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Vegetarier vs. Berghüttenbetreiber

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Die Situation:

So erlebt: Eine Berghütte. Gedrechselte Möbel, Hirschgeweih, Wolpertinger. Deutlich rustikal also, aber nicht so fernab der Zivilisation, dass man ein Sauerstoffgerät bräuchte, um sie zu erreichen. Ein Berghüttenbetreiber, auch deutlich rustikal, aber nicht so fernab der Zivilisation, dass man ein Wörterbuch bräuchte, um ihn zu verstehen. Und eine Vegetarierin. Die Vegetarierin stiert nach langem Aufstieg schon mindestens zehn Minuten in die Karte. Sie sucht: etwas Warmes zu Essen. Sie findet: Speckjausen, Schnitzel mit Speckbratkartoffeln und Speckknödelsuppe. "Ob es denn", setzt sie an, und zwar mit dem pikierten Ton eines Menschen, der dieselbe Demütigung wieder und wieder erlebt, und hebt nach einem Räuspern etwas lauter neu an: "Ob es denn wohl auch was ohne Fleisch gibt?!" Denn diese Karte, die könne doch wohl nicht sein Ernst sein. Wo er denn lebe?! Der Berghüttenbetreiber hält inne, kurz nur, nimmt den Kellnerblock runter und sagt: Schinkennudeln.  

Dort treffen sie aufeinander:

Auf Berghütten, klar. Und nur dort. Leider. Interessant wäre, was passierte, begegneten sie einander mit vertauschten Rollen zum Beispiel in einem veganen Lokal in Berlin Mitte.  

Darum hassen diese beiden einander:

Wer T. C. Boyles "Wenn das Schlachten vorbei ist" gelesen hat, weiß: Niemand bekriegt sich fanatischer als Menschen, die etwas an sich Ähnliches wollen, sich über den richtigen Weg aber uneins sind. Gerade beim Tierschutz. Tatsächlich erleben wir einen Konflikt, der sich auf wenigstens anderen, ziemlich sicher aber höheren menschlichen Entwicklungsstufen abspielt. Die Vegetarierin tut ja etwas uneingeschränkt Sinnvolles. Und sie fängt damit am einzig möglichen Punkt an: bei sich selbst. Wie fast jeder, der mit gutem Beispiel vorangeht, hat die Ignoranz der Anderen sie aber verhärtet. Sie kann nur noch krampfhaft. Und sie empfindet die Auswahl (zu Recht) als rücksichtslos. Leider auf einer persönlichen Ebene. Der Hüttenbetreiber, zumindest dieser, lebt hingegen auf eine Art, bei der sich die Frage nach Naturschutz weniger stellt: Er erntet, was er selbst gesät, und trinkt, was er selbst gemolken hat. Nur, weil sie in einer winddichten Soft-Shell-Jacke ein paar Höhenmeter schafft, zählt die Vegetarierin für ihn noch nicht als Instanz des guten Lebens. 

Das ist die besondere Schönheit dieses Konflikts:

Er lässt sich auch anders lesen, dann nämlich, wenn Schinkennudeln ein ob der Schärfe der Anklage etwas panisch hervorgepresster, eigentlich aber ernster Vorschlag zur Güte war. Doch, doch: Das ist schon möglich. Manchmal ist es ja eine Frage der Relation. Und wer täglich mit Schweinshaxe, Gröstl und Schwarte hantiert, dem können Schinkennudeln im Eifer des Gefechts durchaus mal fleischfrei erscheinen.  

Das können wir von ihnen lernen:

Möglicherweise ist am Kulturrelativismus doch etwas dran. Oder: Die Welt ist zu heterogen für einfache Dialektik.

Text: jakob-biazza - Fotos: dpa

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