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München, erlesen

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Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras
Das Buch: ist der Klassiker unter den Münchenbüchern. Und das, obwohl kein einziges Mal das Wort „München“ darin vorkommt. In Episoden erzählt Wolfgang Koeppen einen Tag in einer Stadt im Nachkriegsdeutschland (die sehr deutlich als bayerische Landeshauptstadt erkennbar ist) und lässt die verschiedenen Protagonisten immer wieder zusammentreffen. Die Stadt wird dabei zum Schlachtfeld, auf dem jeder seinen eigenen kleinen Krieg zu führen hat.
In dieses München entführt es dich: in die Zeit nach 1945 mit Bombenkratern, Trümmern, Wiederaufbau und einer Menge Besatzungssoldaten.
Die wichtigsten Orte: das Hofbräuhaus, die Fuchsstraße in Schwabing, der Hauptbahnhof, das Amerikahaus am Karolinenplatz, ein Turm und eine Seitenkapelle der Frauenkirche. Bester Satz über München: „Der Flughafen roch (...) nach etwas Neuem, nach der Fremde, es war ein Backgeruch, ein Brotteiggeruch nach Gärung, Hefe und Alkohol, appetitanregend und animierend, es dunstete nach Biermaische aus den großen Brauereien der Stadt.“
Dort solltest du es lesen: Im Hofbräuhaus, denn sowohl Münchner als auch Besatzungssoldaten kehren hier ein, kippen Biere hinunter, steigen auf die Bänke und zelebrieren dieses Gemütlichkeitsding, während alte Männer in kurzen Hosen und mit roten, haarigen Knien in die Blasinstrumente stoßen. Prost!
Das solltest du mitnehmen: Gute Nerven (Lärm!), genug Geld (immer ein Getränk haben!) und eine möglichst alte Ausgabe des Buchs (umgestürzte Biere, fettiges Essen!) wären von Vorteil.


Thomas von Steinaecker: Das Jahr in dem ich aufhörte mir Sorgen zu machen und anfing zu träumen
Das Buch: Die Versicherungsvertreterin Renate Meißner wird wegen einer Affäre mit ihrem Vorgesetzten von Frankfurt nach München versetzt. Trotz des Entgegenwirkens mit Antidepressiva, Schlafmitteln und Übungen aus Selbstoptimierungs-Seminaren gerät ihr eigentlich so sicherer Alltag zunehmend außer Kontrolle. Ein ungelüftetes Familiengeheimnis drängelt sich in den Vordergrund und dann verschlägt es Renate durch einen Auftrag auf einmal in die Welt der Vergnügungsparks.
In dieses München entführt es dich: in das der Bürotiere: Männer im Anzug und mit Aktenkoffern, Frauen auf Louboutins und in Kostümchen. Aber auch in das München seltsamer Kunstfreunde, die in geheimen Kellern unter Waschsalons und in den Rohbauten der Vorstadtvillen Partys und Vernissagen mit Blowjobs auf der Toilette feiern.
Die wichtigsten Orte: die HighLite-Towers in Freimann mit Blick auf die Arena und den Müllberg mit Windrad, der Nordfriedhof, die Maxvorstadt, der Schlosspark Nymphenburg, die Alte Pinakothek, die U-Bahn-Station Odeonsplatz, die Residenzstraße, der Englische Garten – und ein Waschsalon nahe des Elisabethplatzes.
Bester Satz über München: „Als ich meine Mutter erstaunt darauf hinwies, dass die Säulen der Residenz ja lediglich auf die Mauern aufgemalt seien, erwiderte sie (...): ‚Aber du hast schon recht, Nati. Das ist alles nicht echt hier.‘“
Dort solltest du es lesen: In einem Hochhaus mit Blick Richtung Norden. Renate verbringt nämlich viel Zeit damit, am Bürofenster zu stehen und auf die Plaza vor dem Büroturm oder in die Ferne und zur Arena und dem Müllberg zu schauen.
Das solltest du mitnehmen: eine Menge Charme, falls du in den original HighLite-Towers lesen möchtest. Denn dafür musst du dich ja bei irgendwem ins Büro setzen und derjenige muss dich erstmal mögen.


Benjamin Lebert: Im Winter dein Herz
Das Buch: Robert und Kudowski, zwei seelisch Versehrte, verlassen die Psychiatrie und reisen gemeinsam mit Annina von der Tankstelle von Göttingen aus Richtung München. Robert möchte dort seinem sterbenden Vater einen letzten Besuch abstatten. Um mitten in der kalten Jahreszeit reisen zu können, verzichten die drei auf den Tablettencocktail, mit dem sich der Rest des Landes in den alljährlichen Winterschlaf begibt, und lernen auf ihrem Roadtrip einiges über Freundschaft, Liebe und das Ankommen bei sich selbst.
In dieses München entführt es dich: in jenes, in dem alle Winterschlaf halten – also ungefähr das München an jedem Sonntag zwischen November und Februar.
Die wichtigsten Orte: der Viktualienmarkt (inklusive Schlemmermeyer), die Theatinerkirche, das Siegestor und das Klinikum Rechts der Isar (Zimmer 339).
Bester Satz über München: „Schau nur, die verrammelten Buden und die schönen, alten, verzierten Häuser und die Kirchturmspitze, die in den Winterhimmel sticht.“
Dort solltest du es lesen: in der Theatinerkirche. Am Ende sitzt der Protagonist im Gottesdienst und genießt das Beisein anderer. Versuche es also am besten an einem Sonntag. Da startet die erste Messe um 8:30 Uhr, die letzte wird um 18:30 Uhr gefeiert und in den Pausen kannst du lesen. Dabei kriegst du wahrscheinlich das beste „Im Winter dein Herz“-Gefühl: ein bisschen andächtig, ein bisschen traurig – und ein bisschen „Was soll das Ganze?“
Das solltest du mitnehmen: Wer lange in Kirchen sitzt, der friert. Warme Kleidung wäre also gut. Auch ein Gesangsbuch, das du zur Tarnung um den Lebert legst, ist keine schlechte Idee. Selbst wenn Gott alles sieht, wird er dir das ja wohl nachsehen!


Hermann Bräuer: Haarweg zur Hölle
Das Buch: Münchner Jungs gründen eine Hair-Metal-Band, weil sie glauben, so all ihre Probleme lösen zu können: das mit dem Coolsein, das mit der Langeweile und das mit den Frauen. In seinem „Rockmärchen“, wie Bräuers Werk oft genannt wird, erzählt der Autor teilweise autobiographisch die Geschichte der Münchner Jungs von der ersten Gitarre über den Auftritt im Jugendzentrum bis zum vorläufigen Ende der Band.
In dieses München entführt es dich: in die Münchner Glam- oder Hair-Metal-Szene Mitte der Achtzigerjahre, in der die coolen Jungs noch Glitzerleggins, Schminke und ihre Haare auftoupiert trugen.
Die wichtigsten Orte: das „Roxx“ in Schwabing, das „Fantasy“ in Aubing, das „Romy’s Finest“ in der Innenstadt, „Pavel’s Stüberl“ in Giesing und die Damenabteilung von „Woolworth“.
Bester Satz über München: über die Maxvorstadt: „Tatsache aber war: In diesem saturierten Stadtteil, eingezwängt zwischen Universität, Kunstareal und dem monolithischen Staatsfunkgebäude, lagen Rebellion und Rock schon seit langem nicht mehr auf der Straße.“
Dort solltest du es lesen: Fast jedes einschneidende Erlebnis der Protagonisten findet in einem Club oder einer Bar statt. Leider hat keines der Etablissements das Ende der Hair-Metal-Szene überlebt. Als Ersatz dient das „Abseits“ in der Marktstraße. Die Metal-Bar befindet sich nur wenige Häuser entfernt vom ehemaligen „Roxx“. Zwischen roten Wänden, alten Rockern und Lautsprechern, aus denen der Metal schallt, sieht man mit etwas Fantasie den Protagonisten unsicher in seiner ersten Glitzerleggins an der Bar stehen. Das solltest du mitnehmen: Ohropax und Leselampe, denn Bars haben die Eigentümlichkeiten, laut und dunkel zu sein.

Uwe Timm: Kerbels Flucht
Das Buch: Christian Kerbel war mal ein engagierter Student, hat die Uni aber unterbrochen und fristet ein trostloses Dasein als Taxifahrer. Als seine Freundin Karin ihn für einen anderen verlässt und nach Berlin zieht, besteht sein Leben nur noch aus Selbstmitleid und Hoffen auf ihre Rückkehr. Als es für ihn wieder aufwärts geht, passiert ein schwerwiegender Unfall.
In dieses München entführt es dich: „Kerbels Fluch“ zeigt die Stadt so, wie sie der Protagonist Christian Kerbel wahrnimmt: vor allem öde und trist. Kein Wunder, wenn man immer nur am Flughafen, im Taxi oder in der eigenen Wohnung rumhängt.
Die wichtigsten Orte: der Flughafen, die Taxistände der Stadt, der Englische Garten.
Bester Absatz über München: „Am Eisbach liegen die Nackten in der Sonne. Gestern habe ich mich dazugesetzt. Verschwitzt begann ich mich langsam auszuziehen, bis ich plötzlich – vor ein paar Jahren noch kaum vorstellbar – nackt im Englischen Garten lag.“
Dort solltest du es lesen: am Flughafen. Entweder in der Ankunftshalle oder, noch besser, am Taxistand, wo Kerbel immer auf die Rückkehr von Karin wartet, obwohl er als Fahrer dort immer nur Kurzstrecken bekommt. Weil man auch selbst niemanden abholt, lässt sich das Gefühl auf jemanden zu warten, der nicht kommt, gut nachvollziehen.
Das solltest du mitnehmen: Butterbrezn oder Zigaretten für die wartenden Taxifahrer. Im Gegenzug erzählen sie eventuell lustige Geschichten über ihre Fahrgäste.

Text: nadja-schlueter - und Teresa Fries, Pop-Up-Buch/Foto: Marie-Claire Nun

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