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Edward Snowden, der Mann, der die digitale Generation auf ihr Daten-Dilemma hinweist

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Ein 29-Jähriger, der in Hongkong in einem Hotel sitzt und als amerikanischer Staatsfeind auf die Reaktionen der US-Geheimdienste wartet: Die Geschichte von Edward Snowden bietet Stoff für einen hochspannenden Kinofilm. In der Realität ist die Geschichte des Whistleblowers, der den Skandal um das Überwachungsprogramm "Prism" aufdeckte, aber viel mehr: Es spricht einiges dafür, dass Edward Snowden gerade eine ganze (digitale) Generation darauf hinweist, dass sie seit Jahren ihr privates wie gesellschaftliches Daten-Dilemma nicht gelöst hat.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Edward Snowden

Warum eigentlich vertrauen wir den Datensammlern, die aufzeichnen und festhalten, was wir tagein tagaus an Daten produzieren? Worauf gründet unsere Ruhe, dass sie nicht tun, was laut Snowden mit wenigen Handgriffen möglich wäre: alle privaten Daten selbst des Präsidenten offenzulegen?

Wir haben darauf bisher keine Antwort gesucht, weil die Facebooks dieser Welt es uns zu einfach machen, ihnen zu glauben. Sie versprechen, nichts Böses zu tun und es ist sehr bequem, ihnen zu trauen. Wenn aber stimmt, was Edward Snowden sagt, dann ist spätestens jetzt eine neue Dimension des Daten-Dilemmas erreicht: Dass ein Wirtschaftsunternehmen uns Werbung auf der Basis unserer Daten präsentiert, gilt als digitale Geschäftsgrundlage. Dass ein Staat aber flächendeckend mitliest, was seine oder fremde Bürger schreiben, ist nicht nur für Edward Snowden zu viel. Diese Grenzüberschreitung braucht eine demokratische, eine gesellschaftliche Antwort.

Edward Snowdens Entscheidung, die Dokumente öffentlich zu machen und damit einen sehr unbequemen Weg einzuschlagen, könnten Anstoß für viele Menschen sein, ihre eigene Bequemlichkeit zu beenden. Edward Snowden könnte das Gesicht einer Bewegung werden, die nicht kommentarlos hinnimmt, was jedermann in der analogen Welt selbstverständlich ablehnen würde: dass der Staat unter dem Vorwand der Terrorabwehr Kopien unserer gesamten Briefpost anfertigt. Eine von reddit und Anonymous verlinkte Petition verlangt jedenfalls schon jetzt, Snowden als Helden und nicht als Staatsfeind anzusehen.

Auf einem der wenigen Bilder, die von Snowden existieren, sieht man ihn mit einem Laptop, auf dem ein Aufkleber der Electronic Frontier Foundation zu sehen ist. Eine Organisation, die sich schon seit Jahren für digitale Bürgerrechte einsetzt. Mit den Piratenparteien und Organisationen wie Quadrature du Net und Digitale Gesellschaft ist diese Bewegung in den vergangenen Jahren enorm gewachsen - sodass der Vergleich mit dem aufkommenden Umweltschutz der 1980-er Jahre nicht mehr übertrieben scheint: Es entsteht gerade ein neues Bewusstsein für ein bisher kaum beachtetes Politikfeld.

Daraus erwachsen Forderungen an Wirtschaft und Politik, die jetzt auch den gesellschaftlichen Mainstream erreichen. Als beim Umweltschutz der allgemeine Verdacht des flächendeckenden Raubbaus an der Natur belegbar wurde, änderte sich etwas in der Wahrnehmung. Wenn stimmt, was die im Daten-Dilemma Gefangenen immer geahnt haben und was Edward Snowden jetzt offengelegt hat, könnte "Prism" zu diesem Wendepunkt in Fragen des digitalen Umweltschutzes werden - und den Raubbau an digitalen Bürgerrechten beenden. Denn dafür ist nicht einzig eine Veränderung des privaten Nutzungsverhalten nötig, sondern auch eine neue gesellschaftliche Diskussion darüber, was der Staat darf und was nicht.

Ein 29-Jähriger hat seine Antwort auf diese Frage gerade gegeben.


Text: dirk-vongehlen - Foto: dpa

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