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"Obama will alles anders machen"

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Herr Kramer, wie haben Sie als Rhetorik-Experte die Reden von Barack Obama und Bill Clinton beim Parteitag der US-Demokraten erlebt?

Olaf Kramer: Obama ist in diesem Wahlkampf sehr bemüht, alles anders zu machen als beim ersten Mal. Man erkennt ihn kaum wieder. Beim ersten Mal hat er sehr stark emotionalisiert, das wäre dieses Mal schwer zu überbieten gewesen. Es hat sich herausgestellt, dass er alles doch nicht so schnell und einfach richten konnte, darum hat er eine andere Strategie gewählt, das finde ich raffiniert. Er schafft es, mit seiner Art sowohl die konservativen Wähler als auch die "Black Community" anzusprechen. Manche Passagen und Ausdrücke erinnern an die predigtartigen Reden von Martin Luther King, etwa, dass man einer Vorsehung folgen muss, dass es ein langer, schwerer Weg ist, den wir gehen müssen. Diesen Stil hat er sich inzwischen angeeignet. Mit dem religiösen Touch spricht er die konservativen Wähler an.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
Barack Obama und Bill Clinton beim Parteitag der US-Demokraten. 

Clinton hat für seine Rede viel Lob bekommen. Zurecht?

Ich kann das Lob nachvollziehen. Clinton ist sehr locker aufgetreten, er hat viele emotional angesprochen, er war sehr souverän. Auch seine Angriffe gegen die Republikaner konnte man ihm durch seinen plaudernden Ton nicht übelnehmen. Inhaltlich hat er viele Punkte behandelt und seine Position plausibel gemacht, das ist ja das Wichtigste.

Gibt es auch etwas, das Ihnen nicht so gut gefallen hat?

Ich habe wenig zu meckern. Es war ein sehr runder Auftritt, eine durchkomponierte Geschichte. Am Anfang hatte ich das Gefühl, dass er nicht so ganz bei der Sache ist, wegen seiner sehr relaxten Körpersprache. Aber das gab ihm die Möglichkeit, sich zu steigern, was dramaturgisch Sinn macht. Besonders die Tatsache, dass er den ehemaligen Konkurrenten seiner Frau unterstützt, macht seinen Auftritt unglaublich souverän.

Auch sein erhobener Zeigefinger? Gut, dass Sie das ansprechen, das hat mir wirklich nicht so gefallen. Eine Regel in der Rhetorik lautet, dass man nicht mit dem Zeigefinger gestikuliert, das wirkt oberlehrerhaft und streng. In einem Seminar würde man versuchen, ihm das abzugewöhnen. Eine offene Hand ist viel freundlicher, damit baut man eine Brücke zum Publikum. Aber Clintons Plauderstimmung hat das ganz gut ausgeglichen. 

Im Internet gibt es Vergleiche zwischen Clintons Rede, wie sie aufgeschrieben war und dann tatsächlich gehalten wurde. Er hat viel hinzugefügt oder weggelassen. Eine gute Idee?

Ich finde das gut, es ist ein Zeichen für Souveränität, dadurch kann er auf die Stimmung im Publikum eingehen. Obama spricht dagegen kein freies Wort, er hat komplett vom Teleprompter abgelesen, das kann man ganz schön an seinem Blick beobachten, der immer ganz leicht von links nach rechts wandert. Er macht das schon gut, mit einem Teleprompter muss man auch erst mal umgehen können.

Aber?

Ein Politiker, der frei reden kann, wirkt einfach überzeugender. In Deutschland sind das zum Beispiel Joschka Fischer und Gregor Gysi, die frei und aus dem Stegreif was hinkriegen und überzeugen.

Was sagen Sie zu den vielen Zahlen und Details, die Clinton gebracht hat?

Damit verfestigt man natürlich seine Argumente, es darf allerdings nicht zu viel werden, sonst ist das für die Zuhörer ermüdend. Bei Clinton hat das funktioniert, er hat damit Obamas Erfolge und die Fehler der Gegner ganz gut unterstrichen – und, ganz wichtig, das Ganze sehr unterhaltsam und mit Pointen vorgetragen.

Und zu seinem überziehen? Aus geplanten 28 Minuten sind am Ende 48 geworden.

In der römischen Rhetorik heißt es: Eine gute Rede ist eine kurze Rede. Ich sehe lange Reden grundsätzlich kritisch, aber wenn die Zuhörer dabei bleiben, wie in diesem Fall, dann kann man sich das leisten. Und Clintons freier Stil ermöglicht ihm ja auch, auf das Feedback aus dem Publikum einzugehen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Olaf Kramer ist Mitarbeiter am Seminar für Allgemeine Rhetorik an der Uni Tübingen. Was hat Ihnen an Clintons Rede am besten gefallen?

Die Pointe am Anfang. Er sagte, er sei hier, um einen Kandidaten zu nominieren, und dann: "I've got one in mind." Das ist witzig und schafft gleich eine positive Stimmung. Und das Ende war auch sehr gelungen, mit dem amerikanischen Traum, der "more perfect Union". Sehr schön.

 

War es wirklich seine beste Rede, wie viele Medien schreiben?

Diese Wertung ist schon dick aufgetragen. Ob es die beste war, weiß ich nicht. Seine Antrittsreden waren großartig inszeniert. Diese war sehr gelungen, und die Souveränität, die er mit dem Alter jetzt zeigt, zeichnet sie besonders aus.

 

Wie fanden Sie Obamas Rede?

Clinton hat geplaudert, Smalltalk gemacht, mit Emotionen gespielt. Obama hat bewusst dieses Mal nicht emotionalisiert, auch die Abrechnung mit seinen Gegnern hat er weitgehend Clinton überlassen.

 

Warum?

Bei seinem ersten Wahlkampf hat Obama mit seiner Change-Rhetorik die Leute gepackt. Jetzt ist es aber so, dass es Defizite gibt, dass die USA immer noch Probleme haben. Vielleicht weil Obama ein besserer Redner als Politiker ist, vielleicht wegen der Wirtschaftskrise. Für Obama wäre es unmöglich gewesen, zum gleichen Stil zurückzukehren. Bei seiner ersten Kandidatur hatte er eine pathetische und visionäre Ausrichtung, jetzt tritt er präsidial und sachlich auf. Beim ersten Wahlkampf hat er Episoden aus seinem Leben und der amerikanischen Geschichte erzählt, dieses Mal geht es nicht um seine Person, sondern um den Präsidenten.

 

Können Sie die Kritik an Obamas Rede verstehen?

Ja, weil man ein anderes Bild von ihm hat. Jeder hätte gern den feuereifrigen Kämpfer gehört und gesehen, aber das hätte nicht funktioniert. Da hätten dann alle gesagt "Der verspricht ja nur." Es ist auch gut, dass er dieses Mal keinen Slogan wie "Yes we can" eingeführt hat. Das wäre sofort von seinen Gegnern ausgehebelt worden, dann hätten die gesagt, aus dem "Yes we can" ist nichts geworden, der kann nur irgendwelche Formeln erfinden.

 

Viele schreiben, Obamas Rede sei die schwächste am Parteitag der US-Demokraten gewesen.

Clinton und auch Michelle Obama hatten mehr Pathos und Emotion dabei. Wenn man das als Kriterium nimmt, war Barack Obamas Rede schwächer. Aber darum geht es in der Rhetorik gar nicht, es geht darum, was strategisch sinnvoll ist, ums überzeugen und um den Erfolg. Wenn Obama das mit Sachlichkeit statt mit Metaphern schafft, war seine Rede stark.

 

Ob er das schafft, wissen wir ja noch nicht.

Das wissen wir wirklich erst nach der Wahl, aber natürlich entscheidet eine Rede allein nicht die Wahl. Auch dass viele Medien schreiben, Clinton hätte Obama mit seiner Rede gerettet, ist Quatsch.

 

Was kann man rhetorisch von Clinton und Obama lernen?

Von Clinton, wie man eine gute freie Rede hält. Von Obama, dass es sinnvoll ist, seinen Ansatzpunkt immer wieder zu überdenken, sich neu zu erfinden. Und dass man sich nicht darauf verlässt, dass die eine Art zu sprechen immer wieder funktioniert.

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