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Sonja Eismann über ihren popfeministischen Reader "Hot Topic"

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Warum hat es fast 10 Jahre gedauert bis nach Lips Tits Hits Power? von Baldauf/Weingartner erneut eine Anthologie zum Thema Popkultur und Feminismus im deutschsprachigen Raum erschienen ist? Also an mir hat es nicht gelegen (lacht). Speziell in Deutschland gibt es eine recht starke antifeministische Tradition und das Thema wird in den Medien gerne ein wenig stiefmütterlich behandelt. Außerdem gehen gerade die jungen Generationen häufig davon aus, dass Frauen in jeglicher Hinsicht gleichgestellt sind und doch sowieso schon alles erreicht haben. Das stimmt so natürlich nicht. Es gibt noch genug »hot topics«, über die es sich zu sprechen lohnt. Was mir sehr gut an deinem Reader gefällt ist, dass sich das Wort »Popfeminismus« nicht nur auf Musik beschränkt, sondern auch auf alltagsweltliche Themen bezieht. Lustigerweise hat mein Verlag zu Beginn auch gedacht, dass sich die Beiträge nur auf Musik konzentrieren würden. Der Ansatz des Readers war, schon zu zeigen, wie sehr sich Pop- und Alltagskultur gegenseitig durchdringen. Deshalb habe ich die Autorinnen auch gebeten möglichst ihre persönlichen Erfahrungen in die Beiträge einfließen zu lassen. Ich wollte einen Querschnitt durch die verschiedenen Lebensrealitäten popkulturell sozialisierter Frauen präsentieren. Dabei war mir eine Mischung aus alten und aktuellen Themen wichtig. Also sowohl über Queerness, Schönheitsterror und Indie-Mutterschaft zu berichten als auch über so Dauerbrennerthemen wie Abtreibung und Verhütung, die seit den 70ern ja auch nie wirklich zufriedenstellend gelöst wurden und deshalb gut in das Buch reinpassten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sonja Eismann. Was genau ist eigentlich unter »Popfeminismus« zu verstehen? Meine Idealvorstellung von Popfeminismus ist die Kritik von Popkultur mit feministischen Mitteln. Der Begriff hängt hier wie ein Versprechen in der Luft und wurde bisher aber noch nie so richtig eingelöst... Liegt das eventuell auch daran, dass der sogenannte »Dritte-Welle-Feminismus« nie wirklich Fuß gefasst hat in Deutschland? Ganz im Gegensatz zu Amerika... Absolut. Genauso wie die Riot Grrrl-Bewegung tut sich auch der Dritte-Welle-Feminismus hierzulande eher schwer. Erklären kann ich mir das nicht. In Amerika zum Beispiel herrscht ein viel offenerer Umgang mit solchen Themen. Dort sind Woman, Gender oder die Cultural Studies längst fest institutionalisiert. Dort erscheinen regelmäßig coole Frauenzeitschriften wie Bust, Bitch oder Venus... Dort überlässt man das Feld auch nicht nur den Indie-, sondern auch den Mainstreammedien wie zum Beispiel Sex and the City oder The L Word. Genau. In Amerika ist es ja auch schon längst Usus geworden, dass sich auch populäre Schauspielerinnen wie zum Beispiel Reese Witherspoon als Feministinnen outen. In Deutschland ist das noch undenkbar. Wegen der Tabuisierung des bösen F-Wortes? Unsere Gesellschaft ist immer noch zu großen Teilen darauf aufgebaut, dass Frauen suggeriert wird, ihr höchstes Gut bestehe darin auf Männer attraktiv zu wirken. Und da der Feminismus in den Medien immer als unattraktiv und als letzte Bastion der Unvermarktbarkeit dargestellt wird, wollen viele Frauen aus Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung, Stichwort Emanze, damit auch nicht in Berührung kommen. Die Angst dadurch nicht mehr auf das andere Geschlecht attraktiv zu wirken überwiegt einfach noch. Dabei hat mich meine Erfahrung gelehrt, dass Männer damit häufig gar keine Probleme haben. Im Gegenteil können sie mit feministischem Gedankengut doch oftmals besser umgehen als Frauen es tun. Wenn man an Verschwörungstheorien glaubt, dann hat die Verantwortlichen hinter der Feminismus-Dämonisierung wirklich eine beispielslose und außerordentlich geschickte Branding-Strategie gefahren und auf dem Feld der Tabuisierung ganze Arbeit geleistet. Selbst Frauen aus meinem Bekanntenkreis, die von ihrem Denken und Handeln klar feministisch einzuordnen sind, sperren sich gegen diese Etikettierung. Fehlt es in Deutschland nicht einfach auch nur an coolen Role Models? Auf jeden Fall! Ich schreibe in meinem Vorwort ja auch, dass im öffentlichen Bewusstsein seit 30 Jahren der Feminismus regelrecht exklusiv mit der Figur Alice Schwarzers besetzt wird. Dabei ist das total unfair. Keine einzelne Person kann die Komplexität einer solch großen Bewegung adäquat darstellen und obwohl ich mit dem Mainstream-Feminismus, den sie vertritt nicht immer einverstanden bin, finde ich es von den Medien aber auch wirklich unmenschlich Alice Schwarzer immerzu als Sprachrohr für die gesamte Frauenbewegung zu benutzen. Wer hat denn für dich Vorbildcharakter? Puh, schon so Bands wie Le Tigre, die sich auch mal trauen Strukturen aufzubrechen und radikale Ansichten in ihren Texten vertreten und nach außen hin - wie JD Samson - aber auch leben. Oder Acts wie Peaches, die mittlerweile im Mainstream angekommen sind, es aber trotzdem immer wieder schaffen feministische Themen ins öffentliche Bewusstsein zu schmuggeln. Aber auch so Leute wie Angela Davis oder Belle Hooks. Und last but not least Yoko Ono. Also Frauen, die von allen Seiten mit Schmutz beworfen werden und sich trotzdem nicht von den Widrigkeiten des Lebens haben unterkriegen lassen. Dabei war sie es die John Lennon cool gemacht hat und nicht umgekehrt, weil sie halt eine wahninnig tolle avantgardistische Künstlerin und Musikerin war und eben nicht die Beatlesmöderin, als die sie immer beschimpft wurde. Nach männlichen Beiträgen sucht man ja in deinem Buch vergeblich... Die Wichtigkeit von »Women Only«-Räumen ist meiner Meinung nach heutzutage immer noch gegeben, auch wenn ich selbst jetzt nicht so wahnsinnig oft reine Frauenveranstaltungen besuche. Außerdem: who cares? Es gibt doch so viele Reader, die nicht als »Men Only« deklariert sind und für die trotzdem nur Männer schreiben, so dass ich mir gedacht habe, dass ich das auch machen kann. Und ich mache es wenigstens offiziell. Außerdem sind Frauen so oft in den Medien absent, dass es nur legitim ist, die auch einmal geballt zu zeigen. Gab es bei dir eigentlich rückblickend eine feministische Initialzündung? Da gab es mehrere kleine Erweckungserlebnisse. Grundsätzlich habe ich viel über meine Mutter mitbekommen, die recht engagiert auf diesem Gebiet war ohne das jedoch an die große Glocke zu hängen. Ich bin als Teenager zum Beispiel mit ihr zu Signierstunden von Franziska Becker gegangen, die in den 80ern Comics über den feministischen Alltag gezeichnet hat. Ein ganz wichtiger Moment war auch meine Magisterarbeit in den Vergleichenden Literaturwissenschaften über »Karibische Schriftstellerinnen im Dialog mit dem klassischen kolonialen Kanon«. Und natürliche meine langjährige Mitarbeit an der Zeitschrift nylon. KunstStoff zu Feminismus und Popkultur in Wien mit lauter coolen Frauen, die so ähnlich sozialisiert waren wie ich und mir das Gefühl von female empowerment vermittelt haben. Ansonsten könnte ich auch anmerken, dass mir mein Schicksal quasi in die Wiege gelegt worden ist. Ich habe nämlich lustigerweise am achten März, dem Internationalen Frauentag Geburtstag. +++

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sonja Eismann (Hg.): Hot Topic. Popfeminismus heute. Ventil Verlag, 2007, 304 S., 14,90 EUR. Mehr von Sonja Eismann unter www.plastikmaedchen.net

Text: katja-peglow - Foto: oh

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