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Working Class Hero

Text: Zwischenruf

Wir haben erstaunlich viel mitgemacht miteinander, wegen einander, durch-einander. Es fing mit Kekspackungen an, ging über Nussecken, die du aus meiner Hand gefressen hast, und endete bei formvollendete Diners beim Botschafter. Gott, was für ein Wahnsinn. Und irgendwie hast Du dabei immer gewusst, dass ich eher Hamburg als München bin. Ich beherrsche schnoddriges Berlinerisch viel besser als säuselndes Wienerisch. Du hast das instinktiv verstanden und bist neben mir in Trott gefallen mit dem Ruhrpott in der Hinterhand. Du hast sofort gemerkt, dass ich mit meinem Ton eher mit dem Bauarbeiter fluchen kann statt eine hochwissenschaftliche Diskussion zu bestreiten. Zugegeben, inzwischen kann ich beides, aber Du hast immer verstanden, wo ich mich wohler fühle und mich sehen lassen, wie es Dir dabei geht. Amüsiert hast Du betrachtet, wie aus dem Mädchen mit dem Norwegerpulli die hyperkorrekte, unsympathische Studentin mit dem Einser-Schnitt geworden ist und Du hast gesagt, dass ich als eine der wenigen Frauen Humor habe. Deine Frau hat übrigens keinen. Sie ist immer noch die unsympathische Einser-Studentin, die so wahnsinnig lieb ist, dass ich in ihrer Gegenwart keine Schlaftabletten brauche. Uns beide hast du in deinem Leben behalten, vielleicht weil wir beide wirklich gesehen haben, wie dreckig es dir ging und wie du aussiehst, wenn du einfach nur am Arsch bist. Heute schreibe ich in unseren Zirkel und ich bin die einzige, die übrig ist. Irgendwie wundert mich das nicht – zum einen weil du auch schnodderst und zum anderen weil ich ziemlich genau verstanden habe, was du uns eigentlich beibringen wolltest. Ich habe meine Lektion gelernt, hatte sie vielleicht von Anfang an intus, verdammte protestantische Arbeitsethik. Heute drille ich sie in die Köpfe meiner eigenen Studenten und sie fluchen wie die, die dich damals verlassen haben. Ich verlasse dich nicht. Wir sind beide viel zu sehr working class hero, um uns von einem Blondchen beeindrucken zu lassen und das wissen wir beide auch. Wir sind beide keine Softies, aber wir haben den weichen Kern des anderen ziemlich gut erkannt. Wir verraten uns nicht. Du bekommst neue Groupies, aber was mich früher aus der Bahn geworfen hat, bringt mich heute nur zum Lachen – mein Gott, sie haben keine Ahnung von der grün-braungeaugten Bestie. Wir sind so punkrock mitten im Establishment und wenn wir irgendwann den Goldfischen beigebracht haben, selbst zu denken, dann betrinken wir uns mit dem Inhalt des Aquariums – deal? 

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