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"Ich fühle den Schmerz Amerikas"

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jetzt.de: Du hast gerade mit „Mourning for America, Dreamin in Colors“ das wohl politischste HipHop-Album des Jahres veröffentlicht. Was bedeutet der Titel?
Brother Ali: Unsere Gesellschaft in Amerika ist am Zerbröckeln, überall siehst du Schmerz, Leiden und Agonie. Das kommt von dem tiefen Riss zwischen den verschiedenen Klassen. Die Mittelschicht war lange ein Puffer zwischen der reichen Elite und den Massen. Jetzt ist die Elite so gierig geworden, dass selbst die Mittelschicht ihre Privilegien verliert und von Armut bedroht wird. Damit einher gehen eine Menge Zorn, Angst – aber auch politisches Engagement: Ich sehe die Situation als Chance. Deswegen habe ich das Album „Mourning for America“ um den Zusatz „Dreamin in Colors“ erweitert. Das war ursprünglich ein eigenes Projekt, in dem ich von meinen positiven Erfahrungen der vergangenen Jahre erzählen wollte: der elektronischen Lesehilfe, mit der ich trotz Erblindung wieder Bücher studieren kann. Oder meiner ersten Pilgerreise nach Mekka.
 
Was hast du von dieser Reise mit gebracht?
Ich habe vom Teenager-Alter an den Islam praktiziert. Die Moschee war für mich der Ort, wo es nicht zählte, ob ich weiß oder schwarz bin, mein Wert nicht danach bemessen wurde, ob ich Albino oder blind bin. Aber nun habe ich dieses Prinzip der Brüderlichkeit das erste mal in einer Menge von vielen Millionen Menschen erlebt: Es war das Schönste, was mir im Leben passiert ist. Jedermann wurde Frieden, Würde und Gerechtigkeit zugesprochen. Diese Erfahrung motiviert mich, für meine Mitbürger einzutreten. . .

. . . auch wenn du letztens wegen deiner Teilnahme an einer Aktion von Occupy Homes in Minneapolis verhaftet wurdest?
Für mich treffen sich da mein Glaube und mein Verständnis von HipHop. Leuchtet nicht jeder gute Rapsong den Kontrast zwischen unseren Hoffnungen und der Wirklichkeit aus? Um endlich zur Aktion zu rufen?
 
Das Cover Ihres neuen Albums zeigt Sie in Gebetshaltung auf einer amerikanischen Flagge Sie wurden dafür scharf kritisiert.
Ich bete auf der Flagge für die Gesundheit Amerikas. Dass es endlich werden möge, was es immer versprochen hat: ein Land der Möglichkeiten für alle. Amerika gründet doch auf dem Prinzip, dass alle menschlichen Wesen gleich erschaffen sind, sie von ihrem Schöpfer mit Rechten versehen wurden, die ihnen niemand nehmen darf.
 
Was ist an dem Bild dann so anstößig?
Vordergründig geht es darum, dass die amerikanische Flagge einem Ehren-Code zufolge niemals am Boden liegen darf. Aber der wahre Grund für die Empörung ist wohl ein anderer: Dass es viele Leute nicht aushalten, die amerikanische Flagge im Zusammenhang mit dem Islam zu sehen. Sie glauben, dass es nicht zusammenpasst, ein stolzer Muslim und ein stolzer Amerikaner zu sein. Dass sich beides ausschließt. Aber das stimmt nicht. Ich kämpfe gegen dieses Denken an, das die Leute aufgrund vermeintlicher Identitäten auseinander dividiert.
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Wie fühlt es sich für dich an, wenn du siehst, welcher Hass auf Amerika sich gerade in der islamischen Welt entlädt?
Um es gleich mal vorwegzunehmen. Ich habe mir eine Tabelle angeschaut, die zeigt, wie viele Muslims weltweit wirklich an den gewaltsamen Protesten gegen amerikanische Einrichtungen teilnehmen. Das ist ein verschwindend geringer Anteil. Fünf- oder Sechstausend Demonstranten – rechnen Sie das mal hoch auf eine Weltbevölkerung von 1,5 Milliarden Muslime! Aber die Berichterstattung unserer Medien kann uns glauben machen, dass jeder Muslim auf der Welt Amerika hasst. Auf der anderen Seite sind viele Menschen eben nicht wütend auf Amerika, weil sie Muslime sind, sondern weil Amerika sie schlecht behandelt, ihre Menschlichkeit und Würde nicht respektiert. Wir nutzen unsere militärische Macht, um uns genehme Regierungen einzusetzen und die Bodenschätze anderer Länder zu plündern. Wir schicken bewaffnete Drohnen, die Häuser und Dörfer zerstören. Da reagiert eine Minderheit eben mit dem einzigen Mittel, das ihnen offensichtlich Gehör verschafft: Gewalt. Und sie behält Recht damit, weil wir allein auf Gewalt reagieren. In ihrer Vorstellung steht alles Geld, alle Macht, alle militärische Stärke der Welt gegen sie und ihnen hilft nur ihr Glaube. Wenn dann noch jemand ihren Glauben lächerlich macht, was bleibt da übrig?
 
Hegst du etwa doch gewisse Sympathien für die gewalttätigen Demonstranten gegen Amerika?
Nein, wahrer Glaube bedeutet, auf Gottes letztendliche Gerechtigkeit zu vertrauen, sich auch angesichts offensichtlichen Unrechts zu gedulden. Der Koran sagt: Wenn du eine unschuldige Person tötest, tötest du die ganze Menschheit. Unsere Religion steht gegen den Terrorismus. Wir dürfen uns nur verteidigen, wenn uns jemand nach dem Leben trachtet. Es gibt eine Menge Muslime auf der Straße, die von den Gewaltszenen vor den amerikanischen Botschaften entsetzt sind, weil das nicht repräsentiert, wer wir sind. Der Prophet Mohammed wurde zu Lebzeiten oft beschimpft. Und er begegnete selbst denjenigen, die ihn beleidigten, mit Güte, Wohlwollen und Liebe. Er rief nur zum Schwert, wenn es darum ging, das Leben seiner Anhänger zu schützen.
 
Du bist einer der religiös und politisch explizitesten Rapper Amerikas. Begegnest du als Moslem auch im Alltag Vorurteilen?
Wir haben in Amerika sehr höfliche Umgangsformen, da erfährt man nicht unbedingt, was andere Menschen über einen denken. Diese Toleranz schätze ich. Andererseits stößt es mir immer wieder auf, mit welcher Selbstverständlichkeit meine Landsleute die Aktionen unseres Militärs im Nahen Osten gutheißen: Getötete Afghanen oder Irakis gelten da nicht als Menschen, sondern immer gleich als Terroristen und ihre Helfer. Sie sind offensichtlich nicht so menschlich wie wir.
 
Du zeigst im Video zum Song „Only Life I Know“ empathische Bilder aus dem Leben der weißen und schwarzen Amerikaner am Rande der Gesellschaft. Ist das deine Art, der Unterschicht ihre Menschlichkeit zuzusprechen?
Was wir mit den Menschen im Nahen Osten machen, das machen wir auch daheim. Wenn ich sehe, wie die Polizei routinemäßig schwarze Menschen als Verbrecher verdächtigt! Oder gleich auf Verdacht erschießt! Das passiert hier alle paar Monate einmal. Und wir erlauben es. Auch wenn wir keine Kreuze mehr abbrennen, keine Kutten mehr tragen und niemanden lynchen – die Polizei darf ähnliche Methoden weiter praktizieren. Weil wir ihr nur allzu gerne glauben, dass ihre Opfer alles nur Gangster, Gewalttäter und bedrohliche Drogenhändler sind.

HipHop galt einmal als prinzipiell sozialkritische Bewegung. Als du zur Unterstützung der Proteste im Zusammenhang mit der Ermordung des schwarzen Teenagers Trayvon Martin aufgerufen hast, reagierten manche HipHop-Fans eher entnervt.
Wir sind eine Gesellschaft, die sich sehr auf ihr Recht verlässt, schlafzuwandeln. Wir glauben, dass wir uns nicht um andere Menschen kümmern müssen. Wir glauben an unser Recht, uns nie im Spiegel anschauen zu müssen. Und wir verteidigen dieses Recht. Mit Händen und Füßen.
 
Auf deiner letzten Platte „Us“ sprach Chuck D von Public Enemy. Diesmal hast du den schwarzen Kulturkritiker und Bürgerrechtler Cornel West mit an Bord. . .
Cornel West gehörte schon immer zu meinen Idolen. Wir haben uns in seinem Büro getroffen, über meine Platte geredet und seine Gedanken aufgenommen. Am Ende stand ein gemeinsamer Song: „Letter To My Countrymen“. Cornel führte mich auch zum Dinner aus und stellte mir eine Menge Autoren, Professoren und Aktivisten vor. Unsere Gespräche haben auf meine Raps abgefärbt.
   
Du selbst predigst mit deinen Raps in Moscheen, setzt auf gemeinschaftsstiftende Botschaften. Aber stellt HipHop nicht viel eher die Bühne dar, um sich als Individuum gegen den Rest der Welt durchzusetzen?
Beides hat seine Berechtigung. Das Rappen hat mir geholfen, die Hänseleien meiner Mitschüler einzudämmen: Wenn einer mit einer abfälligen Bemerkung über mein Aussehen kam, habe ich ihn auf dem Pausenhof zu einem Rap-Duell gefordert. Ich habe immer gewonnen. Dabei hat mir gerade mein Außenseitertum geholfen, neue Perspektiven zu finden, Texte zu schreiben, in denen andere sich – mit all ihren Frustrationen und Hoffnungen – wiederfinden können. Manche meiner neuen Songs haben sich fast von selbst geschrieben. Weil ich den kollektiven Schmerz Amerikas fühle.

Text: jonathan-fischer - Fotos: Jonathan Mannion, oh

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