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Laufhaus der unfertigen Träume

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Jan Lichte, 24, hat gerade seinen Bachelor in Kommunikationsdesign an der FH Münster gemacht und ein Praktikum bei Mirko Borsche in München begonnen. "Der Baumarkt" ist seine Bachelorarbeit und sieht einfach wunderschön aus, mit seinem Einband aus rauer Pappe und den großzügigen Fotostrecken von verlassenen Baumarkt-Außengeländen und Stillleben aus Montageschaum und Enten-Teichfiguren. Unterhaltsam und informativ ist es aber auch: Ein Essay behandelt das Thema Basteln als Lebensgefühl, in einem Interview erzählt Mandy, die zwei Jahre bei Obi gearbeitet hat, wie sie sich Antworten auf Kundenfragen ausgedacht hat, und aus einem Lexikon kopierte Seiten erklären Baumarkt-Begriffe wie "Aufstecksenker".

Wir haben mit Jan über sein Magazin und die besondere Ästhetik und Philosophie von Hornbach- und Obi-Märkten gesprochen.

jetzt.de: Zeitschriften haben viel mit Alltagsflucht zu tun, man träumt von Reisen in ferne Länder, von der abgeschiedenen Berghütte oder unbezahlbaren Kleidern. Wie ist das mit einem Magazin über den Baumarkt?
Jan Lichte: Magazine wie "Landlust" und "The Weekender" spielen mit dem Romantisch-Verklärten, das wir vor Augen haben, wenn wir an das Landleben oder Reisen denken, beim Baumarkt ist das ein bisschen ähnlich. Obi- und Hornbach-Märkte sind Orte, an denen man sich stundenlang verliert, auch wenn man nur eine Schraube kaufen will, Orte, an denen man Zerstreuung und Entspannung sucht, nur nicht auf so eine romantische Weise, sondern alltäglicher. Im Klappentext habe ich den Baumarkt als "Laufhaus der unfertigen Träume" beschrieben, das trifft es ganz gut. Man hat immer Träume, und Baumärkte sind die Orte, an denen ihre Verwirklichung liegt.  

Welche Träume sind das?
Ein Baumarkt ist eine Inspirationsquelle, darauf spielen die ganzen Werbe-Slogans wie "Mach dein Projekt!" und "Es gibt immer was zu tun" an. Man hat immer irgendwelche Projekte im Hinterkopf, möchte an seiner Wohnung oder seinem Haus etwas modifizieren, das Bad neu fliesen, die Bäume beschneiden oder noch ein Fenster einbauen, weil zu wenig Licht in die Wohnung fällt. Wenn man schon die Welt nicht verändern kann, dann wenigstens das Zuhause.

Wie bist du auf die Idee gekommen, ein ganzes Magazin über Baumärkte zu machen?
Ich hatte erst die Idee, ein Magazin zu machen, das ein bis zwei Mal im Jahr erscheint und sich monothematisch mit einem Gesellschaftsphänomen beschäftigt. Man hat aber nur drei, vier Monate Zeit für die Bachelorarbeit, da musste ich mich für ein Thema entscheiden, an dem ich das exemplarisch zeige. Das war dann der Baumarkt.  

Warum gerade der?
Mein Papa hat einen riesigen Bastelkeller und mich als Kind immer mit in den Baumarkt genommen. Ich fand schon immer, dass das ein faszinierender und kurioser Ort ist. Allein der Geruch, der fast wie ein Leitsystem ist: In der Holzabteilung riecht es nach Sägemehl, bei den Teppichen nach Gummi und Plastik und in der Gartenabteilung nach Zoo. Ein Baumarkt setzt sich aus all dem zusammen, was unsere Lebenswelt ausmacht, unsere Wohnzimmer, Küchen und Gärten bestehen praktisch aus Baumarktartikeln. Fotografisch ist der Baumarkt eine riesige Spielwiese.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Kunst und Philosophie des Baumarkts auf 112 Seiten.

Hast du so etwas wie eine Ästhetik des Baumarkts entdeckt?
Alles im Baumarkt ist nicht an seinem Bestimmungsort und entwickelt dadurch eine ganz neue, entrissene Ästhetik, die kleinen Gartenhäuschen auf dem Parkplatz zum Beispiel. Es ist ein Sammelsurium unterschiedlicher Dinge, ganz straight nach Sortimenten wie "Bad" und "Bauholz" sortiert. Diese triste Strenge oder das verlassene Außengelände durchbrechen zum Beispiel bunte Gießkannenberge oder Folienrollen. Durch seine mächtige Deckenhöhe und die überquellenden, funkelnden Regalreihen erinnert so ein Baumarktgang fast an einen Sakralbau.  

Du schlägst im Magazin viele Parallelen zur Kunst, wie passt die mit Baumärkten zusammen?
Wegen der Sachen, die man im Baumarkt findet. Dieses ganze "Halbzeug" ist eine große Inspirationsquelle für Künstler. Im Baumarkt liegen und stehen Materialien, die noch nicht fertig verarbeitet sind, die das Potenzial haben, für die unterschiedlichsten Sachen verwendet zu werden, und zwar für ganz andere als die, für die sie eigentlich gedacht sind. Martin Wöhrl, von dem ein Interview im Heft ist, sprüht zum Beispiel Figuren aus Isolier-Schaum.  



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Wie viel Zeit hast du für dein Magazin im Baumarkt verbracht?
Am Anfang war ich viel zur Inspiration dort, dann, um Organisatorisches wie die Fotogenehmigung zu klären, später zum Fotografieren selbst, manchmal war ich auch nur am Sonntag auf dem Außengelände unterwegs. Insgesamt war ich bestimmt 50 Mal dort, im Zeitraum von dreieinhalb Monaten.  

Bist du selbst auch Heimwerker?
Ich mache Vieles gerne selbst, bin aber nicht so gut wie mein Papa. Immer, wenn wir etwas zusammen bauen, streiten wir, weil ich etwas anders machen würde, und er das natürlich besser weiß. Ich arbeite ziemlich gerne mit meinen Händen, auch wenn ich Grafikdesigner geworden bin. In unserer WG in Münster habe ich die Wände gestrichen, Möbel repariert, wenn etwas kaputt gegangen ist. Und wir hatten immer ein Schimmelproblem, das heißt, wir mussten oft Anti-Schimmel-Farbe auftragen. 

"Der Baumarkt" ist als erste Ausgabe der Magazinreihe "Das Trivial" gedacht, das Orte beleuchtet, die jeder aus seinem Alltag kennt. Was findest du an solchen Orten spannend?
Die meisten Menschen laufen immer ihrer Arbeit und anderen Sachen verpflichtet durch die Gegend und nehmen viele charmante Randerscheinungen gar nicht mehr wahr. Diesen möchte ich jeweils ein ganzes Heft widmen und sie aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten.  

Monothematische Hefte wie "Dummy" sind gerade auch sehr erfolgreich.
"Dummy" ist eines meiner Vorbilder, neben den "Stadtaspekten" und dem "Wedding". In einem monothematischen Heft kann man ein Thema sehr vertiefen, weil man nicht zig Ressorts und Rubriken abdecken muss, und kann, wie der "Dummy" das auch macht, die Gestaltung dem Thema anpassen, was für mich als Grafikdesigner sehr spannend ist. In einem Magazin mit einem festgelegten Layout kann ich mich nicht so auf ein Thema einlassen. 

Wie hast du das im "Baumarkt" umgesetzt?
Die raue Pappe als Einband und allgemein das Roughe, Unverarbeitete sind Trends in der zeitgenössischen Magazingestaltung, aber es passt inhaltlich einfach sehr gut zu meinem Thema. Die Schrift, die sich durch das Heft zieht, ist die "Maison Neue". Für den "Baumarkt" habe ich mehr Ecken angebracht und die Schrift etwas kaputt gemacht, das soll darauf anspielen, dass Heimwerken von der Werbung als selbstverwirklichendes Projekt angepriesen wird, für Ungeübte aber oft eine Schinderei ist und selten die erhofften Resultate hervorbringt. Ich habe die Schrift "Maison Neue Tiernahrung" getauft.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

                              Jan Lichte

An welche Orte hast du für deine Magazinreihe noch gedacht?
Es sollen charmante, verschrobene Gesellschaftsphänomene sein, die Randgeschichten erzählen. Ich dachte noch an Sonnenstudios, Eckkneipen und Trinkhallen.  

Kann man den "Baumarkt" noch irgendwo bekommen?
Erst mal nicht, die 60 Hefte, die ich habe drucken lassen, sind schon weg, ich plane aber, noch welche nachzudrucken, auch für mich selbst.

Planst du eine weitere Ausgabe?
Das kommende halbe Jahr werde ich dafür kaum Zeit finden. Noch lieber als eine neue Ausgabe würde ich gerne den "Baumarkt" perfektionieren und im Eigenverlag herausbringen. Wenn ich eine neue Ausgabe machen würde, wäre es ein Double-Feature unter dem Oberbegriff "Vergangene Gloria", in dem es im vorderen Teil um Tennisplätze und im hinteren um Solarien geht. In den Neunzigern war beides so cool, jeder war im Tennis-Verein, jeder wollte möglichst braungebrannt sein. Heute hat beides an Popularität verloren, das macht es für mich wieder spannend. 


Text: kathrin-hollmer - Fotos: Jan Lichte

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