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Momente für die Ewigkeit

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Der Wolfgang ist schuld. Der war vor Weihnachten mit zwei Kumpels in München unterwegs, Boazn-Tour. Einmal in die Kneipen reinschauen, in die man sich alleine nicht reinschauen trauen würde. In der Baldestraße 13 trinken sie ein Bier und die Wirtin sagt über den wuchtigen Tresen, dass sie es nicht mehr lange mache. Sie erzählt, dass sie krank sei, dass sie den Laden nun 25 Jahre gepachtet habe und es genug sei. Da horcht Wolfgang auf. Er geht nach Hause und beginnt einen telefonischen Rundruf in seinem Freundeskreis. Er fragt, ob es nicht etwas wäre, wenn man gemeinsam aus der alten Boazn eine junge Boazn machte? Den Freunden geht das Herz auf, als sie ihn reden hören. Wolfgang erzählt vom Traum der späten Jugend, in der manche darüber nachdenken, wie es wäre, die Seiten zu wechseln. Vom Barhocker hinter den Zapfhahn. Für Wolfgang und sieben andere Münchner ist der Traum im März dann wirklich geworden. Er heißt Rennsalon. Ein Mittwochabend, kurz nach halb acht. Michael, 33, zapft ein Bier, Günther, 35, sitzt auf einem Hocker am Tresen und dreht mit der rechten Hand die Halbe Bier vor sich in kleinen Drehungen um die eigene Achse. In schwerem Südtirolerisch erzählt er, was in den drei Monaten seit Wolfgangs Anrufen geschah. Wobei. Man kann das ja sehen. In seinem Rücken leuchten drei gelbe Buchstaben an der Wand. Ein „B“, ein „A“ und ein „R“. An einer anderen Wand hängt eine weiß lackierte Kuckucksuhr. Das Klo ist mit Plattencovern aus der Zeit tapeziert, in der Schlager den Deutschen noch ein ehrliches Anliegen waren. Die hölzerne, von drei Seiten zugängliche Theke strukturiert den mit 36 Quadratmetern kompakt geratenen Gastraum. Auf der Karte hinter Michael, er hat heute Dienst, steht ein „Hugo“ zu 4,50 Euro. Darunter wird eine „Rennsemmel“ für 3,80 Euro offeriert. Ein getoastetes Vinschgauer Brötchen mit Speck, Salami und Käse. Den Drink und das Sandwich hat Günther importiert. Er war ein Glied in Wolfgangs Rundrufkette. Er war einer von 14 Freunden, die einen Blick in die Boazn wagten. Die einen wollten einen Vollgasladen“, erinnert sich Günther, die anderen dachten eher an ein öffentliches Wohnzimmer.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das vielleicht bekannteste Beispiel für ein Münchner Lokal, das von einem Kollektiv betrieben wird, ist das Ruffini. 25 Gesellschafter kümmern sich um das Café samt Weinladen und wahrscheinlich ist das einer der Gründe, warum es so fest in Neuhausen verankert ist. In der Baldestraße wirkt nun auch ein Kollektiv. Acht Leute bleiben übrig, die ungefähr gleiche Vorstellungen von der idealen Kneipe teilen. Sie heißen Wolfgang, Günther, Marc, Michael, Nicole, Julian, Marco und Georg und sind zwischen 32 und 38 alt. Sie arbeiten als Designer oder Betriebswirte, sie haben sich auf so etwas wie Eckpunkte geeinigt: Keiner soll für die Kneipe seinen Job aufgeben müssen und die DJs sollen Jazz genauso wie Folk auflegen dürfen. Jetzt gibt es eine GmbH, jetzt gibt es mit Günther und Nicole zwei Geschäftsführer. Nicole, 34, kommt gerade durch den Vorhang, der den Schall in der Kneipe halten soll, wenn die Gäste zum Rauchen auf den Gehsteig gehen. Sie steckt gerade die meiste Zeit in das gemeinsame Projekt und koordiniert die Dienstpläne. Günther kümmert sich um die Bar. Er hat schon oft sein Geld hinter Münchner Tresen verdient, unter anderem im Jennerwein, er hat für den Rennsalon ein Handbuch geschrieben, in dem steht, was hinter der Theke zu beachten ist.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Wirte aus der Baldestraße, Folge 1: Von links Wolfgang, Marco und Günther Mehrere Abende stand er im Rücken der anderen Gesellschafter und übte mit ihnen, wie man zum Beispiel den „Hugo“ mischt, einen Aperitif mit Limette, Minze, Prosecco, Holundersirup und Mineralwasser. „Wir wollen einen echten Service haben und nicht nur hobbymäßig bedienen“, sagt er. „Da geht es auch um die Reihenfolge, in der du die Bestellungen abarbeitest. Die Bar bietet ja ziemlich viel Angriffsfläche.“ Der Geldbeutel soll zum Beispiel nicht einfach im Eck am Durchgang liegen bleiben. Nicole setzt sich auf einen Hocker neben Günther. Sie erzählt auch von den Grenzen, die sie ziehen mussten. Freunde gesellten sich hinter den Tresen, sie verwechselten die Bar mit der Küche während einer Privatparty. „Das geht aber nicht“, sagt sie. Nicole ist freiberufliche Unternehmensberaterin. Sie kennt sich mit Buchhaltung und Businessplänen aus, sie war dabei, als ein Anwalt erklärte, welche Rechtsform für den Rennsalon die richtige ist. Sie rechnet viel. „Wir haben stramm geplant“, sagt Nicole. „Wir haben die Investitionskostenplanung so gelegt, dass jeder sein Achtel zahlen kann.“ Wenn es rund läuft, so ihre Prognose, verdient jeder soviel wie in einem normal bezahlten Aushilfsjob. (Wer nicht im Dienst ist und trotzdem an der Bar muss seine Drinks übrigens selbst zahlen. „Diese Moral muss man aufrecht halten“, sagt Nicole.) Vier Wochen dauerte es, bis aus der Boazn der Rennsalon geworden war. Michael deutet auf die Schallschutzdecke über sich, die teuerste Investition. Er schaut umher und sieht die Lampen, die Kuckucksuhr, die Klappsitze an der Wand, wahrscheinlich sieht er noch mehr Accessoires als ein Gast, schließlich hat er die Dinge selbst und gemeinsam mit den anderen angefasst und eingebaut. Nicole erinnert sich an die Umbauten, an die Nacht vor dem Tag an dem der Mann vom Kreisverwaltungsreferat die Sicherheit und die Hygiene kontrollierte. Sie werkelten bis sechs Uhr morgens. Bei Sonnenaufgang war alles fertig.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Wirte aus der Baldestraße, Folge 2: Von links Günther, Marc, Michael, Nicole und Julian. Georg fehlt. Vielleicht geht es bei dem Kneipenprojekt auch ein bisschen um das Wurzeln-Schlagen. Vielleicht muss man sich die acht Jung-Kneipiers auch als Suchende vorstellen, die es alle irgendwann nach München verschlagen hat und die nun für sich und ihre Freunde eine neue Heimat innerhalb der Münchner Heimat eröffnet haben. Die dickste Wurzel hat womöglich Michael geschlagen. Von ihm stammt der Name der Bar. Vor Jahren gestaltete er im Off-Programm der Kölner Möbelmesse gemeinsam mit zwölf Kommilitonen aus dem Kommunikationsdesign-Studiengang den „Rennsalon“. Sie bauten in einem Raum eine Carrera-Bahn auf, errichteten eine Tribüne, veranstalteten dann Events – es war fast schon Kunst. Als dann Wolfgang anrief, erinnerte sich Michael wieder an Köln. Deshalb der Name. „Jetzt lebt etwas aus meiner Vergangenheit hier weiter“, sagt Michael. Und bald kommen die Freunde von damals zum Wiedersehen in die Baldestraße. Wenn eine Bar öffnet, müssen sich, das lernen die acht Gesellschafter gerade, ein paar Dinge festrütteln. Eigentlich sollte die Bar, die täglich um 19 Uhr öffnet, nur wochenends doppelt besetzt sein. Aber es kommen reichlich Gäste, weshalb nun schon ab Donnerstag zwei Leute hinter dem Tresen stehen. Günther spricht von Aushilfen, die man bald brauche. Er spricht von einem Türsteher, der – die ersten Beschwerden von Nachbarn gab es schon – die Raucher auf dem Gehsteig zum Flüstern anhalten soll. Niemand wusste, wie voll und wie laut es werden würde. Niemand ahnte etwa, dass der Kneipenlärm durch ein Lüftungsloch in der Hauswand nach außen dringt. Jetzt wird es isoliert. Obwohl die Eröffnung erst vier Wochen her ist, müssen sich die Gäste an manchen Abenden schon zwischen einander hindurch drücken, um zum Klo zu kommen. Vielleicht liegt es an der Musik. Einmal legte DJ G.Rag auf. „Das war phänomenal“, sagt Nicole. Sie scheint vor Freude zu glühen, wenn sie von den Momenten erzählt, die ihr das Bar-Leben beschert. Einmal hatte sie Dienst, da saß ein Gast aus Birmingham neben einem Mädchen. Ein Date, glaubt Nicole, man bekommt ja nie die ganze Unterhaltung mit. Nur diesen einen Satz verstand sie, als der Engländer sagte: „I think we should stay together.“ Nicole freut sich, wenn sie das erzählt. Vielleicht, überlegt sie, denkt der Mann in zehn Jahren noch an den Abend, an dem er die Frau kennenlernte, an dem G.Rag auflegte. Dann wäre mit dem Rennsalon was erreicht. Es geht bei dem Ganzen ja um die speziellen Momente, glaubt Nicole. „Und die sind für die Ewigkeit.“

Text: peter-wagner - Foto: Jürgen Stein

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