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Die Ungeduldigen

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Mit fünfzehn hat Nick D’Aloisio für eine Geschichtsarbeit im Internet recherchiert und sich geärgert. Nicht weil er keine Lust auf das Thema hatte, sondern weil er die Suche mit Google schrecklich mühsam fand. Er klickte einen Link an, sah, dass auf der Seite dahinter nichts Interessantes stand, ging zurück zu den Suchergebnissen, klickte den nächsten Link an. „Dafür hat doch keiner die Zeit“, sagt der Londoner Schüler gern in Interviews. „Ich will sofort wissen, ob ich mir eine Website anschauen muss.“

Während die meisten sich damit abfinden, dass das Suchen im Netz oft umständlich ist, hat Nick einen Weg gefunden, wie es doch anders geht. Heute ist er siebzehn und hat aus seinem Problem ein Geschäft gemacht. Ein Geschäft, in das Investoren wie Yoko Ono und Ashton Kutcher mehr als eine Million US-Dollar gesteckt haben.

Dazu muss man wissen, dass Nick programmiert, seit er zwölf war. Mit neun bekam er seinen ersten Mac. Mit zwölf hat er sich mit YouTube-Videos und in Chats mit App-Entwicklern das Programmieren selbst beigebracht und schon mehrere Projekte entwickelt: SoundStumble zum Beispiel, eine App, mit der man sieht, welche Musik die Freunde in der Gegend gerade hören. Und Facemood, eine App, die Facebook-Timelines analysiert und anzeigt, wie es den Freunden geht.

Mit der App Summly löste Nick sein Problem beim Recherchieren im Internet. Seine App nutzt einen Algorithmus, der anders als Google nicht nach Schlagwörtern, sondern nach Inhalten sucht. Sie liefert eine Zusammenfassung in Stichworten von maximal 400 Zeichen. So weiß der Suchende gleich, ob sich ein Klick lohnt oder nicht. Die Testversion hat Nick innerhalb von drei Monaten programmiert, seit Ende 2012 steht eine verbesserte Version der iPhone-App im App Store. Im Dezember zählte sie bereits eine halbe Million Downloads. Seine Firma leitet Nick neben der Schule. Er spricht auf Konferenzen wie der DLD (Digital Life Design) in München und wird mit Steve Jobs und dem Google-Gründer Sergey Brin verglichen.

Nick kommt aus einer Generation, in der die meisten mit Computern, Tablet-PCs und Smartphones aufgewachsen sind. Die Studie Jugend 2.0 des Branchenverbands Bitkom aus dem Jahr 2011 hat gezeigt, dass 98 Prozent der Zehn- bis Achtzehnjährigen das Internet zumindest gelegentlich nutzen, bei den Zehn- bis Zwölfjährigen sind es 96 Prozent. (Fünf Jahre früher hatten laut dem Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest erst 90 Prozent der Zwölf- bis Dreizehnjährigen Onlineerfahrung.) Programmieren kann laut Bitkom schon knapp jeder fünfte Dreizehn- bis Fünfzehnjährige und gut jeder vierte Sechzehn- bis Achtzehnjährige.

Wenn man früher mit dem Computer umgehen kann, fängt man auch früher an, Fragen zu stellen: Wie geht das? Warum funktioniert das so? Warum nicht anders? Die meisten Eltern haben auf solche Fragen keine Antworten. Sie können vielleicht zeigen, wie man ein Fahrrad zerlegt und wieder zusammenbaut. Aber einen Computer? Auch der achtzehnjährige Lukas Martini aus Mannheim, der seit einem Jahr als Systemadministrator beim Webdienst Soup.io arbeitet, war als Kind nicht zufrieden mit den Antworten, die er von seinen Eltern bekam. Mit sechs hat er am Computer seines Opas mit „Paint“ Bilder gemalt, mit zehn hat er seinen ersten Computer bekommen und mit elf angefangen zu programmieren. „In meinem Kopf existiert kein Zeitpunkt, zu dem ich keine Ahnung von Technik hatte. Mein Großvater erzählt immer, dass ich ihm schon in der ersten Klasse gesagt habe, welche neuen Computer auf den Markt kommen“, sagt Lukas. Er hat damals angefangen, sich den Quelltext von Webseiten, die er gut fand, anzuschauen, er las Computerzeitschriften und lernte im Internet, wie man Webseiten mit HTML baut. „Ich dachte immer: Okay, da wird eine Seite angezeigt, aber warum? Das wollte ich verstehen“, sagt er. Später hat er sich so die Sprachen PHP und Python beigebracht – ebenso wie alles andere, das er lernen wollte. Mit sechzehn brach er schließlich die Schule ab.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Heute muss niemand einen Kurs besuchen, um programmieren zu lernen. Es gibt Foren und Tutorials, mit denen man programmieren lernen und sich abschauen kann, wie andere Probleme lösen. Ohne diese Möglichkeit gäbe es nicht so viele junge Programmierer, sagt Christian Borowski, Sprecher der niedersächsischen und Bremer Informatiklehrer in der Gesellschaft für Informatik und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Oldenburg im Bereich Didaktik der Informatik. „Außerdem ist das Erlernen von Programmiersprachen inzwischen leichter geworden“, sagt Borowski. „Programme zu schreiben wird immer einfacher. Mit der Programmiersprache Scratch lernen bereits Grundschüler programmieren. Das ist kein Zauberwerk.“ 

Mit Lukas kann man gut über den Zauber des Programmierens sprechen. Er hat ein großes Bedürfnis, Hintergründe zu verstehen, und er will unbedingt etwas Eigenes schaffen. „Wenn ich die Technik verstehe“, sagt er, „begreife ich auch die Welt ein bisschen besser. Und wenn ich eine Idee habe, weiß ich, wie ich sie umsetzen kann.“ Gerade arbeitet Lukas – neben seinem Job bei Soup.io und seinem Engagement im Vorstand der Jungen Piraten – an Shortdiary.me, einer Tagebuchplattform. „Die Idee ist, dass man jeden Tag einen Eintrag schreibt, der nach sieben Tagen verschwindet und nicht mehr angezeigt wird. Nach einem Jahr kriegt man ihn wieder per Mail geschickt und liest, was man vor einem Jahr geschrieben und gedacht hat“, erklärt er. Spätestens im Frühjahr soll die Seite online gehen. Malte Götz aus Düsseldorf ist schon einen Schritt weiter. Der Siebzehnjährige hat das Browser-Add-on ProxTube entwickelt. Malte wusste, wie man YouTube-Videos ansehen kann, die in Deutschland – meist mit einem Verweis auf die GEMA – nicht gezeigt werden dürfen. „Das funktioniert, und zwar legal, indem man über einen Server in den USA geht. Das ist ganz einfach, aber das jedem Kumpel extra zu erklären ist schon ein bisschen nervig“, sagt Malte. Innerhalb weniger Tage entwickelte er ein Firefox-Add-on und stellte es zum Download online. Inzwischen hat Malte auch eine Chrome-Erweiterung programmiert. Zusammen wurden die beiden Add-ons mehr als fünf Millionen Mal heruntergeladen. Malte besucht die zwölfte Klasse eines Gymnasiums und ist im Informatikleistungskurs. Seinen ersten Computer hat er mit zehn bekommen und sich darauf das Programmieren beigebracht; zuerst die Programmiersprache Visual Basic, im Informatikunterricht kam Java hinzu, außerdem hat er gelernt, wie man Webseiten baut, später noch die Sprachen PHP und C#. Obwohl er sich aufs Abitur vorbereiten muss, arbeitet er nebenbei an Projekten für „Jugend forscht“ und den Studentenwettbewerb „Microsofts Imagine Cup“. Nach dem Abi will er studieren. „Irgendwas mit Informatik“, sagt er, aber genau weiß er es noch nicht.

Wenn man die Geschichten von Nick, Lukas und Malte hört, kommt einem das Wort „Wunderkind“ in den Sinn. Ist es das richtige Wort, wenn man die Programmierleistung von Teenagern beschreiben will? „Ich halte mich nicht für ein Wunderkind“, sagt Malte. Lukas sagt: „Wenn man sich viel mit dem Computer beschäftigt, dann erreicht man irgendwann ein Level, auf dem man sehr gut damit umgehen kann.“ Zwar erfüllen die beiden die Definition eines „Wunderkinds“ insoweit, als sie schon als Jugendliche Fähigkeiten haben, die man normalerweise erst im Erwachsenenalter erreicht. Sie sind Ausnahmen, weil sie Probleme sehen und Lösungen entwickeln, die andere nicht sehen. Hinter den Fähigkeiten von Nick, Lukas und Malte steckt aber vielleicht nicht nur Talent, sondern wohl eher Fleiß und in erster Linie: Neugier. Aber das verstehen nicht alle. Nick zum Beispiel erzählte seinen Freunden lange Zeit nichts davon, dass er gerade die Suche im Internet veränderte. Er hatte Sorge, sie würden ihn für einen Nerd halten.

Immer wieder fordern Experten, dass an der Schule viel mehr Programmierkenntnisse vermittelt werden sollten. Manche sprechen sogar davon, dass die Programmiersprachen nach und nach zumindest eine Fremdsprache ersetzen sollten. Sie haben die Hoffnung, dass auf diese Weise Talente wie Malte und Lukas gefördert werden. Aber geht diese Rechnung auf?

„Mit dem, was man in der Schule lernt, kann man nicht viel anfangen“, sagt Malte. Er findet den Informatikunterricht größtenteils veraltet. Erst jetzt im Leistungskurs lerne er das meiste komplett neu.

Lukas hat die Schule in der zehnten Klasse abgebrochen und deshalb während seiner Schulzeit nur wenig Informatikunterricht genossen. „Ich bin immer in den Unterricht gegangen und habe die ersten zehn Minuten das gemacht, was wir gerade machen sollten – und mich danach mit den Sachen beschäftigt, die ich gerade selbst gebaut habe. Der Lehrer war ganz gut. Er hätte mir sicher etwas beibringen können, aber er musste das Niveau der Klasse bedienen“, erinnert sich Lukas.

Christian Borowski glaubt, dass man Schüler wie Malte und Lukas anders fördern muss. Nicht durch ein neues Pflichtfach, sondern durch Wahlfächer, wie es in vielen Bundesländern seit Langem üblich ist. „Erfinder sind oft begeisterte Querköpfe“, sagt Borowski, der in Oldenburg einmal die Woche mit Grundschülern in einer AG Lego-Roboter programmiert. „Wenn man nur zu Hause vor sich hin programmiert, besteht die Gefahr, dass es unstrukturiert wird und keiner mehr die Codes lesen kann. In einer AG für Schüler, die bereits viel Programmiererfahrung haben, könnte Malte lernen, dass er Teile von ProxTube auch für andere Ideen verwenden kann, weil er die dahinterliegenden Konzepte in seinem Programm erkennt“, so Christian Borowski.

Die entscheidende Qualifikation für einen Programmierer kann aber vermutlich auch der beste Lehrer nicht beibringen. Ein unbedarfter Mensch surft im Internet, stößt auf ein Problem und denkt sich: „Hm, geht nicht. Das ist wohl so.“ Ein programmierbegabter Mensch denkt vermutlich: „Geht nicht. Warum geht das nicht?“ Und dann fängt er an, nach einer Lösung zu suchen.

Text: kathrin-hollmer - Illustration: Claudia Klein / claudiaklein.net

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