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Gummistiefelweitwerfer und Indie-Streber

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Fritz – Die Gummistiefelweitwerfer
Fritz gehört zum RBB und sendet in Berlin und Brandenburg. Am Mikrofon regieren die „Fritzen“: Die Radiofritzen am Morgen, am Nachmittag und die Sonntagsfritzen. Fritz macht nicht nur Radio, sondern auch Sport. Der Sender hat den ersten deutschen Gummistiefelweitwurf-Verein gegründet.
Nach drei Minuten Hören weiß man: Fritz wird in Brandenburg gemacht. Hier dürfen offenbar nur Berliner Schnauzen on air: Ik kiek ma, wat die Rihanna jemacht hat, wa. 
Gefühlte Zielgruppe: Alle, die selber gern viel reden. Mittags und abends laufen Call-In Shows: Die dümmsten Anmachsprüche, Swingerparties und sexy deutsche Dialekte – thematisch sind die Sendungen so gehalten, dass so ziemlich jeder seinen hochqualifizierten Senf abgeben kann.
Welcher Song läuft, wenn ich das Radio anmache: Icke und Er – Richtig geil
Das nervt: Die Comedyserie rund um das WG-Leben von Tobias Hagedorn. Der ist gerade bei seinen Eltern ausgezogen und teilt sich seine Wohnung jetzt mit der berlinernden Anne und der Französin Julie. Läuft im Tagesprogramm und tischt sämtliche Vorurteile und platten Witze auf, die man sich vorstellen kann. Einschalten lohnt sich bei: Unsigned, Sonntag 18-20 Uhr. Hier werden deutsche Bands vorgestellt, die noch keinen Plattenvertrag haben. Darunter finden sich immer mal wieder Perlen.  


Bremen 4 – Das Urgestein
Bremen 4 war bei seiner Gründung 1986 das erste Jugendradio der ARD und ist mittlerweile eine der reiferen Jugendwellen. Hier wird fast so viel geredet wie gedudelt. Es gibt regelmäßig ausführliche Nachrichten ohne Musikbett. Sonntags laufen im Kindermagazin ZebraVier und dem Auslandsmagazin Weltweit Reportagen und Gesprächen mit Wissenschaftlern und Korrespondenten.
Nach 3 Minuten Hören weiß man: Fußball spielt hier auch außerhalb von EM und WM eine große Rolle. Bremen 4 verfolgt jede Bewegung von Werden Bremen. Die Liebe geht sogar so weit, dass der Sender zusammen mit Hörern eine eigene Werder Hymne produziert hat: „Deine Stimme für Werder“.
Gefühlte Zielgruppe: Bremenfans, die sich neben Fangesängen auch für Musik interessieren und Linguistikstudenten mit einem Hang zu Minderheitssprachen (Plattdütsch)
Welcher Song läuft, wenn ich das Radio anmache: Velvet Underground – Sunday morning, zumindest dienstags ab 20 Uhr bei Radio Renner. Musikproduzent und –journalist Tim Renner spielt das, was in der A-, B-, und C Rotation keinen Platz findet: Alternative, Indie und Remixe – Klassiker und Neuheiten. Dazu erzählt er, was sich hinter den Türen von Labels und Konzerthallen abspielt.
Das nervt: „Gefühlsecht“ am Sonntagabend. Ein Moderator lädt Hörer ein und spielt Doktor Sommer: Euer erstes Mal, euer peinlichster Moment und mögt ihr es, wenn euer Partner euch beim Sex "Drecksau" nennt? Fremdschäm-Potential!
Einschalten lohnt sich, wenn Bremen 4 Volkshochschule spielt: Regelmäßig läuft im Programm ein Plattdeutschkurs. Plattdütsch snaken lernen im Radio – „dat dat dat jieft“ (heißt: „Was es nicht alles gibt“, lernt man in Folge 4 über Smalltalk). Praktischerweise gibt’s dazu auch die Plattdeutsch App, falls man mal eine Folge verpasst. 

You FM – Der Partysender
You FM sendet seit 1998 für Hessen und spielte am Anfang nur Techno. Heute ist der Sender zwar auf aktuelle Charts umgeschwenkt, Parties spielen aber immer noch eine große Rolle. Die Moderatoren werden schon am Montag ganz hippelig, wenn es um Freitag geht. Ist der dann da, holen die Musikredakteure die DJ-Pulte raus und spielen an den Wochenendabenden Clubmusik.
Nach drei Minuten Hören weiß man: YOU FM steht für Young Fresh Music, deswegen wird hier nicht lang rumgeredet. Die Nachrichten sind kurz und knapp und die Moderationen dienen dem seichten Übergang von einem Lied zum nächsten.
Gefühlte Zielgruppe: All the party people in the house.
Welcher Song läuft, wenn ich das Radio anmache: Stromae - Alors on danse
Das nervt: Der Rapzeptionist – Ein Moderator ruft bei der Rezeption eines Hotels an und hinterlässt einen Songtext als Nachricht für einen fiktiven Gast. Der Angerufene liest den Text vor, unterlegt mit den Beats des Originalsongs. Aber Telefonstreiche waren lustiger, als man sie noch selbst gemacht hat.
Einschalten lohnt sich bei: Eastern Sounds, sonntags ab 21 Uhr. Für Freunde von Balkan Beats, russischen Rap und polnischem Ska.  

N-Joy – Der Comedysender
N-Joy ist das Jugendangebot des NDR und sendet für Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. N-Joy kommt seinem Bildungsauftrag vorbildlich nach. Alles, was zwischen Comedy und Morningshow on air keinen Platz findet, wird online abgehandelt: Was sind eigentlich Eurobonds? Wie sieht ein Ausbildungsvertrag aus? Und wie kann ich mich politisch engagieren?
Nach drei Minuten Hören weiß man: Was die Leute im Sendegebiet zum Oberkörper von Schweinsteiger, der Eurokrise und dem verregneten Sommer zu sagen haben. Straßenumfragen entstehen hier am Fließband.
Gefühlte Zielgruppe: Griesgräme, die gern mal wieder lachen wollen
Welcher Song läuft, wenn ich das Radio anmache: „Witzigkeit kennt keine Grenzen“
Das nervt: Kuhlage und Harderland, die Nervensägen der Morningshow. Die beiden pressen aus jeder Information einen Witz raus. Freitag ist Hosen runter Freitag, zu dem Hörer Fotos ihrer nackten Beine einschicken und ein Brusthaar von Andrea Berg sagt derzeit die EM-Ergebnisse voraus. Das ist ganz schön anstrengend, morgens um 5.
Einschalten lohnt sich bei: Lateline mit Jan Böhmermann, Donnerstag von 23 bis 1 Uhr. Böhmermann spielt Jürgen Domian und lässt sich von Hörern Geschichten erzählen. Die Idee ist zwar nicht neu, aber Jan Böhmermann ist so schön charmant fies. Die Lateline läuft auch bei sechs anderen ARD-Wellen.  

Sputnik – Die Experimentierfreudigen
Bei Sputnik in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gibt’s alle paar Jahre was Neues. Bis vor zwei Jahren war der Sender der „Alternative“ unter den Jugendwellen: Indie statt Mainstream, Nachrichten auf Englisch, eine wöchentliche Reportagesendung – Sputnik wollte Jugendprogramm mit journalistischem Tiefgang. Dann kam die Programmreform und seitdem gibt’s weniger Wort, dafür mehr Charts. Konstant hält sich dafür seit einiger Zeit, dass Sputnik Lokalhelden sucht und fördert. Bands aus der Region können ihre Musik auf der Senderseite hochladen und kommen mit Glück ins Programm.
Nach drei Minuten Hören weiß man, dass Sputnik werbefrei ist. Der Jingle „Einfach die beste Musik. Null Werbung“ leiert sich durchs Programm.
Gefühlte Zielgruppe: Alle die gerne mal was Neues haben
Welcher Song läuft, wenn ich das Radio anmache: Seal – A change is gonna come
Das nervt: Das Musikmagazin Intro hatte mal eine wöchentliche Sendung bei Sputnik – „MDR Sputnik Offstream“. Da lief die Musik und Themen, die es sonst in der Intro gibt: weniger Mainstream, mehr Indie und unbekanntes Zeug. Offstream wurde nach kurzer Zeit leider abgesetzt.
Einschalten lohnt sich bei: Insomnia, Sonntags von 23 bis 1 Uhr. Insomnia ist die Radiovariante des Schäfchen Zählens, also das Programm zum Einschlafen. Heißt: ruhige Songs und dazwischen immer mal wieder Filmdialoge – nur einschlafgerechte natürlich.   

Dasding und 103.7UnserDing - die Geschwister im Südwesten
Dasding ist der Jugendsender des SWR und sendet in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Vorm Mikrofon und an den Redaktionspulten sitzen nur Jugendliche und junge Erwachsene. Neben Radio und Onlineangebot, sendet Dasding auch die wöchentliche Fernsehsendung DASDING.tv, die im SWR, bei einsfestival und Einsplus läuft. Dasding kooperiert eng mit dem Saarländer Jugendsender103.7Unser Ding. Die beiden Sender schustern sich gegenseitig einen Teil ihres Programms zu.  
Nach drei Minuten Hören weiß man: Dasding ist „Live. Laut. Lässig“, deswegen ist dem Sender auch kein Festivalmatsch zu tief und keine Bassbox zu laut. Dasding.tv sendet gefühlt von jedem Open-Air der Republik.
Gefühlte Zielgruppe: Alle, die am liebsten auch Heiligabend vor einer Festivalbühne stehen würden. Welcher Song läuft, wenn ich das Radio anmache: The National – Fake Empire, hat Fee aus Stuttgart eingereicht und läuft Montagabend in der Sendung Mixtape, in der Hörer die Playlist der Stunde gestalten. Das nervt: Kreuz und Quer, der tägliche Einminüter von der katholischen Kirche. Junge Leute erzählen von ihrer Beziehung zur Bibel, ihrem Gottvertrauen und Nächstenliebe. So wie Thomas neulich. Er findet, dass Jesus und Deichkind sich ziemlich ähnlich sind. Beide sind nämlich „Leider geil“: Deichkind sind geil auf „'nen Burger, auf die Busen, auf das Bier“. Jesus eher so auf „auf die Wahrheit, auf das Leben, auf die Liebe“. Thomas findet das leider geil, Hörer eher peinlich.
Einschalten lohnt sich bei: Rückenwind, jeden zweiten Sonntag im Monat von 17-20 Uhr.  Hier geht’s ums Koffer packen, wegfahren, Urlaub machen.  

Eins Live – Die Schizophrenen
Eins Live ist das Jugenradio in NRW und die Erfolgreichste unter den Wellen. Täglich hören bis zu 3,3 Millionen Menschen Eins Live. Programmaktionen wie das "Eins Live Schulduell" kennt man im ganzen Bundesland, die "O-Ton-Charts" haben Kultstatus, genau wie viele der Moderatoren.
Nach drei Minuten Hören weiß man: Man ist nicht im Rheinland, im Ruhrgebiet, in Westfalen oder in Lippe, sondern man ist im "Sektor". On air sprechen alle vom Sendegebiet nämlich ausschließlich als ebenjenem "Sektor".
Gefühlte Zielgruppe: Alle unter 45. Bei Eins Live ist, positiv ausgedrückt, für alle was dabei. Ausgesprochen jung klingt das nicht immer.
Welcher Song läuft, wenn ich das Radio anmache? Die Toten Hosen - An Tagen wie diesen. In der EM-Version.  
Das nervt: so richtig nervig ist nichts, genau darauf ist das Programm angelegt: Nichts soll zum umschalten verleiten. Dies Unentschiedenheit nervt manchmal.
Einschalten lohnt sich bei: Plan B. Von Montag bis Donnerstag offenbart Eins Live seine Schizophrenie, denn ab 20 Uhr meint man einen völlig anderen Sender zu hören, nämlich ein alternatives Jugendradio mit Musik ausschließlich jenseits des Mainstreams, dazu viel Popkultur, Reportagen und sogar einen Radiokrimi.


On3-radio – die Indie-Streber
On3? Nie gehört? Das Jugendradio des Bayerischen Rundfunk gibt es nicht nur erst seit 2008, sondern hat auch keine normale Radio-Frequenz. Es gibt diverse exotische Empfangswege, die meisten Hörer dürften wohl übers Netz streamen. Meistens hören sie nur Musik, denn moderiertes Programm gibt es auf on3 nur von Montag bis Freitag von 16 bis 20 Uhr. Dazu kommen noch ein paar Spezialsendungen außerhalb des Schemas.   
Nach drei Minuten Hören weiß man: dass on3-radio das mit Abstand alternativste Jugendradio in Deutschland ist. Wahrscheinlich hat man nämlich gerade einen Song gehört, den man noch nicht kannte. 
Gefühlte Zielgruppe: Blasse Mittzwanziger in engen Jeans und Karohemd. Die, die auch ins Arthouse-Kino gehen, stets die neuesten US-Serien kennen und immer nen Jutebeutel dabei haben.      
Welcher Song läuft, wenn ich das Radio anmache: Talking Pets - Carolina. Jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit Indie-Pop aus Bayern.
Das nervt: das Informationsloch. Auf on3-radio gibt es keine Nachrichten.
Einschalten lohnt sich bei: „Die Frage“. Jeden Monat versucht ein Reporter zwei Wochen lang auf eine Frage wie "Wer weiß was von mir?" oder „Wie lange bin ich jung?“ Antworten zu finden. Das läuft dann an einem Montag um 21 Uhr und ist so spannend, dass die Sendung schon mit dem „Deutschen Radiopreis“ ausgezeichnet wurde.

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