüber Romane schreiben, sich nackt und breitbeinig auf den Marktplatz setzen und „Mein Körper gehört mir“ schreien, sind noch viel katholischer als das, wogegen sie sich auflehnen. Weil dieses Aufgelehne unter Einsatz des eigenen Geschlechts ja vom selben Gedanken her rührt: Dass es da bei ihnen ein Problem gibt. Dass Untenrumkram Schweinkram ist. Sie erzählen statt einer politischen nur die Geschichte ihrer eigenen Verklemmtheit.

Man sollte ihnen ein T-Shirt schenken, das sie nachts zum Schlafen anziehen können: "Lass mich mit deinem Geschlechtsteil in Ruhe. Ich habe selbst eins. Wir haben Wichtigeres zu besprechen.“


Text: martina-holzapfl - Bild: Screenshot von americanapparel.com

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