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Ein dreiköpfiger Affe für den Bundestag

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Am Wochenende haben die Berliner Piraten ihre Landesliste für die Bundestagswahl zusammengestellt. Es ist eine ungewöhnliche Liste, denn sie ist ungewöhnlich besetzt. Zum einen, weil auf dieser Liste ziemlich viele Frauen ziemlich weit vorne stehen, was für die Piraten eher ungewöhnlich ist. Zum anderen, weil auf dieser Liste auch ein Affe steht. Ein dreiköpfiger Affe, um genau zu sein.  



Auch wenn sie in den vergangenen Wochen vor allem durch Streitereien und Droh-SMS auffielen – die Piraten sind die Partei, die angetreten ist, die Politik zu verändern. Nicht nur durch die Inhalte, die sie vertreten. Sondern auch durch ihre Art, Politik zu machen. Bislang ging es vor allem darum, wie man politische Prozesse transparenter machen und die Parteibasis bestmöglich in den Willensbildungsprozess einbinden kann. Drei Berliner Bundestagskandidaten haben jetzt eine neue, ziemlich ungewöhnliche Idee in den Ring geworfen: das Modell, das sie in Anspielung auf eine Figur aus dem Computerspiel „Monkey Island“ den dreiköpfigen Affen nennen.  

Miriam Seyffarth, 26 Jahre, Lena Rohrbach, 27, und Andreas Pittrich, 32, haben einen Pakt geschlossen: Sollte einer von ihnen in den Bundestag gewählt werden, teilt er sich seine Arbeit und sein Abgeordneteneinkommen mit den anderen beiden.

Ein Bundestagsabgeordneter, so rechnen die drei in einem Blogeintrag über ihr Modell vor, verdient im Monat 8252 Euro, dazu kommen 4029 Euro Kostenaufwandspauschale. Nach Abzug der Steuern bleiben etwa 9000 Euro übrig. „Das ist mehr Geld als wir brauchen“, sagt Lena Rohrbach. Sie lebt wie die beiden anderen in einem WG-Zimmer und hat auch nicht vor, das zu ändern, falls sie in den Bundestag einzieht. „Wir pflegen alle drei einen studentischen Lebensstil und wollen den auch beibehalten“, sagt sie. Jedem von ihnen blieben 3000 Euro im Monat, ein Betrag, mit dem sich ein Leben mit WG-Zimmer in Berlin natürlich leicht finanzieren lässt. Zum Vergleich: Deutsche Haushalte kamen im Jahr 2010 laut statistischem Bundesamt auf ein durchschnittliches Bruttoeinkommen von 3.758 Euro.

Trotzdem: 3000 statt 9000 Euro – das ist ein ziemlich großzügiger Verzicht. Aber, so die Argumentation der drei, man würde vor allem inhaltlich profitieren. Drei Leute sehen mehr als eine Person. Drei Leute tun sich wahrscheinlich leichter, sich in die neue Welt Bundestag einzuarbeiten. Drei Leute können mehr Papiere lesen, mehr Informationen zusammentragen, kurz: sich besser in Themen einarbeiten. Im Prinzip hole sich der Abgeordnete nur zwei persönliche Berater, sagt Miriam. Und obendrein sind diese Berater eben Menschen, mit denen der Abgeordnete befreundet ist, mit denen er schon gut zusammengearbeitet hat und auf deren Urteile viel Wert legt. Die drei kennen sich seit 2007, als sie zusammen Philosophie studierten. Sie haben bereits gemeinsam am Berliner Parteiprogramm geschrieben und verschiedene Projekte in der Partei zusammen durchgeführt.  

Wenn man die Medienberichte über die Piraten in den vergangenen Monaten verfolgt hat, weiß man: Es kann durchaus sein, dass die harmonische Zusammenarbeit aus der Vergangenheit irgendwann von Meinungsverschiedenheiten und Streit gestört wird. Auch für solche Fälle sei vorgesorgt, sagt Miriam Seyffart: „Wenn wir uns inhaltlich nicht einig werden, hat auf jeden Fall das gewählte Mitglied des Bundestags das letzte Wort. Wir wollen aber trotzdem standardmäßig Mediationsverfahren für solche Situationen einführen.“  

Die Zusammenarbeit hat also durchaus Grenzen. Das muss sie auch. Denn sich ein Mandat redlich zu teilen, hieße ja, dass der gewählte Abgeordnete sein Abstimmungsverhalten auch von der Meinung der anderen beiden abhängig machen müsste. Das wäre allerdings verfassungswidrig: Nach Artikel 38 des Grundgesetzes ist der Abgeordnete an Aufträge und Weisungen nicht gebunden, er ist nur seinem Gewissen unterworfen.  

Die Piraten punkteten in ihren erfolgreichen Landtagswahlkämpfen auch, weil ihr Personal erkennbar anders war als der herkömmliche Politikertyp. Das war und ist Absicht. Die Piraten sind generell skeptisch gegenüber dem Wesen des Politikers, sie wollen transparenter sein, näher am Bürger. Und auch wenn die aktuellen Debatten um die Führung der Partei zeigen, dass das immer schwerer wird, je größer die Partei und je näher sie den Realitäten des Politikalltags kommen, möchten auch Lena, Miriam und Andreas möglichst am Boden bleiben, falls sie gewählt werden. Der dreiköpfige Affe ist auch ein Versuch, dem Gewissen einen Wachhund, beziehungsweise Wachaffen, beiseite zu stellen. „Das Modell trägt auch dazu bei, Macht zu teilen und mehr personelle Sicherheitsebenen gegen Korruption, Lobbyismus und Ermüdung beim Einsatz für die eigenen Ideale einzuziehen“, schreiben sie in ihrem Blogeintrag. Im Grunde könnte man also sagen, dass die drei Angst davor haben, den Ansprüchen an einen Parlamentarier alleine nicht gewachsen sein und irgendwann vor dem Lobbyismus und anderen Mächten einzuknicken, die auf einen Abgeordneten einwirken. Dazu sagt Miriam: „Es wäre naiv zu glauben, dass diese Gefahr nicht besteht. Irgendwann lügt man sich vielleicht in die Tasche, obwohl man vom Bauchgefühl her weiß, dass man eine falsche Entscheidung trifft. Wenn man zwei Menschen hat, die einem dann über die Schultern schauen oder noch mal die Motivation hinterfragen, kann das glaube ich sehr hilfreich sein.“  

Kann und soll man das Affenmodell auch als Kritik an den Diäten der Abgeordneten verstehen? Wollen die drei Piraten darauf hinweisen, dass die Damen und Herren im Bundestag mit ihren 9000 Euro zu viel verdienen? Nein, sagt Andreas Pittrich, mit so einer Interpretation müsse man vorsichtig sein. „Das ist für uns natürlich eine ganze Menge Geld. Aber wir haben andere Lebensumstände. Wir müssen nicht zwischen Berlin und unserem Wahlkreis pendeln und eine zweite Wohnung zahlen, wir leben in WGs und wir haben keine Familie zu versorgen.“ Miriam Seyffarth fügt hinzu: „Wir können es uns leisten, unsere Ideale bestmöglich durchzusetzen.“



Text: christian-helten - Illustration: Marie-Claire Nun

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