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„Man studiert hier nicht, weil es cool ist“

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Eine „Orkide“ könnte man das Fach auf Persisch nennen, der Sprache, die alle Studenten der Iranistik lernen müssen. So fremd das Persische für deutsche Ohren klingt, in diesem Fall ist die Übersetzung nicht kompliziert: Orchidee. Dass Iranistik eine echte Orchidee unter den akademischen Disziplinen ist, kann man schon an der Zahl der Professuren in Deutschland erkennen, derzeit sind es fünf. Man kann es aber auch an diesem Montagvormittag in einem kleinen Hörsaal im Hauptgebäude der LMU sehen. Gerade hält hier die Vertretungsprofessorin Heidi Walcher eine Vorlesung über den Iran im 19. und 20. Jahrhundert. Obwohl nicht viele Zuhörer Platz in dem Raum finden, sind nur knapp die Hälfte der Plätze besetzt. Ganz still ist es, die meisten der Studenten hören Walcher konzentriert zu, während sie auf Englisch über die Fotos und Karikaturen spricht, die sie mit einem Beamer an die Wand wirft.



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Demnächst kann man schon anfangen herunterzuzählen, wie oft Heidi Walcher ihre Studenten noch mit einem herzlichen „Good Morning“ begrüßen wird wie heute. Denn zum Ende des kommenden Sommersemesters wird die Stelle, die sie auch nur vertritt, gestrichen. Am Institut für den Nahen und Mittleren Osten wird es dann nur noch die drei Professuren für Arabistik, Turkologie und Judaistik geben. Die Fakultät für Kulturwissenschaften, zu der das Institut gehört, spart die Iranistik ein.

Was aus der Lehre in der Iranistik wird, die immerhin 40 Prozent der allein etwa 160 Bachelor-Hauptfachstudenten bereits als Schwerpunkt gewählt haben, ist noch unklar. Alle Studenten sollen ihren Abschluss machen können, hat die Institutsleitung versichert. Doch einen Plan, wie das genau funktionieren soll, wenn zum Beispiel jemand eine Wiederholungsprüfung ablegen muss, gibt es nicht. Und auch nicht für jene Studenten, die am Anfang ihres Studiums stehen und aktuell womöglich noch gar nicht den Schwerpunkt „Iranistik“ belegt haben, sich das aber eigentlich fest vorgenommen hatten.

Verena Walther studiert im ersten Semester den Bachelor-Studiengang „Naher und Mittlerer Osten“, gerade sitzt sie als einzige Studentin überhaupt an einer der Tischgruppen im Arbeitsraum der Institutsbibliothek. Außer ihr und der Aufsicht ist sonst niemand in der Bibliothek. Verena arbeitet im Moment eigentlich an Übersetzungsaufgaben für ihren Persisch-Sprachkurs. Vor kurzem hat sie ihre erste Facebook-Statusmeldung auf Persisch gepostet, erzählt sie und man merkt, dass sie sich darüber freut. Für die iranische Welt hat sie sich schon immer interessiert, auch, weil eine gute Freundin von ihr aus dem Iran kommt. Dass die Iranistik-Professur nun wegfällt, ärgert sie sehr. „Ich bin aus Wiesbaden extra hierher zum Studieren gekommen, gerade weil in München Iranistik angeboten wird“, erklärt sie. „Jetzt muss ich mir überlegen, ob es nicht sinnvoller ist, später an eine Uni in einer anderen Stadt zu gehen.“

Verena ist für ein Doppelstudium eingeschrieben, was einen solchen Schritt zusätzlich verkomplizieren würde. Verenas Kommilitone, der Halbiraner Martin Naimi, sorgt sich vor allem um die zukünftig fehlenden Prüfer und Betreuer, und die iranische Doktorandin Kianoosh Sadigh hat gar kein Verständnis für die Entscheidung der Fakultät: „Wenn du auf die Karte schaust, dann siehst du: Der Iran befindet sich im Herzen des Orients“, sagt Kianoosh. „Ein Institut für den Nahen und Mittleren Osten ohne Iranistik macht keinen Sinn.“ Kianoosh ist seit zehn Jahren am Institut, erst hat sie hier studiert, inzwischen promoviert sie in Iranistik. Ihre Doktormutter ist eine Vorgängervertretung von Heidi Walcher und lehrt inzwischen nicht mehr in München, sondern in Wien: nicht unbedingt eine ideale Betreuungssituation.

Das Institut für den Nahen und Mittleren Osten ist nicht besonders groß, gleichzeitig haben viele der Studenten einen sehr persönlichen Bezug zur Region. „Man studiert hier nicht, weil es cool ist“, bringt es Stephanie Irregger auf den Punkt. Im Institutsgebäude in der Veterinärstraße herrscht deshalb eine für Universitätsmaßstäbe ungewöhnlich familiäre Atmosphäre: Man kennt und grüßt sich untereinander, im Institut hängen allein für diese Woche zwei Einladungen zu gemeinsamen Festen aus, für die Weihnachtsfeier und das jüdische Hanukkah-Fest. Besonders deutlich wurde der Zusammenhalt, als einige Studenten im Sommer eine Petition starteten, um die damals eigentlich schon einkassierte Iranistik-Professur zu retten. Weit über 400 Unterschriften kamen zusammen, auch von vielen, die sich in ihrem Studium nicht auf die persische Welt, die in der Iranistik behandelt wird, sondern auf die anderen Kulturräume im Nahen und Mittleren Osten konzentrieren. Die Hochschulleitung überließ daraufhin der Fakultät die Entscheidung über die Professur. Die Fakultät strich sie am Ende dennoch. Im Augenblick ist die Stimmung deshalb gedrückt, „motivationslos“ nennt es Kianoosh, „frustriert“ nennt es Martin.

Gemeinsam mit anderen Studenten überlegt Martin derzeit, zumindest ein juristisches Gutachten einzuholen, ob und wenn ja welche Studenten womöglich einen rechtlichen Anspruch auf einen Professor in Iranistik haben, der Vorlesungen hält, Prüfungen abnimmt und Abschluss- und Doktorarbeiten betreut. Nachdem die Entscheidung gegen die Professur Mitte November gefallen war, waren einige Studenten bereits entschlossen, im schlimmsten Fall gegen die Universität vor Gericht zu ziehen. Von der Idee, die LMU zu verklagen, um sich die Professur zurückzuholen, ist zumindest die Fachschaftsvertretung inzwischen ein Stück zurückgetreten: Sprecherin Nadira Mekic betont, dass sie die Probleme, die durch die wegfallende Professur entstehen, mit der und nicht gegen die Universität lösen will. Ihr Stellvertreter Hayim Malkhasy zweifelt sowieso daran, dass eine Klage Erfolg haben könnte: „Wir beschäftigen uns mit dem Nahen und Mittleren Osten generell. Ohne einen Iranisten gibt es immer noch drei andere mögliche Spezialisierungen. Moralisch ist das zwar leider nicht sehr schön, rechtlich aber wahrscheinlich schon in Ordnung.“

Text: juliane-frisse - Fotos: Juri Gottschall

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