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Warum so retro?

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Ich kann den Hype um Retro-Gadgets nicht verstehen, sagt Kathrin 

Die Kamera „Fuuvi Bee“ nimmt nur AVI-Filme ohne Ton auf und schießt Fotos mit maximal 1280×960 Pixeln. Sie hat einen Griff wie eine alte Handkamera, den man aber nur mit zwei Fingern halten kann, weil das ganze Ding gerade mal sieben Zentimeter groß ist und nicht einmal 40 Gramm wiegt.  

Seien wir ehrlich, dieses Teil ist unpraktisch und hinkt technisch fast jedem Handy hinterher. Würde es nicht aussehen wie eine Mini-Version einer Super-Acht-Kamera aus den sechziger Jahren, würde dieses Ding keinen interessieren. Tut es aber. Und für diesen nostalgischen Charme ignorieren wir gern die ganzen sachlichen Defizite.  

So wie mit der Mini-Super-Acht geht es mir gerade mit ganz vielen Dingen. Ich verstehe diese Retro-Sehnsucht nicht. Zugegeben, Fotos mit nostalgischem Touch haben – bewusst eingesetzt – ihren Charme, aber deswegen müssen doch nicht alle Blogs und Tumblelogs mit Hipstamatic-Fotos und Polaroids tapeziert werden. Wählscheiben fürs iPhone und Schreibmaschinen-Apps braucht kein Mensch, vor allem, weil die meisten, die sich solche Retro-Tools anschaffen, die Originale nie gesehen oder gar benutzt haben.  

Diese ganzen nostalgischen Gadgets befriedigen ein sonderbares Bedürfnis nach Sachen, die wir eigentlich gar nicht kennen. Nun ist Nostalgie natürlich mehr als die wehmütige Hinwendung zu vergangenen Zeiten, die wir persönlich erlebt haben müssen. In der Mode und im Design kehren die Trends von früher selbstverständlich immer wieder zurück. Nur dabei hat die Rückbesinnung keine Auswirkung auf die Funktion. Von einer „guten alten Zeit“ können wir in unserer hochtechnischen Zeit doch nicht schwärmen und verklärt reflektieren, dass die vergilbte Farbe von Fotos oder die schlechte Auflösung eines Videos eine besondere Qualität ausmacht.  

Unsere Großeltern würden sich bestimmt auch freuen, wenn ihre Fotos nicht verblichen wären. Warum tauchen wir alles freiwillig in Sepia?

Die Antwort auf diese Frage und eine Gegenrede - auf der nächsten Seite




Der Hype um Retro-Apps ist nichts anderes als die Cover-Version fürs Smartphone sagt Dirk

Früher – das sagen alle, die dabei gewesen sind – war alles besser. Früher – das wissen alle, die jetzt dabei sind – ist lange vorbei.  Und das – darauf können sich alle einigen – war schon immer so. Deshalb ist es nur konsequent, dass wir die Debatte über das gute Alte und das böse Neue, das das Alte imitiert, jetzt über kleine Handy-Programme führen. Denn Apps sind für viele mittlerweile das, was Musik oder Filme für die Generationen zuvor waren: Popkultureller Lebensalltag.

Damals ging es um Kino-Remakes oder Cover-Versionen, auf die die Vorgänger-Generation ein verteidigendes Auge warf. Heute werfen die Alten den Blick auf das Flackern einer Super8-Kamera oder den vergilbten Charme eines Fotos, die beide hochauflösend auf der aktuellsten Smartphone-Generation angezeigt werden.  

Wir haben uns daran gewöhnt, dass Inhalte referenziert werden, warum soll das jetzt nicht auch für Programme gelten? Instagram, Hipstamatic oder Film-Apps, die eine Super8-Optik erzeugen, sind das technologische Äquivalent zum Sample, zum filmischen Zitat oder zum Bootleg. Sie sind die Andeutung des Vergangenen, die natürlich auch immer ein Lob dessen ist, worauf sie sich bezieht. Insofern ist es sinnlos, dem Hipstamatic-Fotografen mangelnde Kenntnis der Super8-Zeit zu unterstellen. Er nutzt diese Technik ja genau deshalb, weil er das Unperfekte der Vergangenheit schätzt – selbst, wenn er sie nie erlebt hat. 

Die manchmal sogar künstlerische Leistung entsteht, wenn diese Retro-Optik auf die durchaus auch erschreckende Realität zum Beispiel der Kriegsberichterstattung trifft. Hier liegt der Zauber der Referenz, die wir in Remix-Versionen, in Remakes oder Cover-Songs schon lange selbstverständlich kennen. Er trifft dank moderner Smartphone-Apps jetzt auch unseren fotografisch dokumentierten Alltag. Es gibt durchaus Schlimmeres.


Text: kathrin-hollmer - Foto: Nicco - photocase.com

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