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Jungs, habt ihr Angst vor Jungfräulichkeit?

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Wir dachten ja auch nicht, dass wir darüber noch mal mit euch reden müssten, aber: Jungfräulichkeit! Zwischen 15 und 18 ist das ganze Wann-wie-wo-mit-wem-unter-welchen-Umständen ja ein riesiges Thema, über das folgende angebliche Wahrheiten herumgeistern: Mädchen wollen es nur mit erfahrenen Jungs wegen Furcht vor einem kurz-und-hilflos-Abtörner, Jungs hingegen wollen es am liebsten mit Jungfrauen wegen des erhebenden Gefühls, für immer Erster gewesen zu sein. Erstes ist so diskriminierend wie Zweites und ich würde mal behaupten, dass wir im Grunde alle einfach nur heilfroh waren, es eines Tages einigermaßen okay über die Bühne gebracht zu haben.

Jetzt gibt es aber natürlich manchmal Männer und Frauen, die zwischen 15 und 20 irgendwie nicht zum Zug gekommen sind. Und die das eben noch nicht so sorglos in die Schublade „Pubertätskomplikationen" wegsortieren können. Was jetzt kommt, klingt nicht nett, aber: Ja, doch, wir Mädchen hätten leider noch immer unsere Probleme mit einem gänzlich unerfahrenen Mann. Weniger wegen eventueller Unbeholfenheiten, vielmehr würde uns das mulmig-abtörnende Gefühl beschleichen, dass mit diesem Typ einfach etwas nicht so ganz stimmt. Arme männliche Spätzünder, denken wir, keiner will sie. Weibliche Spätzünder haben, solange sie jetzt noch nicht Ende 30 sind, sicherlich keine größeren Probleme, einem Jungen ihre Jungfräulichkeit zu offenbaren. Ihr Jungs empfindet es doch generell immer noch als etwas Schönes, der Erste bei einer Frau sein zu dürfen, oder nicht?

Jetzt gibt es da allerdings diese Szene in „Girls", wo die 20-jährige Shoshanna ihrer neuen Flamme Matt erzählt, dass sie noch Jungfrau ist und gerne von ihm entjungfert werden möchte. Er reagiert aber überhaupt nicht positiv auf diese Nachricht, sondern erschrocken und weist sie ab. Und zwar mit den Worten: „It's just like virgins get attached. Or they bleed. You get attached when you bleed."

Wie genau ist das jetzt also noch mal mit euch und dem Thema Jungfräulichkeit? Ist es etwa nur bis zu einem gewissen Alter schön, der Erste zu sein? Habt ihr das Gefühl, bei einem älteren Mädchen könnte euch eine Entjungferung eine ähnliche Verantwortung übertragen wie ein Kind? Fürchtet ihr wirklich, eine Frau könnte euch ihren Lebtag nicht mehr vergessen und euch dann immer wieder anrufen, Briefe schreiben, nerven? Oder war das Gerede von der Trophäe-der-Jungfräulichkeit sowieso von Anfang an ein furchtbares Gerücht?



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Die Jungsantwort von jan-stremmel:

Puh, da öffnet ihr eine Kiste, die wir ziemlich genau mit dem 20. Geburtstag geschlossen und im hintersten Kellerabteil verstaut hatten. Das Thema Jungfräulichkeit scheint nämlich eines zu sein, das - ähnlich wie die Führerscheinprüfung – nur in einem sehr eng gesteckten Zeitrahmen überhaupt ein Gewicht hat, das dafür aber umso ambosshafter zur Geltung kommt.

Bitte seid nicht böse, aber für uns Jungs zwischen fünfzehn und neunzehneinhalb hatte das Entjungfern von Mädchen durchaus Ähnlichkeiten mit verschärften Verweisen. Faustregel: Einen sollte man irgendwie mal bekommen, aber je mehr, desto höher das Ansehen im Rauchereck. Ich vermute, die maschinengewehrhafte Frequenz, mit der Jungs und Mädchen in diesen wenigen Jahren gebündelt ihr „erstes Mal" absolvieren, befreit die Prozedur irgendwie von ihrer vermeintlichen Bedeutungsschwere. Das passt dann auch eigentlich ganz gut zu dem englischen Begriff „to deflower", der ja eher nach vergnügtem Tulpenpflücken klingt als nach Schmerz und vorzeitigem Samenerguss.

Dann aber dreht sich ein Stellrädchen, und das führt uns direkt zu Shoshanna und ihrem armen Matt. Denn es ist so: Sobald die ewig gleichen Geschichten vom Bettlaken in der Kochwäsche seltener werden und der Fokus des Interesses sich vom schieren Rein-Raus auf das filigranere „Wie" richtet, rutschen die Mädchen, die (weshalb auch immer) noch gar nicht soweit sind, seitlich von unserem Radarschirm. Wir sexuell Aktiven sehen sie nicht mehr. Begegnen wir doch mal einem solchen Mädchen, stellen wir uns sofort die Frage nach dem Warum. Das führt uns nun entweder zur Befürchtung – ähnlich wie ihr mit den armen Jungfrau-Männern –, irgendetwas im zwischenmenschlichen oder physiologischen Bereich läge hier im Argen. Oder aber, falls die Unbeflecktheit eine selbstgewählte ist, wir landen gar im Reich der Religion. Was uns als aufgeklärten Mitteleuropäern nun leider noch viel mehr Angst macht.

So oder so, unsere Rechnung ist: Je länger ein Mädchen auf seinen Eintritt in die Sexualphase wartet, desto größere Wichtigkeit misst sie diesem Schritt bei. Und ja, die Furcht vor Verantwortung ist hier nicht nur ein naheliegendes Argument, sondern auch ein ziemlich vernünftiges. Wir befürchten bei einer solch späten, ähem, Erstbesteigung durchaus eine Art lebenslange Prägung und haben schlagartig Konrad Lorenz mit seiner watschelnden Gänseschar vor Augen. Wer allerdings die betreffende Kandidatin wirklich mag, sie sich also auch als dauerhaftes Attaché vorstellen kann, den wird das läppische kleine Häutchen nun auch nicht stören. Für Shoshanna bedeutet das leider, dass der abgetörnte Matt sie wohl einfach nur ins Bett bekommen wollte. 

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