Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Fall für Zwei: Die American Apparel-Werbung

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Etwas regt mich schon so lange auf, ich muss es mir von der Seele sprechen. Die Werbung von American Apparel nämlich. Die Firma finden ja alle irgendwie super, die Kampagne auch, top-modisch fotografiert von Terry Richardson, dem alten schweißhändigen Ficker/Fotografen und überhaupt: gehören die ja zu den Guten mit ihren Sweat-Shop-freien T-Shirts, coolen T-Shirt-Schnitten und bunten Farben. Und es fällt mir auch nicht leicht, diese Firma zu boykottieren, weil sie tatsächlich sehr gut sitzende und toll aussehende Mode herstellen. Aber ich kann da nicht guten Gewissens einkaufen. Wegen ihrer Anzeigen. Schon länger weiß man ja, dass Dov Charney, der Gründer und CEO von American Apparel ein echter Freigeist ist, der gerne in Unterhosen durch seine Firma tanzt, mit seinen Angestellten Verhältnisse hat und auch sonst ein durch und durch sexueller Mensch ist. Alles an und für sich kein Ding, außer in Amerika, wo es in anderen Firmen die Vorschrift gibt, dass man mit Kollegen nicht küssen darf. Nicht mehr ganz so liberal-okay finde ich, dass Charney vor den Augen einer Reporterin masturbierte, als sie ein Interview mit ihm führen wollte und dass er von drei ehemaligen Angestellten wegen sexueller Belästigung verklagt wurde. Für mich ist es aber bei den Bildern und der Werbung, die American Apparel verwendet, vorbei. Ich habe schon sehr lange keine so übersexualisierte Werbung gesehen für ein Produkt, das keinen Sex verkauft. Alle Models sind sehr jung und sehen tendenziell minderjährig aus. Sie schwitzen, schauen intim-sexy daher und spreizen dabei ihre Beine, halten nackte Busen, Haut und ein paar blaue Flecken in die Kamera. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr mit das auf die Nerven geht. Weil es sexistisch ist, im alten Sinne des Wortes: weil es Frauen zu Sexobjekten degradiert. Ich glaube, dass wir dank Werbungen wie dieser immer wieder zurück fallen in Zeiten, von denen wir eigentlich dachten, sie hinter uns gebracht zu haben. Ich habe keine Lust mehr auf so etwas. Und es geht mir wahnsinnig auf die Nerven, dass Sexismus dank solcher Kampagnen plötzlich wieder als subversiv und ganz besonders gewagt betrachtet wird. Und tatsächlich wurde diese Werbekampagne für den Lead-Award, die wichtigste deutsche Werber-Auszeichnung nominiert – gewonnen hat sie zum Glück nicht. Ich bin sehr, sehr angefressen gerade. Und du so? Die sexistische Erwiderung auf der nächsten Seite


Ach was. Mit einem Handstreich kann ich die Optik der American-Apparel-Fotos doch genau anders auslegen: Im Gegensatz zu einem hochgepitchten, retuschierten, Gisele-Bündchen-räkelt-sich –am-Strand-der-Perfektion- Bild, das euch hundertmal öfter vorgehalten wird und deswegen hundertmal mehr bedrängt (So Schlank, so nackt, so perfekt musst du sein!) sind die AA-Fotos doch wie die AA-Shirts: recht natürlich und lebensnah. Klar geht es da um Sex und die Posen sind obszön (so sehr ja eigentlich auch nicht), aber hey: Die Mädchen, die ich da sehe, machen auf mich einen extrem selbstbewussten Eindruck, zeigen ungeniert ihre Achselhaare und ihre blauen Flecke und haben im Gegensatz zu Frl. Bündchen eine recht deutliche Botschaft: Ich will nicht künstlich sein. Sie sehen nicht aus wie Opfer des Sexismus, eher wie Anhänger - aber das schickt sich für Mädchen nur im Ehebett, oder was hast du gesagt? Du hast ein Problem mit Dov Charney. Vermutlich ist er ein Idiot, ich weiß es nicht. Vermutlich haben aber auch alle Mädchen ein Problem mit älteren Männern, sobald die zugeben, dass sie nach wie vor Interesse an Sexualität haben. Schmieriger Typ, sagt ihr dann und fürchtet, dass er euch über den Atlantik an den Po greift.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Mir ist das egal. Ich finde die Optik der AA-Modefotos, in der übrigens genau so oft Jungs obszön anzusehen sind, Aufsehen erregend und interessanter als vieles von der Konkurrenz. Aber ich habe auch Wolfgang Tillmans- und Jürgen Teller-Bildbände daheim auf meinem sexistischen Coffetable liegen und mag die extrem sexistischen Bilder von Klimt und Schiele. Mir gefällt die Corporate Identity von American Apparel mehr als ihre T-Shirts, weil sich das stark reduzierte, saubere Layout mit der schmutzigen Trash-Ästhetik so aufregend mischt und weil die Kunst anerkannter Fotografen wie Terry Richardson gewürdigt wird. Es ist in diesem Fall mehr als nur der öffentliche Auftritt einer Firma, es gehört zum stilprägenden Kulturgut einer Generation (wie einst (stark sexistische) Afri-Cola-Spots) und wird vermutlich deswegen auch prämiert und, falls noch nicht geschehen, in ein paar Jahren ins MoMa aufgenommen. Dann kannst du mit einem Schild vor dem Museum protestieren. Das Verdienst von American Apparel ist es doch, ein absolut dröges Gutmenschen-Thema wie politisch korrekte Mode sexy zu machen - deswegen finde ich in diesem Fall einen erotischen Kontext ihrer Werbung angebrachter als bei Kaffee, Autos, Margarine-Aufstrich etc. Aber bitte, es geht auch anders: Das deutsche Pendant zu American Apparel ist die Firma trigema, die mit einem geschleckten Patriarchen als Firmenchef und einem echten Affen für ihre Hemden wirbt. Das ist Ästhetik, wie sie dir unverdächtig scheint. Oder höre ich da ein leichtes Raunen von der Tierschutz-Lobby? fabian-fuchs

  • teilen
  • schließen