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Die Amis, die Nazis und ich

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Der Bayer ist ja im Grunde seines Herzens ein Anarchist. Das sagen sogar Leute, die CSU wählen. Und dieser Mike müsste demnach ein Bayer sein: Er hat sich etwas einfallen lassen, da muss man normalerweise fünf Maß Subversivität für saufen. Ich habe diesen Mike ja nie kennen gelernt, aber ich weiß: Er ist kein Bayer, sondern Amerikaner. Und seine Versuchsanordnung geht so: Andere Amerikaner, die sich seit ihrem 16. Geburtstag nur noch im Auto fortbewegt haben, machen Bekanntschaft mit blauweißen Beachcruiser-Fahrrädern mit schwerfälliger Lenkung und Münchner Bier. Auweh-Zwick. Diesen Stadtführungs-Cocktail verkauft dieser Mike unter dem Namen „Mike´s Bike Tours“, und wurde in Reiseführern wie „Lonely Planet“ fast schon zur größten Sehenswürdigkeit der Stadt erhoben. Und auch wenn es inzwischen Lenny´s Bike Tours und Frankie´s Bike Tours gibt: Der Mike bestimmt das Bild von München, das die Touristen aus Indiana, New York und San Francisco mit nach Hause nehmen. Denn die Frankies und Lennies gucken ab. Sie machen es wie die Türsteher beim P1: Erst ein paar Jahre dem Chef auf die Finger schauen, dann Know-How und einen Teil des Personals mitnehmen und einen eigenen Laden aufmachen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Bild sammeln die Touristen aus Übersee auf einer Strecke von vier Kilometern durch die Innenstadt, zurückgelegt in vier Stunden, beides nicht gerade Tour de France-verdächtig. An der Spitze dieses größten rollenden Verkehrshindernisses Münchens fahre heute ich, als einziger Einheimischer und Tourguide. Vize-Tourguide, um ehrlich zu sein, denn es gibt ja noch den James aus Melbourne, Phänotyp Wayne Rooney, von dem muss ich noch ein bisschen lernen. Aber besser Vize-Tourguide als „Assman“ (Zusammengesetztes Nomen aus dem „ass“ und „man“. Neue Vokabel, englisch und unvornehm für „Lumpensammler“). Nachdem mich James auf die angenehmen Seiten unseres Jobs aufmerksam gemacht hat (die sind für ihn meistens blond und alleinreisend), macht er zum Warmwerden ein paar Witze. Über Briten und Kanadier, worüber Amis und Australier halt lachen, wenn sie schnell etwas gemeinsam haben müssen. Dann wirft James die Marktschreierstimme an und rattert schnell, aber überaus korrekt die Münchner Stadtgesichte herunter. Heinrick the Lion, bridge, fire, monks, beim Kapitel „Pest“ zeigt er so etwas wie den Schäffler-Tanz. Jetzt helfe ich James bei den Nationalitätenwitzen, denn als er „all together now“ ruft, macht der stocksteife Deutsche als einziger beim Schäfflertanz nicht mit. Viel spannender finden die Touristen sowieso drei andere Dinge: Nazis, kings and – genau, Nazis. Von allen drei hat die Münchner Geschichte viel zu bieten, also radeln wir vom Alten Hof zur Feldherrenhalle zum Geschwister-Scholl-Denkmal im Hofgarten. Vorbei an der Tina-Turner-Kirche, wo James anfängt, mir alle Spezialfragen der Touristen zuzuschustern: Warum es in München so wenig Lesben gibt? Während ich noch nach einer schlagfertigen Antwort in der Englisch-Schublade krame, ist James schon längst bei „the Reichskristall-Nacht“. Und sagt dann auf die Frage, wie er hier im Land der Täter denn leben könne: Man müsse sich mal anschauen, wie weit die Deutschen sich entwickelt haben in den letzten 60 Jahren. Dabei zeigt er auf mich. Ich weiß zwar jetzt eine doofe Lesben-Antwort, behalte sie aber besser für mich. Weiter, auf den Bikes zum Chinese Tower. Da gibt es einen Beergarden, in dem man Weißwürste mit Ketchup und Haxe mit Senf essen kann. Das finden alle prima, ich natürlich auch, auch wenn ich der einzige Loser bin, der ein Radler trinkt. Am Eisbach surfen die Surfer, das findet vor allem Ken aus San Francisco toll. Und James befördert erst die Meute auf die Terrasse hinter dem Haus der Kunst und mich zum echten Tourguide. Der Deutsche wird jetzt erklären, was es mit den Surfern auf sich hat. Ich springe auf ein herumstehendes Kunstwerk, hebe meine Stimme und versuche beim Reden meine Zähne möglichst weit auseinander zu bringen, man versteht mich schließlich schon auf Deutsch oft schwer. So stehe ich da und rede, die Worte und so etwas Ähnliches wie Fakten sprudeln. Ich sehe erstaunt, wie meine Hände gestenreich das unterstreichen, was ich mal mit einem halben Auge im Lokalteil gelesen habe. Doch es ist egal: Ich blicke in die Gesichter der Touristen, sie sind interessiert und glauben ihrem Tourguide. Dann bin ich fertig. Sie klatschen, ich verbeuge mich und blicke zum Himmel. Doch da ist keiner. Nur das Vordach vom Haus der Kunst, in das mit Mosaiksteinchen ein Muster mit Hakenkreuzen eingelassen ist. Ach München. Korrekte Job-Bezeichnung: Fahrrad-Tourguide Verdienst: Das Trinkgeld macht´s Arbeitszeiten: Angenehm: Die erste Tour startet um 11:30. Wie bewirbt man sich? Mit sehr guten Englischkenntnissen München-Faktor: 80 Prozent: Viele Touristen, aber auch sehr viel München

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