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Von Geborgenheit und dem Überschreiten von Grenzen

Text: johalosie







Schwitzende Leiber in dunklen Gassen. Sich vorbeischiebende Passanten. Eine Lampe, die blendet wenn man nach oben sieht aber kaum Licht verbreitet. Dampf und Zigarettenrauch mischen sich zu einem saunaartigen Gebräu. Es ist bitterkalt. Ich habe noch zwei Stunden, dann holt mich meine Mama ab. Es gibt schönere Situationen. Aber ich muss hier einen Job erledigen. Ein Profi fragt nicht nach. Ein Profi legt den Preis fest und erledigt seine Aufgabe. Für diese Nacht hätte ich mehr verlangen sollen.



Letzte Woche war ich noch in Malibu. Um ehrlich zu sein, ich weiß gar nicht wo das ist. Man steigt in ein Flugzeug, isst ein Sandwich, spült es mit Tomatensaft herunter und schon ist man da. Auf demselben Weg gelangt man auch wieder zurück. Es ist ganz einfach. In Malibu war sowieso alles einfach. Das Wetter war gut und niemand ahnte etwas. Über so etwas hätte ich mich am Anfang meiner Karriere noch gefreut. Mittlerweile langweilen mich diese simplen Jobs. Das Geld hat längst seinen Reiz verloren. Warum ich nicht aufhöre? Vielleicht bin ich mittlerweile so etwas wie ein Künstler. Oder ich habe einfach nur gar nichts anderes zu tun. Wahrscheinlich ist es das. Mein Leben hat nicht viel Inhalt. Aber ich bin gut in dem was ich tue, also mache ich weiter.



Egal, heute ist nicht Malibu. Statt der Sonne scheint diese grässliche Lampe, die mehr Schatten als Licht erschafft. Und diese Kälte. Man muss in Bewegung bleiben. Gar nicht so einfach in dieser Gasse, denn ich will ja nicht auffallen. Ich muss warm bleiben und mich konzentrieren. Aus irgendeinem Grund will mir das heute nicht gelingen. Vielleicht muss ich sogar noch abbrechen.



Abbrechen ist nicht gut. In der Branche nennen wir das einen “Cold Turkey”. Denn eigentlich gibt es keinen Abbruch, es gibt nur Aufschub. Wird der Job gar nicht erledigt, ist man weg vom Fenster. Das Problem an einem Cold Turkey ist, dass man improvisieren muss. Improvisation bedeutet Risiko. Risiko ist etwas, wovon wir in unserem Geschäft mehr als genug haben. Unnötiges Risiko gilt es unbedingt zu vermeiden.



Ich hatte in meiner Laufbahn nur zwei Cold Turkeys. Einmal hatte ich Glück, denn der zweite Anlauf stellte sich als die bessere Option heraus. Das andere Mal wäre es fast schief gegangen. Kairo. Man hat nie alle Eventualitäten in der Hand, aber damals was es besonders schlimm. Ich habe die Nerven behalten und es ist alles gut gegangen. Solange der Job am Ende ordnungsgemäß erledigt ist stellt niemand Fragen.



In die schäbige Gasse kommt Bewegung. Barsche Stimmen bellen Kommandos und ich balle die Hände zu Fäusten. Noch eineinhalb Stunden, dann ist der Pickup angesetzt. Komme ich zu spät, habe ich ein Problem. Die Frau, die ich seit jeher als “meine Mama” bezeichne, würde nicht warten. Sie wird auf jeden Fall pünktlich fahren. Ihr Job ist es, zum vereinbarten Zeitpunkt zum vereinbarten Zielort zu fahren. Ob ich dabei bin ist sekundär. Die Mama ist nicht gerade fürsorglich. Vielleicht nenne ich sie aus diesem Grund so, aus Sarkasmus. Spielt keine Rolle.



Ich warte noch eine gefühlte Ewigkeit. Doch am Ende geht alles ganz schnell. Es passiert vollkommen anders, als geplant. Aber ein Profi wie ich erkennt seine Gelegenheit, wenn sie kommt. Ich zögere keine Sekunde, arbeite präzise und verlasse die Szene, ohne mich noch einmal umzudrehen. Der Job ist erst vorbei, wenn ich bei Mama im Auto sitze. Bis dahin stehe ich unter Hochspannung. Vieles von dem was ich tue, ist reine Instinkthandlung. Aber auf meine Instinkte ist Verlass. Sie sind das Ergebnis von Information und Erfahrung.



Im Auto sprechen wir kein Wort. Ich schaue aus dem Fenster und sehe die Straßenzüge an mir vorbeirauschen. Ich bin ganz bei mir selbst und spüre, wie das Adrenalin langsam nachlässt. Ich kenne niemanden, der so gut fährt wie Mama. Normalerweise muss sie es nicht zeigen, aber im Notfall ist sie eine Bank. Vielleicht nenne ich sie deshalb Mama, weil ich mich bei ihr fühle, als wäre ich schon zu Hause. Ein gutes Gefühl. Ich bin froh, dass ich sie habe. Unsere Beziehung ist rein geschäftlich und wir reden so gut wie nie. Wahrscheinlich steht mir keine Person auf der Welt näher als sie. Mein Leben hat nicht viel Inhalt. Mein Name ist Felix. Ich bin gut in dem, was ich tue. Also mache ich weiter. Den Punkt, an dem ich aufhören könnte, habe ich längst überschritten.

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