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"Die Harfe kündigt an, dass jemand träumt"

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Ernest, du hast auf deinem neuen Album "Paracosm" über 50 verschiedene Instrumente benutzt, darunter analoge Oldie-Keyboards wie das Mellotron oder das Optigan. Muss man heute als innovativer Pop-Musiker wieder zu mehr Pomp greifen, um gehört zu werden?
In gewisser Hinsicht schon. Ich suche immer nach einem einzigartigen Sound. Nach Klängen, die du auf aktuellen Aufnahmen nicht oft zu hören kriegst. Einer meiner größten Helden ist DJ Shadow. Im Kern seiner Lieder stand immer ein bestimmter Sound, zum Beispiel alte gregorianische Gesänge, und um dieses Element herum strickte er dann seine Songs. Das ist auch für mich der Startpunkt. Deshalb habe ich mich an Instrumente wie das Mellotron herangetastet, ein mit Bändern arbeitendes Keyboard. Es ist toll: Da hat sich jemand die Mühe gemacht, jede Note verschiedener Instrumente aufzunehmen. Gleichzeitig ist da dieses Unperfekte, wenn das Band leiert und der Ton schwankt. Das hat etwas Magisches, was mir gefallen hat.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ist aus seinem Schlafzimmer herausgekommen: Ernest Greene alias Washed Out.

Wolltest du ein Album machen, das retro klingt?
Nein, ich wollte ein modernes Album machen. Das Schlagzeug klingt zum Beispiel sehr tief, so hip-hop-mäßig. Ich denke, das zieht alles wieder ins Moderne.  

Aber sind 50 Instrumente nicht fast schon... Angeberei?
Ja, es ist auf jeden Fall ein wenig aus den Fugen geraten. Ich hätte das Album bestimmt mit deutlich weniger Instrumenten machen können. Wie auch immer, ich glaube an diesen Vergleich: Ein Musiker ist wie ein Maler, der ein Bild malt. Jedes meiner Instrumente ist also ein anderer Farbton. Und am Ende wirkt die Platte auf den Hörer wie ein Gemälde.  

Hast du das neue Album denn, wie früher, in deinem Schlafzimmer aufgenommen?
Nein, diesmal ist es in meinem Studio im Keller entstanden.  

Wie fühlt sich das an, Musik alleine bei sich daheim aufzunehmen?
Ich muss mich beim Arbeiten sehr konzentrieren. Deshalb konnte ich in den letzten Jahren auch keine neuen Songs schreiben, während ich auf Tour war. Gerade in der Anfangszeit besteht das aus der tagtäglichen Wiederholung, runter ins Studio zu gehen – bis man irgendwann das Gefühl kriegt, sich neues Terrain zu erschließen und das Album etwas genauer zu verstehen. Man muss sich also zurückziehen. Außerdem denke ich, dass Experimente sehr wichtig sind. Und dafür ist es gut, sich alleine einzuschließen und auch Ungeplantes zu erlauben. Ich würde sagen, dass viele der Washed Out-Songs so entstehen. Es ist nicht wie in einem kommerziellen Tonstudio, in dem permanent die Uhr tickt und deine Zeit abläuft. Und zur Arbeit mit anderen Musikern: Da geht es immer darum, welche Idee gerade die bessere ist. Das kann in bestimmten Situationen sicher großartig funktionieren. Aber für mich habe ich herausgefunden, dass ich am besten alleine arbeite.    

http://www.youtube.com/watch?v=A9j9AksVWJw Die erste Single aus dem neuen Album: "It All Feels Right".

Dein von der Kritik gefeiertes Debütalbum "Within and Without" hast du als Musik für die Nacht bezeichnet. Womit verknüpfst du "Paracosm"?
Als ich an der Platte gearbeitet habe, wollte ich ein optimistisches Album schreiben, das man tagsüber gut hören kann. Ein Album, das du dir anhören willst, wenn die Sonne scheint. Und für mich hatten diese akustisch klingenden Instrumente eine natürliche Wärme an sich. Das klang mehr nach Tag, heller und zugleich psychedelisch. Ich dachte immer an einen Tagtraum. Ein Sound vom Album, der mir gerade einfällt, ist der einer Harfe, die so wundervoll hoch und runter gespielt wird. Mir kommen dabei direkt alte Disney-Filme in den Sinn. Darin kündigt die Harfe immer an, dass jemand anfängt zu träumen. Ich habe also viele Sounds benutzt, die zum Konzept des Tagtraums passen. Für mich ist „Paracosm“ der Soundtrack zur Flucht in einen Tagtraum.

Als "Paracosm" bezeichnet man im Englischen eine detaillierte Fantasiewelt mit eigener Geschichte und Figuren, in die sich Kinder hineindenken. Willst du mit dieser Platte wieder mehr Kind sein als mit deiner ersten?
Ich glaube, dass all die Musik, die ich bis heute gemacht habe, etwas Nostalgisches an sich hat. Die Art und Weise, wie ich Musik schreibe, ist sehr naiv. Ich neige dazu, mir Melodien auszudenken, die gleichzeitig optimistisch und melancholisch klingen. Ich glaube, ich habe mich in dem Sinne weiterentwickelt, dass ich versucht habe, etwas fokussierter an die Sache heranzugehen. Aber: Es gibt auf "Paracosm" zum Beispiel diesen Sound einer Spieluhr im ersten Song, der als Einstieg in die Welt des Albums gedacht ist. Dort habe ich auf jeden Fall versucht, einen sehr unschuldigen Moment zu vertonen. Deshalb habe ich schon auch das Gefühl, dass ich mich mit der Platte in die Kindheit zurückversetze.

Das Musikmagazin Pitchfork schreibt, du wolltest mit dem neuen Album "die Ketten des Chillwave abstreifen". Ist das, was du jetzt machst, etwa kein Chillwave mehr?
Ich weiß es nicht genau. Das würde ich den Kritikern überlassen. Aber ich glaube nicht, dass es eine Entscheidung gegen den Chillwave gegeben hat. Für mich ist die Herausforderung dieselbe: Songs zu schreiben und nach Washed Out zu klingen. Ich glaube, ich könnte irgendein Instrument spielen und Washed Out würde immer noch durchklingen – wegen der Gesangsmelodien vor allem. Ich habe einfach nicht viel über Chillwave nachgedacht, habe aber auch nicht versucht, mich dem zu versperren.  

http://www.youtube.com/watch?v=8qzsEzRPgO4 Schon etwas älter: "Feel It All Around", der Titelsong der amerikanischen TV-Serie Portlandia.

Wie würdest du deine Musik denn beschreiben, wenn nicht als Chillwave?
Das ist eine gute Frage. Ich bin mir nicht sicher, ob ich eine gute Antwort darauf habe. Die Wurzeln liegen auf jeden Fall im Pop. Alle Songs folgen sehr traditionellen Liedstrukturen. Und dann, glaube ich, gibt es noch diese verträumten Tendenzen. "Dream Pop" ergibt für mich deshalb Sinn. Das ist natürlich eine Schublade für Tausende anderer Bands, aber wahrscheinlich die beste, die ich finden kann.  

Deine Musik klingt auf jeden Fall immer noch so, als wüsstest du sehr genau, wie man sich entspannt. Gib uns doch bitte abschließend ein paar Entspannungstipps.
Ich liebe es, wie Musik dich an fremde Orte bringen und dir dabei helfen kann, deinen Alltag hinter dir zu lassen. Das Leben ist schon hart genug, so wie es ist. Mein Rat wäre also: Sei optimistisch und versuche, das Gute im Leben zu sehen. Was noch? Genieß den Moment. Es ist aktuell so, dass viele Leute ihre Leben so stark dokumentieren. Ich weiß nicht, ob es auch in Deutschland so ist, aber hier in den Staaten habe ich das Gefühl, dass die Menschen ihre Erfahrungen nicht richtig leben, sondern vielmehr dokumentieren.  

Über Facebook, Instagram, YouTube und so?
Ja. Ein Weg um sich mehr zu entspannen ist auf jeden Fall, das Handy eine Weile beiseite zu legen. Und die Erfahrungen, die man macht, einfach aufzusaugen.

"Paracosm" von Washed Out erscheint am Freitag auf Domino Records.

Text: jurek-skrobala - Foto: Shae Detar

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