Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Der Burschentag zum Mitreden

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Vor zwei Wochen wurde ein Berliner Staatssekretär entlassen, weil er seine Mitgliedschaft in einer Burschenschaft nicht aufgeben wollte - am vergangenen Wochenende griffen Vermummte in Göttingen zwei Burschenschafter mit Baseballschlägern an. Der Burschentag, der heute im thüringischen Eisenach beginnt, wird also schon im Voraus von ordentlich Getöse begleitet. Damit du mitreden kannst, wenn die erwarteten 400 Burschen auf die 250 Gegendemonstranten treffen, haben wir zusammengefasst, was bisher geschah.
 
Die Ursprünge

Der Begriff "Bursche" war im 19. Jahrhundert allgemein gebräuchlich für "Student". Eine Burschenschaft ist eine Sonderform von Studentenverbindung, die sich auf die Tradition der Urburschenschaft von 1815 beruft damals mit dem Ziel, die Kleinstaaterei zugunsten eines vereinigten Deutschlands aufzugeben. Alle Burschenschaften haben eigene Uniformen, die zu offiziellen Anlässen getragen werden und sind fast immer "schlagend" - richten also Fechtkämpfe aus. Von den etwa 2.000 Studentenverbindungen im deutschsprachigen Raum sind nur ungefähr 300 Burschenschaften.  

Der Dachverband

"Deutsche Burschenschaft" (DB) heißt der größte Dachverband deutschsprachiger Burschenschaften. In ihm waren vor wenigen Jahren noch über 120 Bünde aus Deutschland und Österreich zusammengeschlossen. Weil sich der Verband nach Ansicht mehrerer liberal eingestellter Burschenschaften nicht klar genug von rechtsextremen Tendenzen distanziert, kam es auf dem Burschentag vor einem Jahr zu einem heftigen internen Streit. Sogar die Auflösung des DB wurde gefordert. Ein außerordentlicher Burschentag im Herbst konnte den Streit auch nicht klären. Seither sind aus Protest knapp 30 liberale Burschenschaften aus dem DB ausgetreten - weshalb man jetzt einen "Rechtsruck" des Dachverbands erwartet. Allerdings schwächt der Mitgliederschwund den Verband stark finanziell.  

Burschenschafter auf dem Burschentag in Eisenach 2012.

Der "Arier-Nachweis"  

2011 sollte eine Mannheimer Burschenschaft aus dem DB ausgeschlossen werden, die einen chinesisch-stämmigen Studenten aufgenommen hatte. Die Medien sprachen von einem "Arier-Nachweis". Die Aufnahmekriterien sind immer wieder Streitpunkt zwischen den konservativen und liberaleren Burschenschaften. Der Antrag auf den Ausschluss der Mannheimer Verbindung wurde auf dem letzten Burschentag vertagt, bis heute ist das Thema nicht endgültig geklärt. Die Mannheimer Burschenschaft ist inzwischen freiwillig aus dem Dachverband ausgetreten.  

Der Veranstaltungsort  

Seit der Wende findet der Burschentag in Eisenach statt. Dort hatte 1817 die Jenaer "Urburschenschaft" zu einem "Nationalfest" auf der Wartburg eingeladen. Die Oberbürgermeisterin von Eisenach, Katja Wolf (Linke), bedauert, dass sie die Veranstaltung wegen eines Vertrags mit dem DB nicht aus der Stadthalle verlegen kann - sie fürchtet Schadenersatzklagen gegen ihre stark verschuldete Kommune.  

Die "Neue Deutsche Burschenschaft"  

Einige der liberaleren Burschenschaften, denen die Richtung des DB zu nah an den braunen Rand führt, haben einen alternativen Dachverband gegründet: die "Neue Deutsche Burschenschaft". Sie sieht sich als liberales Gegengewicht zum DB, ihre Mitglieder fechten teilweise keine Mensuren. Auch zur Frage der deutschen Abstammung von Mitgliedern ist die "Neue DB" weniger stramm rechts: In ihrem Programm fordert sie einen deutschen Patriotismus, der "ansteckend, nicht ausgrenzend" sein soll.  

Die Politik  

Mitte Mai entließ der Berliner Gesundheitssenator seinen Staatssekretär für Soziales, Michael Büge - weil der sich weigerte, seine Mitgliedschaft in der Burschenschaft Gothia aufzugeben. Die Gothianer haben den DB trotz der Rechtsextremismus-Debatte nicht verlassen. Der Fall zeigt, wie sehr die Burschenschaften die Politik spalten - die SPD hat vor Jahren nach langem Ringen einen Beschluss gefasst, der Parteimitgliedern die Mitgliedschaft in bestimmten Burschenschaften verbietet.  

"Burschenschafter gegen Neonazis"  

Ein ehemaliger Burschenschafter namens Christian Becker betreibt seit ein paar Jahren das Watchblog "Burschenschafter gegen Neonazis". Becker war von seiner Burschenschaft, der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn, ausgeschlossen worden, nachdem er öffentlich das Einsickern von Rechtsradikalen beklagt hatte: NPD-Funktionäre würden zunehmend die vorhandenen Strukturen von rechtskonservativen Verbindungen nutzen, um Nachwuchs anzuwerben und die eigenen Reihen zu "akademisieren". Außerdem erleichtere die Mitgliedschaft in einer Burschenschaft es Neonazis, zum Beispiel an Veranstaltungsräume zu kommen, in denen sie sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit treffen können. Abgesehen von einer Pressekonferenz werden auch zum Burschentag in Eisenach keine unabhängigen Beobachter zugelassen.


Text: jan-stremmel - Foto: Getty

  • teilen
  • schließen