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Serienreif!

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Früher, da war München ja mal wichtig, wenn es um Serien ging. War ein Ort für Geschichten, die so nur hier spielen konnten. „Kir Royal“, „Monaco Franze“ – alles Achtzigerjahre. Gut möglich aber, dass sich jetzt wieder was bewegt: Mit dem Seriencamp (15. bis 18. Oktober) kommt das „Internationale Festival für Serien und TV-Kultur“ an die Münchner Hochschule für Fernsehen und Film (HFF). Mehr als 20 Serien aus der ganzen Welt sind zu sehen, darunter auch ein paar Deutschlandpremieren und exklusive Previews. Alles kostenlos. Auf dem „Professional Day“ (Fr., 16. Okt.) präsentieren die Regisseurin Natalie Spinell und der Schauspieler Felix Hellmann außerdem „Urban Divas“, eine Mini-Serie, die sie gemeinsam geschrieben haben. Es geht um die verzweifelte Suche nach Liebe in München. Die Pilotfolge ist Natalies Abschlussarbeit an der HFF. Ein Gespräch über die Stadt als Schauplatz für Serien.

   
jetzt.de: Ist ganz schön lang her, dass München beim Thema Serien wirklich wichtig war, oder?
Natalie: „München 7“ gibt es aktuell noch. Und „Im Schleudergang“.
 
Sind jetzt aber beide nicht der erste Gedanke beim Thema „München“ und „Serien“.
Natalie: Stimmt schon. Da denkt man immer noch an „Monaco Franze“ oder „Kir Royal“.
Felix: Ein bisschen schade ist das schon, dass die Sendungen, die die Stadt am meisten repräsentieren, 30 Jahre alt sind.
 
Warum ist das so?
Natalie: Ich glaube, um das zu verstehen, muss man erst verstehen, warum die damals so gut funktioniert haben.
 
Nämlich?
Felix: Weil Helmut Dietl sie erzählt hat. Ein Regisseur, der hier extrem verwurzelt war und diese Stadt geliebt hat wie kaum einer sonst. Der hat mit dem Monaco Franze eine Hommage geliefert, an seine Heimat. An das Lebensgefühl München. An seine Traumstadt. Der hat das so gefühlt und er wollte dieses Gefühl unbedingt anderen vermitteln. Nur dann kann etwas Emotionales entstehen.
Natalie: Man spürt Dietls eigene Lebenserfahrungen in und mit dieser Stadt in quasi jedem Moment.
Felix: Das funktioniert nur, wenn ein Regisseur wirklich tief in seiner Stadt drinsteckt.
 
Aber jetzt gibt es hier ja schon lange eine ganz, ganz wichtige Filmhochschule mit vielen jungen Absolventen . . .
Natalie: (lacht) . . . ich weiß schon, was du sagen willst . . .
. . . und unter denen fand sich jahrzehntelang niemand, der diese Stadt genug liebt, um wieder was mit ihr zu machen?
Natalie: Ich habe manchmal tatsächlich das Gefühl, dass man in Künstlerkreisen diese Stadt lange nicht lieben durfte. Es wurde viel schlechtgeredet, weil angeblich nicht genug Kultur da ist. Ich finde das lächerlich. Aber auch ich habe mich zum ersten Mal im filmischen Sinn mit der Stadt beschäftigt, als die Idee zu unserer Serie kam.
Felix: Und es kommt noch etwas hinzu: Es ist schwieriger geworden, München wirklich zu definieren.

Was meinst du damit?
Felix: Ich glaube, früher stand die Stadt eindeutiger für ein bestimmtes Lebensgefühl. Das war sicher auch schon ein Klischee. Aber ein sehr tragfähiges. Einerseits hat sich an dem wohl ganz wenig verändert: Es gibt immer noch die Schickeria-Werte von früher. Die sehen vielleicht ein bisschen anders aus, aber die Logik ist immer noch dieselbe. Gleichzeitig hat sich aber auch viel verändert: Früher sind die Künstler nach Schwabing gezogen, jetzt ziehen sie eher nach Berlin. Andererseits: Wenn man ganz aktuell sieht, wie die Menschen hier den Flüchtlingen helfen, welche Solidarität die Stadt da zeigt, kann ich mich schon gut mit der Stadt identifizieren. Das macht es viel schwerer, zu sagen: „München ist genau so oder so eine Stadt“. Gerade, wenn man selbst hier wohnt.
 
Damit eine Stadt als Kulisse für eine Serie funktioniert, muss sie also klar für etwas stehen?
Felix: Sie braucht ein Gesicht, ja. Eine klar benennbare Eigenschaft, mit der man dramaturgisch arbeiten kann.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Natalie Spinell, 33, spielte acht Jahre lang die Tochter von Michaela May im Münchner „Polizeiruf 110“. Demnächst ist sie im ARD-Film „Das Programm“ zu sehen. Seit 2007 studiert sie Spielfilmregie an der HFF.
 
Und welche ist das für euch heute?
Natalie: München ist eine Familienstadt. Du wirst hier überall konfrontiert mit dem Bild der perfekten Familien.
Felix: Heile Welt.
Natalie: Und wie immer, wenn es irgendwo vermeintlichen Perfektionismus gibt, sind dahinter ein paar spannende Abgründe. Und wir zeigen, was passiert, wenn die heile Welt mal kaputtgeht.
 
Warum habt ihr da eine Serie draus gemacht? Es ist ja das erste Mal, dass jemand als Abschlussprojekt an der HFF einen Piloten dreht. Weil Serien gerade überall ein so großes Thema sind?
Natalie: Überhaupt nicht. So kalkuliert könnte ich gar nicht arbeiten. Ich wollte eigentlich einen Kurzfilm über eine Frau schreiben, die – nachdem eine langjährige Beziehung zerbricht – ziemlich „desperate“ ist. Lou, so heißt die Protagonistin, versucht verzweifelt, ihren ursprünglichen Plan einer glücklichen Familie weiterzuverfolgen. Und läuft dafür entsprechend verbissen durch München und sucht nach einem passenden Mann.
Felix: Eine krampfhafte Suche nach dem Glück, die natürlich nicht aufgehen kann.
Natalie: Weil ihr jeder schon an der Nasenspitze ansieht, dass sie unter Druck auf der Suche ist. Wobei ganz wichtig ist, dass wir das tragisch-komisch beleuchten. Wir zeigen Situationen, mit denen sich jeder in irgendeiner Form identifizieren kann. So was wie: „Oh Gott, stand ich damals wirklich auch schreiend vor seinem Haus?!“
Felix: Die Peinlichkeiten, die man eben produziert, wenn man unter Druck agiert – gerade unter selbstgemachtem –, können im Rückblick ja sehr komisch sein.
Natalie: Irgendwann haben wir jedenfalls gemerkt, dass ein Film nicht das richtige Format für diese Geschichte ist. Dass es eher sechs Kapitel sind, die zusammen eine Mini-Serie ergeben.

>>>Warum München einen ganz eigenen Druck aufbaut. Und welche Themen hier deshalb besonders gut funktionieren.<<<


 
Und München macht es einem also besonders schwer, wenn man in so eine Situation kommt?
Natalie: Ich denke schon. München ist eine Stadt, in der es sehr ums Repräsentieren geht. Du sollst jemand sein, sollst etwas darstellen. Die Leute checken sich hier gegenseitig extrem ab. Dabei können sie auf deine Turnschuhe schauen. Oder darauf, dass man mit Mitte 30 gefälligst in einer schönen eigenen Wohnung zu leben hat, mit einer schönen eigenen Familie. Und nicht mehr in einer WG.
 
Ist das Repräsentative auch in unserer Generation noch wichtig?
Natalie: Gerade da. Die Statussymbole sind nur andere – das Auto funktioniert vielleicht nicht mehr so, weil sich Car-Sharing als sinnvoll empfundenes Modell durchsetzt. Aber dafür ist das private Lebensmodell viel wichtiger geworden. Du musst es schaffen, mehrmals im Jahr weit in den Urlaub zu fahren. Weil du der Welt ja zeigen willst, was für eine geile Work-Life-Balance du bei allem Stress noch hinbekommst. Und wie gut du dich trotz allem noch um dein Kind kümmerst. Und du brauchst einen Job, mit dem du das alles finanzieren kannst. München baut da ja einen zusätzlichen Druck auf. Du musst hier zu allem anderen noch diese horrenden Mieten stemmen.
Felix: Die Stadt ist sehr leistungsorientiert. Sehr perfektionistisch. Auch und besonders im familiären Bereich.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Felix Hellmann, 37, ist Theater- und Fernsehschauspieler (unter anderem „Shoppen“ oder „Der letzte schöne Herbsttag“). Aus seinem Drehbuchprojekt mit dem Arbeitstitel „Bamboo“ wird gerade ein Kinofilm.
 
Die Stadt treibt durch ihr Wesen also die Handlung voran.
Felix: Ganz genau. Wenn das in Duisburg spielen würde, wäre es eine ganz andere Erzählung. Da wären andere äußere Faktoren, die dir Stress bereiten. Wir wollten möglichst viel sozialen Stress für unsere Hauptfigur. Und das geht für diese Geschichte in München am besten.
Natalie: Was München für diese Serie außerdem so interessant macht, ist, dass es eine vordergründig sehr sichere Stadt ist. Du könntest hier wohl auf fast jeder Wiese übernachten, ohne dass dir was passiert.
 
Und damit hat man mehr Kapazitäten für andere Ängste?
Natalie: Genau. Du holst dir woanders die Ängste her. Zum Beispiel eben in Bereichen wie Ansehen. Du kannst hier eben nicht einfach sagen: „Leute, ich bin einfach gerade krass desperate!“ Es fällt einem doch wahnsinnig schwer, hier zuzugeben, dass gerade nicht alles stimmt bei einem.
Felix: Aber Lou, um das noch mal klar zu machen, kämpft nicht nur damit, sondern vor allem mit dem Problem, wieder einen entspannten Zugang zur Liebe zu finden. Bei sich zu bleiben, sie selbst zu sein.
 
Holt Deutschland bei der Serienkultur im Vergleich zu den USA jetzt eigentlich tatsächlich auf? Wird ja gerne behauptet gerade.
Felix: Ich glaube, es geht gar nicht drum aufzuschließen. Das klingt mir zu sehr nach Imitation. Klar haben wir im Vergleich zu den USA 20 Jahre Serienkultur verschlafen. Viel wichtiger als die jetzt blind aufzuholen, ist aber, Geschichten zu erzählen, in denen die Identität des Landes mitschwingt. Lasst uns lieber authentisch deutsche Geschichten erzählen.
Natalie: Dafür, und da wären wir wieder bei Dietl, muss das Thema hier verankert sein. Man muss das erzählen, was den Menschen hier wirklich widerfährt.
Felix: Natürlich ist es trotzdem wichtig, den Anspruch zu heben. Nicht nur die klassische Vorabendserie zu produzieren, sondern zu merken: Die Leute wollen etwas anderes. Sie wandern ab, wenn du’s ihnen nicht gibst. Und man muss deshalb mehr investieren. Mehr Zeit. Mehr Mut. Da gibt es unendlich viele Möglichkeiten. Man muss sich nur trauen.
Natalie: Leider wurden lang Dinge gemacht, weil irgendwer gesagt hat: „Wir brauchen jetzt eine Serie zu diesem oder jenem Thema.“ Oder, noch schlimmer, noch nicht mal zu einem konkreten Thema, sondern einfach nur: „Wir brauchen jetzt etwas, das hier oder dort spielt. Schreib da mal was zu.“ Natürlich freut sich da jede Produktionsfirma und schreibt dann irgendwas. Aber eben nichts, das dem Autor wirklich am Herzen liegt. Es braucht aber eine Liebe zur Geschichte. Das fehlt bei Auftragsarbeiten oft.
 
Moment: Fangen hier Projekte tatsächlich damit an, dass irgendwo Geld herumliegt, das für irgendwas ausgegeben werden muss?
Felix: Eher damit, dass auf einmal möglichst schnell etwas „Neues, Innovatives“ gezaubert werden soll.
Natalie: Und dafür gibt es eventuell sogar Geld – aber keinerlei Zeit.
Felix: Es gibt aber auch Redaktionen, die dem Herzblut, der Intuition und den Visionen eines Autors vertrauen. Und nicht nur der Marktforschung. Und das wird mehr. Man merkt, dass zum Beispiel „Weissensee“ einer Vision entsprungen ist . . .
. . . eine ARD-Serie, die die letzten Jahre der DDR am Beispiel einer zwischen Regimetreue und Freiheitsdrang gespaltenen Familie erzählt . . .
Felix: . . . die hat eine wahnsinnige Kraft. Bei vielen anderen Serien ist das nicht so.
 
Hat eure Serie da Chancen?
Felix: Ich sage jetzt einfach mal: ja. Es fühlt sich so an, als würden alle wollen. Aber die Bürokratie ist vielleicht noch nicht soweit: Jetzt fangen schon HFF-Studenten an, Serien rauszuschießen. Das ist ja etwas umfangreicher als ein normaler Abschlussfilm.
Natalie: Wir sind gerade in der klassischen Situation, dass wir mit Sendern reden – und davon noch nichts erzählen dürfen. Aber wir sind zuversichtlich.

Text: jakob-biazza - Illustration: Daniela Rudolf, Katharina Bitzl. Fotos: dpa, obs, Alessandra Schellnegger, Jenifer Bräuer, Felix Hellmann, Stefan Klüter

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