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Damals mit 16.

Text: GrayandBlack

Als ich das Haus betrete, sind die meisten bereits im Partykeller verschwunden. Partykeller also, denke ich, und jemand sagt: „Wie damals mit 16.“ Ich weiß nicht, wie es damals mit 16 war, bei uns gab es nämlich keine Partykeller. Oder ich kann mich einfach nicht mehr daran erinnern.



Ich trinke zu viel.



Nach einem halben Jahr bin ich noch immer nicht richtig im Singleleben angekommen. Ich habe verlernt, wie man Smalltalk führt und dass man sehr wohl mit fremden Männern reden kann, ohne gleich falsche Signale zu senden. Wahrscheinlich mixe ich mir deshalb einen Gin Tonic nach dem anderen. 



Im Laufe des Abends wird es immer voller im Raum. Die Luft riecht nach einer Mischung aus Schweiß, Marihuana und Alkohol. Ein Mädchen mit Dreads, das aussieht wie Lucilectric in späten Jahren, legt schlechte 80er-Jahre-Musik auf. Wir tanzen.



Es muss fast Mitternacht sein, als plötzlich die Tür aufgeht und der wohl schönste Mann des Abends – vermutlich sogar der schönste Mann seit sehr, sehr langer Zeit – den Raum betritt. Er ist so attraktiv, dass ich es laut aussprechen muss. „Verheiratet und zwei Kinder“, zischt P mir ins Ohr. „Na und“, raune ich zurück. Vor einem halben Jahr wäre so eine Feststellung noch kein Problem gewesen.



Ich weiß nicht mehr, wie ich mit ihm ins Gespräch komme und warum ausgerechnet P mich immer wieder in seine Richtung schiebt und dafür sorgt, dass wir zusammen tanzen. Aber irgendwie reagiert mein Hirn bereits zu langsam, und er ist so schön, also tanzen wir. Landen Stunden später in der Küche, wo wir Schokolade aus einer Schublade klauen und uns eine Bierdose teilen. Wir reden und lachen ziemlich viel. Dauernd habe ich das Bedürfnis, durch seine dunklen Locken zu fahren. Ob er wohl intelligent ist oder schlagfertig? Oder irgendwie interessant? Keine Ahnung. Draußen übergibt sich jemand. Wie damals mit 16. Ich sollte nach Hause gehen.



Nachdem ich mich verabschiedet habe und in die kalte Novembernacht trete, ist er plötzlich hinter mir, nimmt mein Gesicht in seine weichen Hände und versucht mich zu küssen. Mir wird abwechselnd heiß und kalt und die Welt dreht sich ein bisschen – nicht nur vom Alkohol. Schlagartig wird mir klar, dass ich mit ihm schlafen will. Es ist ähnlich wie damals mit 16, nur dass mit 16 noch alles einfacher war und es keine Frauen oder kleine Kinder gab, die auf ihren Vater warteten. 



 



Am Weg nach Hause frage ich mich, ob ich jetzt stolz darauf sein soll, der Versuchung nicht nachgegeben zu haben. Wahrscheinlich. Aus dem iPod dröhnt Tom Waits. Ich hätte gern eine Zigarette, aber ich habe aufgehört zu rauchen.



Erwachsenwerden fühlt sich immer noch fremd an. Single sein auch.

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