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WG mit Kind – zehn Gründe, warum es sich lohnt

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Wie und mit wem wir wohnen, beeinflusst unseren Alltag maßgeblich. Da ist es ganz schön bitter, dass die meisten WGs durch Castings entstehen. Häufig bleiben sich die Menschen fremd und ein echtes und gemeinschaftliches Zusammenleben ist ein großer Glücksfall. Ich habe mich vor einem Jahr dazu entschieden, mit Freunden zusammen zu ziehen. Zwei von ihnen haben ein zweijähriges Kind, das wir jetzt einfach mal Felix nennen. Dieser Schritt hat mein Leben sehr verändert, aber auch bereichert.
Zehn Gründe, warum Kinder definitiv „flatmates with benefits“ sind:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


1. Du musst nie mehr den Wecker stellen

Tatütataaa! – 7 Uhr morgens, Felix rennt über den Flur und spielt Feuerwehrauto. Er rüttelt an meiner Klinke, dann ist er mit einem Satz in meinem Bett. Ich soll mitspielen und zwar sofort. Wenn man mit einem Kind zusammen wohnt, hat man nie Zeit, lange zu grübeln oder sich hängen zu lassen – es ist einfach immer was los. Das steigert auch den Drang, selbst hinaus in die Welt zu gehen, um etwas Spannendes zu erleben. Und zu wenig Schlaf hat man selbst dadurch nicht: Wenn man abends, nach mehreren Runden Fangen spielen, erschöpft ins Bett fällt, ist es allerspätestens elf Uhr.

2. Du hast immer Gesellschaft 

Wenn man ungern allein ist, ist eine Wohngemeinschaft mit Kind etwas Feines. Bei uns ist ein Besucher in der Woche das Minimum. Omas, Tanten und Onkel quartieren sich regelmäßig ein und auch andere Familien suchen gerne die Gesellschaft meiner Mitbewohner. Irgendwie werden Leute mit Kindern öfter besucht als solche ohne. Vielleicht weil niemand die neuesten Fortschritte des Nachwuchses verpassen will. Und weil eine kleine Familie nicht ganz so mobil ist. Ich genieße es, diesen verschiedenen Menschen ganz privat begegnen zu können. In der Uni treffe ich meistens nur auf Gleichaltrige, zu Hause hingegen bekomme ich ein viel breiteres Spektrum an Lebensentwürfen präsentiert.

3. Du hast die besten Storys und Ausreden

„Mein Mitbewohner hat heute angefangen zu heulen, weil ich ihm mein Smartphone nicht geben wollte.“
Solche Einstiege eignen sich gut als Basis für weitere Gespräche und tragen zur allgemeinen Erheiterung bei. Und „Sorry, dass ich zu spät bin, mein Mitbewohner wollte nicht von meinem Schoß“ ist meine Lieblingsausrede, wenn ich zu spät zum Seminar komme. Seitdem mein Dozent weiß, dass ich mit einem Kind wohne, nutzte ich sie sehr oft. Er nickt dann immer nur wissend und weist auf einen freien Stuhl hinten rechts.

4. Es ist immer was zu Knabbern da. Immer. 

Seit es Felix gibt, wissen die WG-Mitbewohner gar nicht mehr, was es heißt, nach Bedarf zu kaufen. Es muss immer auf Vorrat geliefert werden, um seine Wutausbrüche zu vermeiden. Außerdem isst so ein Kind weniger als gedacht. Erwachsene portionieren für Erwachsene, denn die Angst, das Kind könnte verhungern, ist einfach zu groß – also bleibt immer was übrig. Und dann gibt es da noch die ganzen Kleinigkeiten, die Oma und Opa, Tante und Onkel anschleppen. Kuchen, zu Hause eingefrorene Suppen, kleine Döschen und Tütchen mit bunten Etiketten, die monatelang im Regal vor sich hin warten, bis sich endlich jemand erbarmt, die Dinger zu öffnen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


5. Wenn es bei Dir unordentlich ist, hat jeder Verständnis

Auch wir haben Putz- und Mülldienste. Und auch bei uns hält sich da niemand dran. Es sieht meistens so aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Aber das ist okay, denn da ist ja immer noch ein kleiner Mitbewohner, der Unordnung schafft, ohne hinter sich her zu räumen – und dafür hat natürlich jeder Verständnis. Dabei gibt es, wenn man ehrlich ist, so jemanden auch in fast jeder Studenten-WG. Über unseren Mitbewohner wird nur weniger hinterm Rücken gelästert.

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6. Du hast einen Menschen, bei dem Du immer beliebt bist

Ein bisschen kitzeln, vorlesen und ab und zu einen Keks zustecken – schon mag einen das Kind. Im Gegenzug erhält man ein tägliches Begrüßungskommando, Freudenrufe, wenn man sich begegnet, und ab und zu ein paar kleine Knuddeleinheiten. Das Beste daran: Wenn es brenzlig wird, kann ich mich rausziehen. Ein verpasster Mittagsschlaf, zu heiße Nudeln und der verlegte Kuscheltierehase Raberti, der zwanzig Mal dazu ermuntert worden ist, aus seinem Versteck zu kommen und immer noch nicht erschienen ist – das sind Momente tiefer Trauer und Wut, in denen ich nichts mehr ausrichten kann. Da müssen dann die Eltern ran - oder der Fön. Das Geräusch beruhigt Felix nämlich.

7. Rituale entschleunigen Dein Leben

Mit dem Studium beginnt eigentlich das große Chaos: unregelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus, Mahlzeiten zwischen S-Bahn und Uni und Lernen bis spät in die Nacht. Für Rituale ist da kaum Platz. Mit einer Familie im Zimmer nebenan ist das anders. Es ist leichter einzuschätzen, wer sich wann, wo und wie in der Wohnung bewegen wird. Als WG-Mitglied kann man davon profitieren, wenn man Lust auf Gesellschaft hat (siehe Punkt drei), sich aber auch zurückziehen, wenn man gerade etwas anderes vor hat. Nur Partys sind zu Hause nicht mehr möglich. Dafür kann man ungezwungen fremdfeiern und muss danach nicht aufräumen.

8. Du kannst den größten Blödsinn machen und bist nicht dafür verantwortlich

Ketchup auf dem Tisch verteilen, über Pupswitze lachen und so oft Quatsch reden, bis der andere es nachbrabbelt? Das geht sonst meist nur um drei Uhr morgens, mit zehn Bier und einer halben Flasche Wodka intus. Mit meinem kleinen Mitbewohner geht das auch nachmittags nach der Uni. Und das Beste: Ich muss das Ketchup nicht mal wegwischen sondern kann sagen „Er war‘s“.

9. Du lernst schon mal, wie es geht

Familie. Das Wort ist nicht für jeden positiv besetzt. Oft ist in der eigenen mal irgendwas verdammt schief gelaufen und über Jahre ungeklärt geblieben. Was man selbst alles anders machen will, lernen viele erst, wenn sie sich für eigene Kinder entscheiden. Schon vorher ein paar Erfahrungen zu sammeln ist auf jeden Fall ein sanfterer Übergang. Durch meine Mitbewohner habe ich erfahren, dass Familie auch ganz anders gehen kann, als ich es kenne. Sie legen beispielsweise sehr großen Wert auf Gleichberechtigung und diskutieren die Aufteilung ihrer Aufgaben immer: Da Felix' Mutter während der Schwangerschaft hauptsächlich für die Versorgung des Kindes zuständig war, hatte sein Vater in den folgenden neun Monaten „Babydienst“.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

10. Ich-Zentrismus geht nicht mehr

Viele Studierende suhlen sich ganz schön lange im Egoismus. Oft bis Mitte dreißig, wenn sie schon zweimal den Arbeitsplatz gewechselt haben. Was da nicht reinpasst: andere Menschen, andere Bedürfnisse und andere Sorgen. Ob das glücklich macht? Jeden Sonntag bis zwei Uhr mittags schlafen, alleine Pizza vor dem Laptop runterschlingen und nur das eigene Glück verfolgen? Die immer längeren Bildungswege begünstigen die „ewige Jugend“. Und die macht einsam und müde. Mit einem Kind in der Nähe kann man lernen, auch für andere mitzudenken – und dass das tatsächlich glücklich macht.

Text: milan-ziebula - Fotos: Milan Ziebula

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