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Der Vice-Reflex

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Das australische Männermagazin „Zoo Magazine“ sucht die heißeste Asylbewerberin des Landes. Aha. Einen kurzen Moment denke ich darüber nach, ob ich empört bin. Dann setzt der übliche Reflex ein.

 „Wenn du eine Asylbewerberin bist, die nicht mal der Innenminister ablehnen würde, dann wollen wir dich shooten (mit einer Kamera – keine Sorge!)“, so ähnlich lautete der Aufruf, der doppelseitig im aktuellen australischen Tittenblatt „Zoo-Magazine“ abgedruckt war. Weiße Schrift auf rotem Hintergrund. Dahinter folgt eine Fotostrecke der hübschesten „Boat People“, in diesem Fall sind das Bikini-Mädchen auf Yachten, im normalen Sprachgebrauch Flüchtlinge, die mit Booten nach Australien kommen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



So weit, so geschmacklos. Natürlich wird keine Asylbewerberin das Heft mit dem Aufruf je in die Hand bekommen. Kalkulierte Provokation, es gibt keine schlechte PR und so weiter. Hat natürlich auch funktioniert. Menschenrechtsgruppen haben die Doppelseite scharf kritisiert, einige Mainstream-Medien sprangen auf den Empörungszug auf. Sogar der Guardian erwähnte auf einmal das australische Tittenblatt und mutmaßt, so dumm die Aktion auch sei, vielleicht helfe sie dabei das Thema Asyl auf die politische Landkarte zu setzen. Win Win Win.

Die Bekleidungsfirma CeleBoutique sieht, dass „Aurora“ (Ort des Batman-Massakers) auf Twitter ein Trend ist. Ihre Reaktion: „Ah, das muss an unserem neuen Kim K Kleid liegen, das heisst auch Aurora“. Liegt es nicht. Die Firma muss einen ordentlichen Shitstorm über sich ergehen lassen. „Konnten wir nicht wissen, unsere PR-Agentur sitzt nicht in den USA“, ist die Antwort des Unternehmens. Schlechte Antwort, sagt das Internet. Shitstorm Nummer zwei. In zwei Tagen ist das vorbei, aber CeleBoutique hab ich mir gemerkt. Win Win Win.

Beide Kampagnen, wenn es denn welche waren, haben mich nur im Ansatz provoziert, ein kurzes Aufflackern des Erregungspotentials. Dann setzt ein, was ich den Vice-Reflex nenne: Jemand benimmt sich unanständig. Allerdings so unanständig, dass mir nicht klar ist, ob der Fehltritt nicht vielleicht kalkuliert ist - um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Folge: genau das passiert. Aufmerksamkeit powered by Empörung.

So arbeitet das kanadische Magazin „Vice“ seit Jahren. Waffenhandel in Karachi, Kindersoldaten in Liberia, Sex mit Behinderten – „Vice“ ist kein Thema zu krass. Allerdings habe ich bei „Vice“ immer das Gefühl, dass die Macher die Gefühle ihrer Protagonisten ernst nehmen. Trotzdem breitet sich der Vice-Reflex bei mir inzwischen immer stärker aus. Am besten zeigt sich das wohl an meiner ersten Reaktion auf das Batman-Massaker im Kinosaal: Noch vor allen anderen Gedanken fragte ich mich, ob Warner Brothers eigentlich etwas Besseres passieren konnte? Und wie stark der Kino-Umsatz wohl aufgrund des Attentats ansteigen würde.



Der Text erscheint im Rahmen einer Kooperation mit der Deutschen Journalistenschule. Deren 50ste Lehrredaktion hat unter dem Titel Franz Josef ein junges politisches Magazin erstellt, das im September erscheint. Bis dahin kann man ihm auf Twitter, Tumblr und Pinterest folgen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Text: max-muth - Foto: rtr

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