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Das Leid der Doktoranden

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Angestrichen:
„Auch wenn das Einkommen der meisten Promovierenden nicht üppig und ihre Beschäftigungssituation häufig instabil ist, hat das Horrorbild von Doktoranden, die arm und ausgebeutet ihrer Promotion nachgehen, mit der Realität wenig zu tun.“ 

Wo steht das denn?
In einem Artikel in der Fachzeitschrift Forschung und Lehre. Unter dem Titel „Armut und Ausbeutung?“ erörtern drei Forscher des Instituts für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (iFQ) darin die Arbeitsbedingungen von Doktoranden an deutschen Hochschulen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Was steckt dahinter?
Der Artikel untersucht, ob die so oft geäußerten Klagen über die Lage der Doktoranden berechtigt sind. Die Diskussion um deren Arbeitssituation dauert schon lange an, und in letzter Zeit schien sie noch mal an Fahrt aufzunehmen. Im Mai wandten sich Promovierende in einem offenen Brief an die Landesregierungen. Sie bemängelten, dass sie keinen eigenen gesetzlichen Status wie Studenten oder akademische Mitarbeiter haben. Sie bekommen deshalb an Hochschulen zum Teil kein Mitspracherecht und bewegen sich, was ihre Sozialversicherungen angeht, auf unklarem Terrain. Andreas Hartmann, einer der Initiatoren des offenen Briefes, legte seine Probleme im Interview mit jetzt.de so dar: „Ich bin Stipendiat und zahle bisher keine Steuern und kein Geld in die Arbeitslosenversicherung oder Rentenkasse ein. Außerdem muss ich mich selbst um meine Krankenversicherung kümmern. Die stuft mich wegen des fehlenden Status für Promovierende als „freiwillig versichert“ ein. Deshalb muss ich jeden Monat 180 Euro an die Versicherung abgeben und falle damit unter die Armutsgrenze.“

Ist das nun also Quatsch? Ist es falsch, wenn Spiegel Online einen Artikel über Doktoranden mit den Worten „Forschungsknechte“ und „Kettenjobber“ überschreibt?

Ein bisschen übertrieben ist die Hysterie wohl. Der Untersuchung zufolge geht es den meisten Doktoranden nicht so hundselend wie es oft scheint. Natürlich gibt es Fälle wie den von Andreas Hartmann. Vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften haben etwas mehr als 15 beziehungsweise 20 Prozent der Promovierenden weniger als 826 Euro im Monat in der Tasche und fallen damit unter die Armutsgrenze. Allerdings sieht es in anderen Gebieten deutlich besser aus: Zwei Drittel der Elektrotechniker und Informatiker können monatlich mehr als 1400 Euro ausgeben, so gut wie alle bewegen sich in gemütlichem Abstand zur Armutsgrenze. Die Einkommenskluft zwischen Geistes- und Sozialwissenschaften und technischen oder wirtschaftlichen Fächern ist also auch bei den Doktoranden spürbar. Insgesamt betrachtet ist die Lage der Studie zufolge nicht allzu bedenklich: „Über alle Fächer hinweg besteht für die meisten Promovierenden keine Armutsgefährdung“, schreiben die iFQ-Forscher. Ob man darüber jetzt in Jubel ausbrechen kann, ist eine andere Frage. Die Feststellung, dass der Großteil der Doktoranden kein Leben in Armut führt, ist nicht unbedingt eine Erfolgsmeldung. Man könnte argumentieren, dass die Armutsgrenze für jemanden, der jahrelang studiert hat und an einer Universität lehrt und forscht, sowieso in weiter Ferne liegen sollte.

Die Unterschiede zwischen den Fächern sind auf die verschiedenen Beschäftigungsverhältnisse zurückzuführen. „Vielfältige Promotionskultur“ nennen die Autoren der Studie das. Heißt: In Fächern wie Biologie, Physik oder Informatik werden die Doktoranden vor allem direkt aus dem Fakultätshaushalt oder aus Drittmitteln bezahlt, also zum Beispiel mit Geldern aus privaten Unternehmen, die Forschungskooperationen mit den Unis eingehen. Die Geisteswissenschaftler bekommen meistens Stipendien und müssen sich dann selbst um ihre Sozialversicherungen kümmern. Manche haben auch gar kein gesichertes Einkommen, sondern zehren von Erspartem, von Unterstützung der Eltern oder beziehen Arbeitslosengeld. Oft hangeln sich die Promovierenden auch zwischen unterschiedlichen Geldquellen hin- und her: Zwei Fünftel der Befragten wechselte die Finanzierungsform mindestens einmal.

Sieht man von den finanziellen Problemen ab, sind die meisten Doktoranden mit ihren Arbeitsbedingungen aber grundsätzlich ganz glücklich. In der Untersuchung gaben etwa zwei Drittel von ihnen an, mit der Betreuung insgesamt zufrieden zu sein, nur jeder Achte ist insgesamt unzufrieden.

Leider bleibt unklar, wie genau das Bild ist, das die Forscher mit ihrer Auswertung zeichnen. Zwar haben sie in ihrem Panel 6000 Doktoranden befragt, sie kamen von zehn Universitäten, von der Deutschen Forschungsgesellschaft, Begabtenförderwerken oder dem DAAD. Allerdings ist nicht einmal klar, wie viele Menschen in Deutschland gerade an einer Doktorarbeit sitzen. Amtliche Statistiken erheben nur, wie viele Doktortitel jährlich vergeben werden, aber niemand registriert die Promovierenden zu Beginn ihrer Arbeit. Somit ist auch nicht klar, wie viele auf der Strecke bleiben – und aus welchen Gründen.       



Text: christian-helten - Foto: Elisabeth Grebe / photocase.com

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