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"Seit Aristoteles wird geklagt, die Jugend sei nicht leistungsfähig"

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In Spanien nennt man sie "ni-nis", was niedlich klingt, aber nicht niedlich ist: Sie sind die "Weder nochs", jene jungen Menschen, die weder in Ausbildung sind noch arbeiten. Eine am Montag veröffentlichte Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hat gezeigt, dass nicht nur im krisengeschüttelten Spanien, sondern im Euro-Raum insgesamt die Jugendarbeitslosigkeit deutlich gestiegen ist: 14 Prozent der 15- bis 24-Jährigen zählen zu den "ni-nis". Das sind etwa 3,3 Millionen junge Menschen. In Deutschland ist die Situation allerdings trotz Wirtschaftskrise vergleichsweise gut. Woran das liegt, was gegen die Jugendarbeitslosigkeit getan werden kann und warum die Unternehmen womöglich zu hohe Ansprüche haben: Ein Interview mit Arbeitsmarktexperte Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. 

jetzt.de: Die Jugendarbeitslosigkeit ist durch die Finanz- und Wirtschaftskrise in ganz Europa deutlich gestiegen. Die ILO spricht deswegen von den 15- bis 24-Jährigen als einer „verlorenen Generation“. Sehen Sie das auch so, Herr Brenke?  
Karl Brenke: In der Tat ist es so, dass wir in den europäischen Staaten eine relativ hohe Jugendarbeitslosigkeit haben. Die Zahlen schwanken aber sehr stark. Einerseits gibt es Staaten wie Spanien und Griechenland, wo über 40 Prozent ohne Arbeit sind, andererseits liegt die Quote für Jugendarbeitslosigkeit in den Niederlanden, in Österreich und bei uns in Deutschland unter zehn Prozent. Ich denke, man kann daher nicht generell von einer „verlorenen Generation“ sprechen. Aber: Jugendarbeitslosigkeit ist in den Industriestaaten ein weit verbreitetes Problem – und in allen Industriestaaten ist die Arbeitslosenquote unter Jugendlichen mindestens doppelt so hoch wie unter Erwachsenen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Warum sind Jugendliche so viel häufiger arbeitslos?  
Das hängt zum einen damit zusammen, dass Berufseinsteigern häufig eine Berufsausbildung fehlt. Zum anderen spielt zum Beispiel in Spanien auch ein starker Kündigungsschutz eine Rolle, der es den Jugendlichen schwer macht, ins Erwerbsleben einzusteigen. Allgemein gilt, dass die Unternehmen oftmals schlicht nicht bereit sind, Jugendliche auszubilden und einzustellen, weil das mit zusätzlichen Kosten verbunden ist. Stattdessen setzt man lieber auf erfahrene Mitarbeiter.  

Wollen denn nicht immer alle gerne junge Arbeitskräfte einstellen?
Das gilt aber nicht für Personen unter 25 Jahren, sondern eher für diejenigen zwischen 25 und 35. Die ganz Jungen sind nicht so gefragt.  

Liegt es vielleicht auch an den Qualifikationen der Jugendlichen? Hierzulande klagen die Unternehmen oft, die Jugendlichen seien trotz Schulabschluss nicht ausbildungsreif.  
Ich wäre da vorsichtig. Erstens wird seit Aristoteles wird darüber geklagt, die Jugend sei nicht leistungsfähig. Die Klage zieht sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte. Das Zweite ist, dass die Unternehmen gerade hierzulande recht verwöhnt waren. Sie konnten sich aus einer großen Zahl von Bewerbern ihre Auszubildenden aussuchen. Mitunter war es ja so, dass in manchen Branchen Lehrlinge überhaupt nur eingestellt wurden, wenn die Jugendlichen Abitur gemacht hatten, etwa bei den Banken oder Finanzdienstleistern. Von diesen hohen Erwartungen müssen sich die Unternehmen verabschieden.    

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

                    Karl Brenke, Arbeitsmarktexperte am DIW in Berlin.

Auch wenn die Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa gestiegen ist, sind die Unterschiede zwischen Deutschland einerseits und Spanien und Griechenland andererseits sehr deutlich. Liegt das nur daran, dass diese Länder unter der Krise besonders leiden oder gibt es noch andere Gründe, warum in Deutschland junge Leute häufiger einen Job finden?
Erstmal hängt das mit der generellen Arbeitsmarktsituation zusammen, die sich in Deutschland deutlich besser darstellt als zum Beispiel in Spanien und in Griechenland. Aber wenn man das außen vor lässt, dann ist die Situation hierzulande nicht viel besser: Die Arbeitslosenquote bei den Erwachsenen liegt bei etwa fünf Prozent, bei den Jugendlichen bei etwa neun Prozent. In Deutschland haben wir außerdem noch die Besonderheit, dass die Lehrlinge als Erwerbstätige gezählt werden. Mathematisch gesprochen: Bei der Berechnung der Quote kommen die Auszubildenden mit in den Nenner hinein. Dadurch erscheint die Jugendarbeitslosigkeit vergleichweise niedrig. Eine echte deutsche Stärke ist aber sicherlich das duale System der parallelen Ausbildung in Betrieb und Berufsschule. Dadurch werden die Jugendlichen schrittweise in die Arbeitswelt hineingebracht. Nicht ohne Grund soll das Modell jetzt kopiert werden, Spanien will ebenfalls eine betriebliche Berufsausbildung einführen.  

Sind das denn eigentlich alles gute Jobs, die Jugendliche hierzulande bekommen?
In vielen Fällen nicht. Es sind oftmals befristete und niedrig entlohnte Anstellungsverhältnisse, wie auch Untersuchungen des DIW gezeigt haben. Allerdings ist das kein spezifisch deutsches Problem, sondern die Situation ist in anderen Ländern ähnlich.  

Welche Jugendlichen werden vor allem arbeitslos?
Gefährlich wird es vor allem für diejenigen, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Ich will jetzt nicht in das Klagelied der Arbeitgeber einstimmen, dass die Jugendlichen nicht ausbildungsfähig seien. Aber dass etwa zehn Prozent der Jugendlichen nicht einmal einen Hauptschulabschluss haben, wenn sie die Schule verlassen, das ist schon ein Problem. Da müssen wir auch arbeitsmarktpolitisch eingreifen, um diese Jugendlichen in das Berufsleben zu integrieren.  

Was könnte denn von staatlicher Seite unternommen werden, um die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen?  
Es wird ja schon sehr viel getan. Es gibt das berufsvorbereitende Jahr, es gibt staatlich finanzierte Ausbildungsplätze. Es ist aber nicht nur der Staat in der Pflicht, auch die Unternehmen müssen umdenken und mehr Jugendlichen eine Chance geben. Also auch mal einem Jugendlichen, der nur einen Hauptschulabschluss hat, oder nicht mal das. Jemandem, der theoretisch vielleicht nicht so stark ist, aber in der praktischen Arbeit durchaus bestehen und ein guter Facharbeiter werden könnte. Auch angesichts der demographischen Entwicklung wäre das dringend angebracht.   

Was sollten die Jugendlichen selbst tun? 
Sich besser über berufliche Möglichkeiten informieren! Man kann sehen, dass ein erheblicher Teil der Jugendlichen typische Modeberufe anstrebt: Die Mädchen wollen Floristin oder Friseurin werden, die Jungen zum Beispiel Kraftfahrzeugmechaniker. Viele Jugendliche können sich nämlich zwar vorstellen, ein Auto zu reparieren, aber eben nicht, was etwa ein Werkzeugmechaniker macht. In den gefragten Modeberufen gibt es auch oft viele Ausbildungsstellen, allerdings wird dann über Bedarf ausgebildet. Das kommt dann zwar den Interessen der Jugendlichen entgegen, aber verringert ihre Chancen auf einen Job nach der Ausbildung. Deshalb ist es wichtig, dass man sich über Alternativen informiert. Dabei sollten die Jugendlichen aber natürlich unterstützt werden – bei der Berufsberatung und auch schon in den Schulen.

Macht es einen Unterschied, wenn man gleich zu Beginn des eigenen Arbeitslebens arbeitslos wird?
Es deprimiert natürlich in jedem Alter, wenn man seinen Job verliert oder erst gar keine Arbeit findet. Aber man kann gerade als jugendlicher Arbeitsloser relativ schnell abrutschen, weil sich das Selbstwertgefühl gar nicht erst richtig entwickelt, wenn man man nicht in das Arbeitsleben hineinfindet. Die Enttäuschung kann die Arbeitsmotivation nachhaltig untergraben.


Text: juliane-frisse - Fotos: dpa, Anna Blancke/DIW

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