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Serientäter

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Auf Instagram findet man sie zu Tausenden. Ach was, zu Zehntausenden: Fotos von Menschen, die sich die Darsteller ihrer Lieblingsserie als Tattoo stechen ließen. Fotos von Armen und Beinen, Oberschenkeln, Schulterblättern, Knöcheln und Hüftknochen, auf denen Gesichter und hin und wieder auch komplette Körper zu sehen sind. Don Draper aus Mad Men, Daryl Dixon aus The Walking Dead, Tyrion Lannister aus Game of Thrones. Aber auch Kenny McCormick aus Southpark, Leela aus Futurama und Sheldon Cooper aus The Big Bang Theory. Das Phänomen „Serie“ scheint sich aus der digitalen Welt hinausverlagert und in die reale eingedrungen zu sein – in Form von blauen, schwarzen und bunten Farbzeichen, die Menschen auf der ganzen Welt auf ihrem Körper tragen. Doch woher rührt das Bedürfnis, sich Serienhelden aus dem Fernsehen und auf die Haut zu holen?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ulrike Landfester ist Kulturwissenschaftlerin an der Universität St. Gallen. Sie forscht über den Zusammenhang von Tätowierung und Schriftkultur. Serien, so Landfester, sind ein „künstliches Alternativ-Kontinuum“ – eine vom Menschen erschaffene Parallelwelt also. Die Zuschauer lieben diese Welt, weil sie die Hauptdarsteller in ihr wiedererkennen und mit ihnen wachsen. „Indem sie sich die Darsteller tätowieren lassen, überschreiten die Zuschauer die Grenze von ihrem eigenen Alltag zu dem Kontinuum“, sagt Landfester.

Dass man diese Grenzen überhaupt überwinden möchte, liegt Landfester zufolge auch daran, dass wir  zunehmend den Kontakt mit der physischen Realität verlieren. „Nicht einmal mehr beim Schreiben erleben wir haptische Präsenz: Auf dem Computerbildschirm haben wir keinen Bezug mehr zu den Buchstaben.“ Deshalb, meint die Wissenschaftlerin, sei es kein Wunder, dass wir uns zunehmend nach körperlicher Wirklichkeit zurücksehnen. Und diese zum Beispiel mithilfe von Tattoos einfordern: Das Stechen, dieser schmerzhafte Prozess, erinnert uns  

Ein Loser als lebenslanges Motiv?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dazu kommt die individuelle Bedeutung, die jede Serienfigur für ihren Träger hat. Erwartungsgemäß entscheiden sich Menschen eher für solche, mit denen sie sich identifizieren und die sie bewundern: Walter White aus Breaking Bad, Ragnar Lothbrok aus Vikings, Buffy, die Vampirjägerin. Starke Figuren scheinen auf den ersten Blick gefragter als Nebenfiguren und Außenseiter. Doch überraschend oft sind auch Außenseiterfiguren beliebte Motive. Zum Beispiel Randy Marsh, Stans exzentrischer Vater aus Southpark, oder Bart Simpsons bester Freund, der Loser Milhouse van Houten. Neben ihn lassen sich die Fans oft eines seiner Zitate stechen – „My Mom thinks I’m cool“, „Everything’s coming up Milhouse“, „Nobody likes Milhouse“.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ein Loser als lebenslanges Motiv? Dass man sich dazu entschließt, kann mehrere Gründe haben, sagt Landfester. Zum einen kann es sein, dass der Träger sich einfach stark mit der Figur identifiziert. Nebenfiguren sind häufig sehr spezifische Charaktere, sie lassen dem Regisseur mehr künstlerische Freiheit als die Hauptfiguren. Die sollen ja schließlich den Mainstream erreichen, Randfiguren sind da meist spezieller. Zum anderen kann der Träger auch aus dem Gefühl heraus gehandelt haben, seine Lieblingsfigur sei zu Unrecht ein Außenseiter, sagt Landfester. Auf der eigenen Haut darf sie dann immerhin die Hauptrolle spielen. Ein möglicher dritter Grund: „Es gibt nicht nur Rampensäue“, sagt Landfester. „Manche Menschen empfinden sich selbst als Nebenfiguren im Leben. Mit der Tätowierung positionieren sie sich entsprechend.“

Interessant ist: eine Figur muss für ihren Träger nicht zwangsweise positiv besetzt sein. „Indem ich mir einen negativen Charakter stechen lasse, unterwerfe ich ihn mir: Ich trage ihn herum. Er muss mit mir mit – egal, ob er will oder nicht“, sagt Landfester.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Tätowierung eines Serienhelden verrät demnach einiges über ihren Träger und ist gleichzeitig eine Art öffentliches Bekenntnis zu der Serien-Fangemeinschaft. Wobei das bei manchen Tattoos gar nicht so offensichtlich ist: Dass ein Achteck mit Schwan in der Mitte oder die Zahlenreihe 4 8 15 16 23 42 mit Lost in Verbindung steht, erkennt man auf den ersten Blick nicht. Selbst der Ausruf „Bazinga!“ aus The Big Bang Theory gehört (noch?) nicht zum Allgemeinwissen. Und genau das eint die Fan-Gemeinde.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dass einige Fans dieses Wissen nicht nur in Internet-Foren oder bei Fantreffen teilen, sondern sich tätowieren lassen, zeigt vor allem eines: Wie groß der Hype um Serien geworden ist. Sie gehören zum Alltag, treffen den Zeitgeist. „Mit der Tätowierung zeige ich: Das ist zeitgenössische Kunst. Das ist etwas, das meine eigene Identität beeinflusst“, sagt Landfester. Ähnlich wie die Tattoos von Musik-Ikonen in den 90er-Jahren (Kurt Cobain, Tupac Shakur) vereinen die Tätowierungen von Seriendarstellern Populärkultur und Insider-Wissen, dazu drücken sie Verbundenheit zu einer ganz bestimmten Gruppe aus. Ganz gleich, ob es sich dabei um Don Draper, Daryl Dixon oder Tyrion Lannister handelt. Text: melanie-maier - Cover: katharina-bitzl

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