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"Run, hide and wait"

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Angenommen man sitzt in der Schule und plötzlich riecht es nach Rauch. Und dann schreit jemand „Feuer". Wie verhält man sich? "Ruhe bewahren" ist die wichtigste Regel. Damit das funktioniert und sich nicht doch die Panik ihren Weg bahnt, trainiert man an Schulen per Probealarm, damit das richtige Verhalten im Ernstfall einfach abgerufen werden kann. An amerikanischen Schulen ist das Sicherheitstraining noch differenzierter als hierzulande und die Schüler lernen, was zu tun ist, wenn sie selbst in Brand geraten. „Stop, drop and roll" lautet die eingängige Dreierregel, die man den Kindern beibringt – bleib stehen, lass dich fallen und ersticke das Feuer, indem du dich über den Boden rollst. Aber angenommen man sitzt in der Schule und plötzlich hört man Schüsse – welche Regeln gelten dann?

Die Schüler der Highschool in Chardon, Ohio trauern um die Opfer des Amoklaufs vom vergangenen Montag.

Nach der jüngsten Schießerei an einer Highschool im US-Bundesstaat Ohio mit drei Toten wird nun wieder einmal über die Sicherheit an Schulen diskutiert. Sicherheitsexperten des Militärs und der Polizei haben vorgeschlagen, ein Pendant zur „Stop, drop and roll"-Regel für den Fall eines Amoklauf zu trainieren: „Run, hide and wait." Bisher lautete die Empfehlung, sich im Klassenraum einzuschließen. Chuck Habermehl, Gründer der „Close Quarters Battle", einer Art Nahkampfeinheit in Florida, unterstützt die mögliche Neuerung: „Sometimes it's safer just to get the heck out of there", zitiert ihnThe Daily. Allerdings stößt der Vorschlag auf Widerstand: Viele Schulen und Eltern möchten die Kinder keiner simulierten Amoklaufsituation aussetzen, das sei zu beängstigend. Habermehl hält das für falsche oder sogar gefährliche Scheu: "It's like rape prevention, Schools just don't want to take on the subject."

Nach dem Amoklauf an der Columbine Highschool in Colorado im Jahr 1999 wurden die Sicherheitsvorkehrungen an amerikanischen Schulen verstärkt, beispielsweise durch erweiterte Kameraüberwachung oder mehr Sicherheitspersonal. 2006 wurde sogar ein spezielles Trainingsprogramm namens A.L.I.C.E. (Alert-Lockdown-Inform-Counter-Evacuate) zur aktiven Abwehr bewaffneter Personen angedacht, dann aber abgelehnt. Die Amokläufe an deutschen Schulen, beispielsweise in Erfurt oder Emsdetten, brachten auch hierzulande neue Sicherheitsmaßnahmen ins Gespräch. So wurden zum Beispiel bei vielen Klassenräumen die äußeren Türklinken durch einen Knauf ersetzt, sodass sich die Tür von außen nur noch mit einem Schlüssel öffnen lässt. Seit 2002 sind Schulen in Bayern verpflichtet, gemeinsam mit der Polizei und dem Sachaufwandsträger, also zum Beispiel der Gemeinde, ein Sicherheitskonzept zu erstellen und regelmäßig zu erneuern. „Die Grundprinzipien dieses Sicherheitskonzeptes sollten verinnerlicht sein", sagt Dr. Ludwig Unger, Pressesprecher des Bayerischen Kultusministeriums. Und Probeläufe sind nun mal eine gute Möglichkeit, das Verhalten im Ernstfall zu trainieren oder Fluchtwege bekannt zu machen. „Wir setzen dabei aber auf Eigenverantwortlichkeit", so Unger weiter, „daher bekommen wir, wie auch bei Feueralarm-Proben, keine Rückmeldung, ob Trainings stattgefunden haben."

 

Nach dem Vorfall in Ansbach 2009 plädierte der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands für regelmäßige Sicherheitsübungen in Zusammenarbeit mit der Polizei. Doch Amok-Probealarm gibt es an deutschen Schulen bisher kaum. Ein Blogger berichtet von einem unangekündigten Probealarm im letzten Jahr an einer Schule in Winterberg, bei der einige Minuten lang per Lautsprecher „Amok, Amok" durchgesagt worden sein soll. Von Maßnahmen, die ergriffen wurden, liest man allerdings nichts. An einer Freiburger Schule war 2009 einem Bericht der Badischen Zeitung zufolge eine Amokprobe geplant, doch die Eltern protestierten und plädierten für „sachliche Aufklärung" und eine „kontrollierte Trainingssituation". Erste Regel für Schüler übrigens auch hier: „im Klassenzimmer einschließen und verbarrikadieren".

 

Vielleicht setzt sich auch in den USA „run, hide and wait" nicht durch und es bleibt bei einer „duck and cover"-Methode. Diese Regel aus den 50ern für einen möglichen atomaren Angriff wurde damals sogar per Video verbreitet, das das Satiremagazin „National Lampoon" parodiert und zu einem Amoklauf-Ratgeber gemacht hat. Nicht als Parodie, sondern tatsächlich ernst gemeint, ist allerdings Chuck Habermehls Vorschlag, zur Verbesserung der Sicherheit Lehrer zukünftig zu bewaffnen. Sein Argument: "Yet very rarely are police in position to stop an active shooter. Teachers are."

 

Doch egal, ob „run, hide and wait" oder verbarrikadierte Türen, am Ende ist nur eines wirklich sicher: keine Schießereien an Schulen. Und das erreicht man wohl kaum durch eine eingängige Regel, sondern allein durch Prävention.

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