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Die Typologie der Esser

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1. Der Gabelparker

Die Pose: Der Gabelparker behandelt sein Essen, als bestehe es aus lauter kleinen Teilchen, die es möglichst hübsch zu sortieren gelte. Das Besteck bewegt er flink und im steilen Winkel über den Teller. Doch statt die volle Gabel schließlich auch zum Mund zu führen, parkt er sie erst minutenlang auf Brusthöhe, um in Ruhe mit seinen Mitsitzern zu plänkeln. Allen am Tisch fällt ein Stein vom Herzen, wenn er seine erkaltete Portion zwischen die Lippen schiebt und sie nach langen, reklameartigen Kaubewegungen endlich herunterschluckt.

Was er mit der Pose sagen will: Kinder, Essen ist ein gesellschaftliches Event und ich brilliere in dieser Disziplin. Der Akt der Nahrungsaufnahme ist doch heutzutage zweitrangig - es geht längst nicht mehr darum, dass man isst, sondern wie man es tut!
Was er wirklich denkt: Die Leute sehen beim Essen aus wie Tiere. Mir wäre das unangenehm. Abgesehen davon: Das Meiste setzt sich so, wie es ist, auf die Hüfte.
Was die Tischgemeinschaft denkt: Wenn der nachher das Tiramisu mit Worten wie: „Ich bin einfach kein Dessertmensch" ablehnt, dann stopfe ich mir meine UND seine Portion gleichzeitig in den Mund und hoffe, dass er das Bild nie wieder vergisst.



2. Der Nimmersatte

Die Pose: Der Nimmersatte kriegt vor lauter Reinhauen rote Bäckchen, zwischendurch entfahren ihm unbemerkt ein paar wollüstige Schmatzer. Seine Augen springen während des Essens so lange hektisch zwischen seinem und den Tellern der Anderen hin und her, bis ihn jemand fragt: „Ähm, magst du vielleicht mal probieren?" Der Nimmersatte nimmt freudig an, ahnt dabei aber nicht, dass sein gieriger Blick die Großzügigkeit des Anderen regelrecht erzwungen hat. Es kann gut sein, dass er vergisst, das Probierangebot zurückzugeben und einfach naiv grinsend weitermampft.

Was er mit der Pose sagen will: Ist doch schön, wenn Leute so richtig sinnlich sind, oder nicht? Wenn der Teller leer ist, weiß der Koch: Es hat geschmeckt.
Was er wirklich denkt: So traurig, dass man so lange auf das Essen wartet und es dann so schnell wieder vorbei ist. Außerdem haben die Anderen irgendwie viel mehr Steinpilze in der Soße. Überhaupt sieht bei ihnen alles besser aus und das macht mich auch traurig. Zum Glück darf ich überall mal probieren! Was nehme ich nur zum Nachtisch?
Was die Anderen denken: Meine Güte, wie der schaufelt! Als ob es nie wieder was zu Essen gäbe. Großfamilie, man hört's ja immer wieder. Der Arme!



3. Der Großzügige

Die Pose: Der Großzügige lehnt lässig in seinem Stuhl, die Arme weit ausgebreitet, dazwischen der Teller, den er ein Stück Richtung Mitte des Tisches geschoben und dabei freudig gerufen hat: „Kommt, nehmt mal alle was, probiert mal!" Wenn die ersten genommen haben, schnappt er sich selbst ein Stück und kaut so gemächlich darauf herum, als habe er den ganzen Tag schon gegessen und als ginge es jetzt nur noch um ein abschließendes, geselliges Dippen in großer Runde. Öfter als auf den Teller schaut er dabei zu seinen Tischpartnern, beteiligt sich an ihren Gesprächen und erfreut sich an der großen, zwischenmenschlichen Liebe im Raum. Sein Teller nimmt weniger die Rolle eines individuellen Hauptgerichts als das Häppchen- und Tauschbuffet aller Anwesenden ein.

Was er mit der Pose sagen will: „Mi casa es su casa!"
Was er wirklich denkt: „Hey: mi casa es su casa, ehrlich, ich mein das so, das Wichtigste ist doch, dass wir alle zusammen sind und eine super Zeit miteinander verbringen. Ich werde nie vergessen, wie ich durch Nordindonesien gereist bin und wir mit so ganz armen Menschen in so einer kleinen Hütte auf dem Boden gegessen haben, jeder hat halt mitgebracht, was er hatte, und wir haben geteilt, so einer-für-alle-alle-für-einen-mäßig."
Was die Anderen denken: Voll netter Typ! Mit solchen Menschen ist man gern zusammen. Und irgendwie auch praktisch: Wenn er dabei ist, hat man immer ein Gericht mehr, hihihi.



4. Der Veganer

Die Pose: Grauen Antlitzes sitzt der Veganer am Tisch und schaut sich unbehaglich auf der Karte um. Während die Anderen gar nicht genug Finger zur Auswahl haben, um ihre Entscheidungsqual zu verbildlichen, wartet er still und bescheiden auf den Kellner, um zu fragen, ob man ihm auch irgendwas ohne xyz zusammenstellen kann. Als der Kellner ihm schließlich einen Teller hinstellt, auf dem zwei Kartoffeln und drei Brokkoliröschen ohne Soße herumrollen, erntet er mitleidige Blicke. Eine Person, die gerade einen saftigen Braten mit Rahmsülzsoße gebracht bekommen hat, sagt kleinlaut: „Ich geb dir jederzeit gern was ab, aber du isst das ja nicht, und ehm...hey, vielleicht haben die hier ja Wahnsinnsdrinks? Darfst du Cocktails?" Der Veganer rollt die Augen und erwidert: "Jaaaa, ich darf Cocktails, wenn sie oooohne xyz sind."

Was er mit der Pose sagen will: Ich will ja nichts sagen, aber ich tue jedenfalls etwas für eine bessere Welt. Es gibt wirklich Wichtigeres als Essen, gerade heutzutage.
Was er wirklich denkt: Man scheiße, ich weiß doch auch nicht, was richtig ist, aber ich ziehe das jetzt durch und eigentlich geht es mir damit auch ganz gut. Seht es doch mal so: Vielleicht bin ich meiner Zeit voraus.
Was die Anderen denken: Mannomann, wo ist er/sie nur seelisch so dermaßen zu kurz gekommen? Ich bin ja tolerant, aber Vegansein, das grenzt für MICH an Selbstverletzung.



 5. Der Möchte-gern-Gourmet 

Seine Pose: Die Brauen in Hochziehbereitschaftsmodus sitzt der Meckerer über seinem Teller und inspiziert Stück für Stück, was er vorgesetzt bekommen hat. Sein Messer gleitet langsam durch den Kürbis, da sagt er: „Nnna, die hätten aber noch ein paar Minütchen vertragen", beim Biss in die gefüllten Mangoldblätter höhnt er: „Uuh, gewitzt ist aber was Anderes, hier fehlt schon mal gleich die obligatorische Prise Zucker, jaja, ihr habt schon richtig gehört: Zucker! Der elaborierte Koch weiß, dass jedes noch so deftige Gericht eine ausgewogene Menge an Salz UND Zucker braucht, um seine Vollmundigkeit zu erreichen!"

Was er mit der Pose sagen will: Nett, so ein Essen unter Freunden - und wer wird denn etwas gegen ein bisschen Kritik haben? Jedem sein Fachgebiet: Auf dass er die anderen mit seinem Wissen bereichern möge. Ich freue mich auch, wenn mir jemand etwas sagt, das ich noch nicht wusste. Das Leben ist ein Lernprozess!
Was er wirklich denkt: Ach, überall Stümper! Irgendwann mache ich meinen eigenen Laden auf und dann zeige ich den Leuten, was gutes Essen ist.
Was die Anderen denken: Geh doch nach Hause. 

Text: mercedes-lauenstein - Foto: matze_ott / photocase.com

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